Oberösterreich, 36. Jahrgang, Heft 4, 1986

Fenster — Türen — Breiterker Otmar Brunner In den letzten Jahren wird viel vom „Gesicht" eines Hauses gesprochen. Die toten Augen eines Hausgesichtes sind somit die Leerräu me, die entstehen, wenn die in früheren Zei ten üblichen Sprossen und Teilungen der Fenster entfallen. Sprossenlose Fenster wa ren noch vor kurzer Zeit der Inbegriff techni scher Errungenschaft. Die Sprossenteilung war notwendig für die Konstruktion der Fen ster. Von den Putzenscheiben bis zu Zweischeiben- oder gar Dreischeibenisolierglas in der Größe eines Terrassenfensters ist tatsächlich eine gewaltige technische Ent wicklung im Fensterbau festzustellen. Doch die von den Hausfrauen auch so begehrten Einscheibenfenster bewirken einen großen Verlust in der Architektur historischer Häuser. Das Wort „Fassade" kommt vom lateinischen „facies" und heißt auch im französischen „Ge sicht". Erst nachdem so viele Fenster in alten Häusern ihre Teilungen verloren haben, ent stand ein Verlust, der uns plötzlich bewußt geworden ist. Fassaden haben sich im Laufe der Zeit immer geändert und mit ihnen auch die Fenster. In der Gotik noch waren die Fen ster hinter Steingewänden angebracht, in diesen Gewänden befanden sich außerdem noch steinerne Fensterkreuze. Diese steiner nen Fensterkreuze wurden später durch höl zerne ersetzt, die Fenster brachten dadurch mehr Licht in den Raum. Sogenannte „Win terfenster" wurden noch bei den barocken Häusern in der kalten Jahreszeit vorgesetzt und in der warmen Jahreszeit wieder ent fernt. Im späten 18. Jahrhundert wurden diese Fenster außen fixiert, dies brachte den Verlust der schönen geschmiedeten Fenster körbe. Das Biedermeierfenster besteht be reits aus dem inneren und dem äußeren Fen ster, wobei das innere nach innen und das äußere nach außen zu öffnen war. Die Fen sterkörbe wurden durch ebenfalls noch kunstvoll gestaltete Fenstergitter, die zwi schen den inneren und den äußeren Flügeln angeordnet waren, ersetzt. Eine weitere Veränderung der Fenster brachte uns die Gründerzeit. Das Kastenfen ster wurde erfunden, bei dem die Flügel so di mensioniert waren, daß man sämtliche Fen sterflügel nach innen öffnen konnte. Auch diese Form brachte große technische und praktische Vorteile, da es besser vor der Wit terung geschützt werden konnte und außer dem das Putzen der Fenster erleichtert wurde. Die große Errungenschaft des 20. Jahrhun derts ist nun nach dem Verbundfenster, bei dem anfangs zwei Fensterflügel zu öffnen waren, das einflügelige sprosseniose Fen ster. Diese einflügeligen Fenster haben den Vorteil, daß sich die Fugen, die abzudichten sind, minimieren, sie haben jedoch den Nachteil, daß das geöffnete Fenster weit in den Raum hereinreicht und dadurch eine Be hinderung in der Wohnung eintritt. Neuer dings sieht man in neuen Architekturen zu nehmend Fenstersprossen. Architekten planen ihre Neubauten wieder mit geteilten Fenstern. Der Verlust dieses Architekturele mentes „Fenster" wird erkannt und mit der Teilung die Architektur besser gestaltet. Aber auch alles, was sich architektonisch rund um das Fenster abspielt, ist wichtig. Durch das Abschlagen der Fensterumrahmungen und aller damit verbundenen Zierglieder ent standen ebenfalls negative Eingriffe an den Fassaden. Die Bauwerke der Gründerzeit wurden bis vor kurzem nicht sehr geschätzt. Der „Neo-Barock" und die „Neo-Gotik" des 19. Jahrhunderts wurden in der modernen Ar chitektur abgelehnt, da alle Verzierungen an den Häusern nich mehr, wie in der Barock zeit, als Stuck nach einer Rötelvorzeichnung handwerklich aufgetragen waren, sondern als Massenware in Form von Fertigteilen in der damaligen Monarchie gekauft werden konnten und zu tausenden an die Fassaden der Zinshäuser angebracht wurden. In den Nachkriegsjahren wurden viele dieser historischen Verzierungseiemente abge schlagen und die Häuser so zu nichtssagen den Objekten mit „Hinterhoffassaden" degra diert. Die Stuckelemente und Gesimse, Fensterbekrönungen und Überdachungen waren einst Teil einer Architekturkomposi tion. Dadurch, daß in Ziegel ausgebildete Ge simse abgeschlagen wurden, entsteht eine an der Fassade verschieden stark Wasser und Schmutz aufnehmende Oberfläche und nun treten diese Elemente als unansehliche dunkle Flecken wieder in Erscheinung. Auch diese abgeschlagenen Fassaden, die nach dem Krieg als fortschrittliche Sanierung einer Fassade galten, verursachen heute ein Sprossenlose Fenster wirken in der Fassade wie „tote Augen" in einem Gesicht. — Foto: Otmar Brunner, Linz

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2