Oberösterreich, 36. Jahrgang, Heft 4, 1986

Inhaltsverzeichnis Inhalt Schwerpunktthema Stadtbaukunst und Stadterneuerung in Oberösterreich Dipl.-Ing. Rainer Relnisch Altstadt als ästhetisches Problem am Beispiel Braunau am Inn 2 Dipl.-Ing. Otmar Brunner Fenster — Türen — Breiterker 9 DDr. h. 0. Hans Koepf Die Städte Oberösterreichs 17 Dipl.-Ing. Otto Ehler Die städtebauliche Entwicklung Steyrs im Mittelalter 29 Dr. Kurt Holter Die bauliche Entwicklung von Wels In den Jahren 1880 bis 1914 39 Dipl.-Ing. Otmar Brunner Das Linzer Rathausgeviert: Entkernung und Revitalisierung 49 Oberösterreich aktuell Landeshauptmann Dr. Josef Ratzenböck Die Stadt — ein Lebensraum im Wandel der Zelten 57 Historische Kunst Umschlag: Obere Reihe von links nach rechts: Dach landschaft Steyr — Bürgerhäuser In der Altstadt von Linz — Schärding, Georgs brunnen (1607) — Linz, Hofgasse 22, nach der Wiederherstellung. — Fotos: 1—3 Ger hard Trumler, Wien, 4 Dr. Kaiser, Linz. Untere Reihe: Unbekannter Maler, Der Hauptplatz von Linz gegen Norden, Öl auf Leinwand, nach 1774, 95 x 136 cm, Museum der Stadt Linz Nordico. — Foto: Franz Michalek, Linz Gestaltung: Herbert Friedl Autoren Heft 4/1986 Dr. Walter Beyer, Wien Kulturjournalist Architekt Dipl.-Ing. Otmar Brunner, Ober baurat, Linz, Bauverwaltung des Magistra tes der Landeshauptstadt Linz, Abteilung Altstadterhaltung Margret Czerni, Linz Bibliothekarin im Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich Dipl.-Ing. Otto Ehler, Steyr Obersenatsrat i. R., Stadtbaudirektor i. R. Dr. Kurt Holter, Wels Honorarprofessor DDr. h. c. Hans Koepf, Wien o. Universitätsprofessor, Institut für Bau kunst, Denkmalpflege und Kunstgeschichte an der Technischen Universität Wien Dr. Josef Ratzenböck, Landeshauptmann von Oberösterreich Architekt Dipl.-Ing. Rainer Reinisch, Braunau am Inn, Baudirektor der Stadtgemeinde Braunau am Inn Dr. Anna Maria Sigmund, Wien Kunsthistorikerin Kulturzeitschrift Oberösterreich 36. Jahrgang, Heft 4/1986 Vierteljahresschrift: Kunst, Geschichte, Fremdenverkehr Erscheinungstermine: März, Juni, September, Dezember. Medieninhaber (Verleger), Herausgeber und Hersteller: LANDESVERLAG Gesellschaft m.b.H. A-4020 Linz, Hafenstraße 1—3. ISSN 0253-7435 Redaktion: Dr. Otto Wutzel, Dr. Elfriede Wutzel, A-4020 Linz, Hafenstraße 1—3. Jahresabonnement (4 Hefte): S 396.—; Einzelverkaufspreis: S 110.— (Alle Preise Inkl. 10 % MWSt.) Schwerpunktthema Heft 1/1987 Oberösterreich um 1900 Dr. Anna Maria Sigmund Die Bibel von Wilhering 65 Kunst der Gegenwart Dr. Walter Beyer Der Allrounder Herbert Bayer Bücherecke Llteraturbellage Margret Czerni Blätter 71 77 81 Auflage kontroiiiert NORMALPRÜFUNC Veröffentlicht Im Pressehandbuch Auflage dokumentiert Im Protokollbuch des Ozv und unter der Btx-Nummer * 2270 *

Kulturzeitschrift ! T" .^agSBBS^SSSä^ Sf^'S Iii y^i 011 i' fl'Wi ® lij" IlHEji' I JIll -i" sfei®! s.it«; r j js,- f % Kleinstädtische Idylle im 19. Jahrhundert — „Gmunden, Vorstadt, Seestadl", kolorierte Lithographie, gezeichnet von Carl Ritter, im Eigenverlag gedruckt von L. Förster, Artist. Anstalt In Wien, ca. 1855. Carl Ritter (1807—1885) war ab 1853 Kanzllst der Gmundner Salinen- und Forstdirektion, ab ca. 1850 führte er In Gmunden eine gut besuchte Privat-Zeichenschule. Das Gmundner Stadtmuseum und das oö. Landesmuseum besitzen von ihm zahlreiche Zeichnungen und Lithographien. Die Schriftleitung dankt Frau Professor Elfriede Prillinger für die Reproerlaubnis und die Beschriftung. — Foto: H. G. Prillinger, Gmunden. Altstadt und Heimatgefühl Was Heimat Ist, wird wohl von den meisten Bürgern, ob alt, ob jung, zum wesenhaften Teil bildhaft empfunden: das Bild der Land schaft, das Bild eines Platzes, von Gassen und Häusern, das Bild der eigenen vier Wän de oder auch nur eines alten Pflasters oder eines verrosteten Türgriffs. Auch in großen Städten sind es weniger die menschlichen Beziehungen, die die Bindung zum eigenen Bezirk herstellen, als die Eigenart eines bild haften Sammelsuriums — wie enttäuscht kann man sein, wenn ein Markt einem Park platz oder ein Baum einem Haus weichen mußte! Der Mensch hat viele Rechte: Menschen rechte. Das Recht zur Erhaltung seiner ge stalteten Beheimatung ist jedoch nirgends verbrieft. Gerade in Stadtrandzonen, wo sich alles in ständigem Umbruch befindet, ist das Gepräge aus der Zeit der Kindertage ihrer Bewohner meist in deren reiferen Jahren völ lig verändert — aus dieser Sicht wird der Wert der Beständigkeit in den Altstadtbereichen deutlich: Die Altstadt als Ort, wo die Bilder im mer noch mit den Ansichtskarten überein stimmen, wo viele Generationen dieselben Steine begangen haben, wo ein Bezug zur Vergangenheit herstellbar und erfahrbar ist. Wenn man schon nicht weiß, wohin man geht, ist es ein Trost zu wissen, woher man kommt. Man könnte Bücherfüllen mit Gedanken über den Begriff der Heimat. Die Vielschichtigkeit der Beziehungen von Menschen zu ihrer Um gebung ist in ihrer Gesamtheit kaum durch schaubar. Daß aber die Altstadt in Verknüp fung mit dem Heimatbegriff eine außer ordentliche Stellung einnimmt, wird niemand zu bezweifeln wagen. Nicht immer muß es Schönheit sein, die zur lebenslangen Ver trautheit wird: Auch Bahnhöfe und Hafenan lagen, düstere Hinterhöfe und Stiegenhäuser können Heimat darstellen. Das Desolate bin det oft intensiver als das perfekt Gepflegte. Zitat aus der Publikation des Verlages Christian Brandstätter 1985 „Altstadt in Österreich", Text von Rainer Relnisoh (siehe auch Bücherecke In dieser Nummer der Zeltschrift „Oberösterreich" mit Besprechung dieser Publikation). 1

Altstadt als ästhetisches Problem am Beispiel Braunau am Inn Rainer Relnisch Der ästhetische Wert der Altstädte ist unbestritten und deren Schönheit ist ein Element der Identifika tion für die Bewohner und ein Anziehungspunkt für die Besucher. Nur versuchsweise wurde bisher die Ästhetik der Altstadt zu ergründen versucht. Archi tekt Dipi.-ing. Rainer Reinisch hat als Baudirektor der Stadt Braunau Aitstadterhaitung in der Praxis erprobt und jüngst mit der Publikation des Buches „Altstadt in Österreich" gerade diese Schönheit aufgezeigt. Daß die Ästhetik, wenn nicht uner gründlich, so doch mehr als vielschichtig ist, stellt er in diesem Beitrag anhand von Beispielen aus Braunau dar. Die Zeichen stehen auf Altstadt. Nach einer Phase des Wiederaufbaues nach dem Zwei ten Weltkrieg ist die Wohnungsnot beseitigt. Neue Stadtteile lagerten sich an die histori schen Altstadtzentren an. Die Formenspra che dieser Satelliten war bei uns vom ameri kanischen Einfluß geprägt, aber auch im Osten huldigte man dem Hochhaus- und Fer tigteilbau. Spätestens nach dem Europäischen Denk malschutzjahr 1975 gibt es eine „Zukunft für unsere Vergangenheit". Historische Zonen werden geschützt, gepflegt und schonend er neuert. Der Zweite Weltkrieg hat große Lücken gerissen. Den Jahrzehnten nach 1945 sind nach neueren Feststellungen in Eu ropa mehr Denkmäler und Baubereiche von geschichtlichem Wert zum Opfer gefallen als in den Kriegsjahren.^ Der Rest ewiger Zer störung erfreut sich heute höchster Wert schätzung. Diese von einer Welle der Nostalgie zusätz lich getragene Hochschätzung der Altstadt läßt Fragen aufkommen: Was ist der Wert einer Altstadt und des Alten im allgemeinen? Wie läßt sich die gestalterische Eigenart und Vielfalt einer alten Stadt definieren und erläu tern? Ist die Wahrnehmungslehre im Sinne der griechischen Vordenker eine Hilfe bei der Annäherung an dieses Problem? Liegt die Schönheit im Objekt oder im Betrachter be gründet? Die Betrachtung der Altstädte von Bregenz bis Bad Radkersburg und von Weitra bis Lienz läßt es unwahrscheinlich erscheinen, daß eine wissenschaftlich-analytische Erklä rung der Schönheit von Altstadt überhaupt möglich ist. Zu vielfältig ist die Erscheinungs form. Kein Grundriß gleicht dem anderen, die Topographie prägt jede Stadt zu einer einma ligen Individualität. Die grobe Baustruktur kann ähnlich, aber nie gleichgestaltet sein. Fassaden, Dächer und Details differenzieren weiter und der Grad der Verschandelung ist glücklicherweise nur in einigen wenigen Städten so weit gediehen, daß er die ästheti sche Qualität der historischen Substanz zur Unkenntlichkeit verstümmelt hat. Wenn man der Altstadt als Erlebnis über das Optische hinaus auch noch die Gesamtheit der Gerü che, der akustischen Eindrücke und der viel fältigen historischen und sonstigen Sensibilisierungen zuordnet, erkennt man die Unmöglichkeit einer prägnanten wissen schaftlichen Erfassung des Phänomens Altstadt. Der Schaffungsprozeß wird als integrierender Bestandteil der Entstehung und die Entste hung selbst als wesentliches Element des Werkes (Altstadt) aufgefaßt. Dadurch wird Ar chitektur weit mehr als bloße Gestaltbe schreibung und führt auch in die Bereiche des Sozialen und der Politik.^ Die Altstadt als Gegenstand der Wissen schaft ist auf Grund der skizzierten unentwirr baren Komplexität meta-physisch und wird wie Gegenstände der künstlerischen Kreati vität des Menschen immer unergründlich bleiben. Daß das Ideal einer erschöpfenden Antwort nie erreichbar, ja „irrational" ist, kann das Streben nach einer annäherungsweisen bestverantwortlichen Antwort so wenig wert los machen, wie wir bei einer Irrationalzahl auf die Berechnung verzichten können, weil wir wissen, daß wir doch nie an ein Ende kommen können (A. Wenzl). Die Beschäftigung mit der Altstadt greift über die Wissenschaft hinaus, indem sie vor allem nicht definierbare Dinge und Sachverhalte bearbeitet — sie ist daher jedenfalls eine phi losophische. Nur willkürlich gewählte Teilbe reiche können auch Gegenstand einer Wis senschaft sein. Ein Beispiel einer Altstadtwissenschaft ist die Stadtgeschichtsforschung. Weitgehend wert freie Historie ist aber letztlich wieder Material einer Wertschätzung auf Grund zuerkannter „Bedeutung". Das Ludwig-Boltzmann-Institut für Stadtgeschichtsforschung in Linz leistet auf diesem Gebiet Bedeutendes, aber auch andere Autoren versuchen Gestalttypen her auszuarbeiten, die bambergische, passauische usw. Marktgründungen darstellen.® Eine Übereinstimmung des ästhetischen Er scheinungsbildes aus der gemeinsamen Ent stehungsgeschichte abzuleiten, ist legitim, bringt aber nur selten überzeugende Ergeb nisse. Auch der Versuch, die Stadtgestalt als ein Derivat der Herrschaftsform darzustellen, wird zwangsweise Stückwerk bleiben, zu komplex ist die Genesis, die zur Gestalt unse rer heutigen Städte führte." Ein weiterer Versuch der Annäherung an die ästhetische Eigenart von Architektur und Städtebau ist der über die Psychologie. Der architektonische Freiraum führt ja kein Ei gendasein als „Raum an sich"; er steht als sinnlich aktuelle Raumumwelt in Verknüp fung mit dem Menschen und seinem Raum sinn, der vom Tastsinn der Haut, der Sehfä higkeit des Auges und dem Hörvermögen ge prägt wird.® In Verbindung mit dem histori schen Werden von Stadtgestalt werden die psychischen Anstöße der ehemaligen Krea tion und die heutigen sensorisch-psychi schen Empfindungen geprüft. Der Rhythmus der räumlichen Gestaltungen wird erforscht: Das Raumbild der Antike, die asymmetrisch polare Gestaltung im Mittelalter, die von Wis sen und Geometrie bestimmte Form der Re naissance und Moderne sowie die Dynamik des Barock. Sogar aus der Literatur und der Alltagsspra che lassen sich tiefenpsychologische Hypo thesen über die Wirkung der Stadt auf den Menschen abgewinnen.® Befragungen brin gen im weiteren auch konkrete Auskunft über die Erlebnisqualität von Bewohnern und Tou risten. Unverkennbar ist auch die derzeitige Zuwendung zu historischer Architektur, wenn sich diese in gutem qualitativem Zustand prä sentiert.'' Dem gegenüber steht die besonde re Verabscheuungswürdigkeit der Neubau gebiete, die sich wohl in den letzten Jahren noch verstärkt haben wird. Diese Zuwendung zur Altstadt, aber auch den Stadtrandgebieten gilt wohl dem stupenden Aneinandergeraten von unterschiedlich sten Partikeln von Wirklichkeit, das den Ver führungseffekt der Psyche eher in Gang setzt als die Monotonie, der man keine ent deckungsfreudige Aufmerksamkeit zu schen ken hat, weil nichts mehr an ihr überraschen kann. Eben deshalb, weil diese disparaten, diffusen Strukturen nicht geregelt, sondern Produkt der Zufalles sind, wirken sie als Si gnale, die auch den Assoziationsfluß eines Menschen durch ihren Anblick nicht klebrig ans immer Gleiche fesseln, sondern freige ben für Abschweifungen ins Unzensurierte: Dinge, wie einfache Mauern, Häuser, Tore, Durchgänge, Winkel, dürfen wieder zu jener Beseeligung erwachen, die sie einst in Kin dertagen zu etwas Beglückendem machten. Über Geschmack und Schönheit läßt sich streiten, nicht aber über den erfragten common sense. Um das unergründlich Schöne und Interes sante der Altstädte mit wissenschaftlicher Methodik in den Griff zu bekommen, bemüht man die Ortsbiid-inventarisation. Mit Fleiß und Akribie werden Ortsbilder dokumentiert, aufgezeichnet, photographiert, in wesentli che Gestaltelemente zerlegt, Farben und Tex turen aufgenommen. Der Zauber des Origi nals wird aber einer noch so großen Zahl von Einzeldokumentationen nie zu entnehmen sein. Die Stadtgestalt von Innsbruck wurde dokumentiert,® aber das dynamisch-räumli che Erleben der belebten Stadt ist damit nie

■:■ ■:..■■■■ ■■ ii Das äußere Ensemble des mittelalterlichen Braunau. Links der Saizburger Torturm, davor der Wasserturm, anschließend der ehemalige Eckturm der ersten Umwallung, im Hintergrund der Turm des Stephans-Münsters: unverwechselbares Gesicht mit hohem Stellenwert

einzufangen. Trotzdem ist das Festtialten des Stadtbildes In regelmäßigen Abständen sinn voll und nötig, damit aber hinter die Gründe der ästhetischen Wirkung eines Stadtbildes kommen zu wollen, Ist ein zu hoher An spruch. Die phänomenologlsche Methode dringt nicht In die Irrationalität der Altstadt ein. Um Altstadt besser empfinden zu lernen, Ist die Zusammenschau gleicher Gestaltele mente In verwandten Städten angebracht. Der Autor hat durch Gegenüberstellung glei cher Situationen In den Inn-Salzach-Städten die Sprache dieses Stadt-Ensembles ver deutlicht: Stadtsilhouette, Platz, Gasse, über baute Gasseneinmündung, Tor, Lauben gang, Brunnen, Pflaster, Baum, aber auch die Innentextur der Häuser, die einen wesent lichen Teil der gesamten Erscheinung von Altstadt ausmachen.® Schönheit allein Ist aber gerade bei Altstäd ten mit Bedeutung und Interesse verbunden — oft mit öffentlichem Interesse an deren Pflege und Erhaltung — zur Schaustellung des Kreislaufes von Werden und Vergehen.^® Altstadt Ist lesbares Dokument einer Genesis unser selbst. Was heute als „Wohlordnung" und vielfältige Schönheit des Alten empfunden wird, kann In unserer zum Mystizismus tendierenden Zelt kaum definiert werden. Dies Insbesondere deshalb, well es sich weltgehend um nicht nachvollziehbare Schaffensprozesse han delt. Erfahrungen der Stadtbaukunst von einst sind heute weltgehend verschüttet.^^ Das Wissen um die krumme Straße, den Wechsel von Licht und Schatten, das Bauen gegen den Wind und gegen die Feinde sind uns als praktische Anforderungen nicht mehr geläufig — Zweckmäßigkeit wird nach Jahr hunderten ästhetisch bewertet. Die Viel schichtigkeit von Stadtgestalt, die sich Im Laufe der Entwicklung zu einem heutigen Zwischen-Endergebnis geformt hat, ermög licht nicht mehr den Durchblick auf alle Ein zelschritte der Genesis. Das hohe Maß an Unergründllchkelt berührt die Psyche In be sonderer Weise. Was liegt näher, als sich der Schönheit der al ten Städte aus der Ecke der Philosophie zu nähern, wird doch Ästhetik als WahrnehDie Dachlandschaft wird von der alten Ziegeldeckung und der Kleinteiligkeit der Dachformen geprägt. Die Bebauungsvorschriften für die Braunauer Altstadt legen die Verwendung von Tonziegeln und die weitgehende Beibehaltung der alten Dachformen fest i X Erstmals in Osterreich wurde „in der Scheiben" in Braunau ein Assanierungsgebiet festgelegt. Die alte Bausubstanz wurde vor allem aus Gründen einer besseren Förderungsmögiichkeit beseitigt. Die Neubauten übernehmen den vorgegebenen Formkanon in alter Handwerkstechnik. Die äußere Gestaltung fügt sich nahtlos in das Stadtbild ein

mungslehre seit den frühesten Zeiten und als Wissenschaft vom Schönen seit fast zwei Jahrhunderten betrieben. Schon Piaton un terschied vier Erscheinungsformen der Schönheit: die körperliche, die moralische, die intellektuelle und die absolute. Ästhetik selbst wird als Philosophie der Kunst,die Schönheit als Freude^® dargestellt. Objekt und Subjekt vermischen sich. Desto tiefer man sich in die Philosophie der Ästhetik verstrickt, umso deutlicher wird die Unmöglichkeit, die Schönheit von so komple xen Gebilden, wie es die Altstädte sind, zu entschlüsseln. Die atmosphärischen Werte überlagern und verzahnen sich wie alle Faktoren der Stadt qualität auf das engste mit anderen Gestalts merkmalen. Die Beibehaltung traditioneller Nutzungen sichert auch das Fortbestehen der mit diesen Nutzungen verknüpften und für die Gestalt der Stadt bedeutsamen For men. Erinnerung und Identifikation mit be stimmten geschichtlichen Ereignissen oder Personen der Stadtgeschichte sichern auch den Fortbestand der baulichen Zeugnisse der Geschichte. Rechts oben: Arkadengänge, die als Renaissance-Elemente in die gotische Stadt gefügt wurden, prägen in den Höfen häufig das „innere Stadtbild" Braunaus. Auch wo sie, im Gegensatz zum dargestellten Gnändigerhaus, nicht eingesehen werden können, gelten sie als stadtbildbestimmender Wert Rechts: Die Heimathäuser in der Braunauer Altstadt dienen Museumszwecken. Der ästhetische Reiz liegt in der Einmaligkeit. Trotz der Einfachheit der Gestaltung gleicht ihnen kein Haus in Österreichs Altstädten. — Sämtliche Fotos: Gerhard Trumler, Wien

Die dargestellten Annäherungsmöglichkei ten an eine Ästhetik der Altstadt zeigen In Summe deren Unmöglichkeit. Trotz dieser Einsicht In das komplexe und ganzheitliche Wesen der Stadtqualität muß man bei dem Versuch, sie zu durchleuchten und darzustel len, zu den zergliedernden wissenschaftli chen Methoden greifen und damit nachein ander einzelne Merkmale aus dem Zusammenhang herauslösen. Die Gefahren, die In diesem Vorgehen stecken, hat Theodor Fischer (München) schon vor Jahrzehnten beschrieben, als er sagte, daß solche Versu che, die Qualität zu ergründen, „zerkrümeln und vernichten, was als Ganzheit vor dem Empiriker steht". Die Stadt Braunau Ist über sechshundert Jahre alt, hat heute noch bedeutende Reste mittelalterlicher Bausubstanz, und wird die gotische Stadt genannt. Obwohl ein großer Stadtbrand 1874 etwa ein Viertel der Altstadt vernichtet hat, präsentiert sie sich heute Ins besondere durch die Intensiven Bemühun gen um Ihre Erhaltung und behutsame Er neuerung als ein Musterbeispiel für eine gelungene Altstadterhaltung. Im Sinne obiger Ausführungen sei mit Worten und Bildern versucht, das ästhetische Pro blem einer alten Stadt zu skizzleren. Es wird unter bewußter Nichtbeachtung der histori schen, psychologischen und sozialen Wer tungen rein phänomenologlsch vom jetzt vor handenen Bestand an Stadtgestalt ausgegangen. In Einzelmerkmale zergliedert und „zerkrümelt". Diese weltgehend wertfreie und wissenschaftliche Methode Ist ein legiti mer Ansatz, um zu einer Ästhetik von Brau nau oder einer Altstadt Im allgemeinen zu kommen. Angemerkt sei gleich die Gefahr, alles, was uns heute als nicht ergründbare Gestaltung erscheint, als „gewachsenen" nichtgeplanten oder vom Zufall gesteuerten Wlldwuchs anzunehmen. Mehr als uns heute einsichtig Ist, gründet auf wohlüberlegter Zweckmäßigkeit oder heute unbekannten Gestaltabsichten. Komplexität als gestalteri sche Anarchie zu bezeichnen, ginge jeden falls zu welt.^® Konkave oder konvexe Platz fronten als Zufall hinzustellen, Ist eine leichtfertige Herabsetzung der Baumelster des Mittelalters, die selbstredend auch da mals eine Schnur zu spannen verstanden. Die formale Zerkrümelung wird Im vollen Wis sen angewandt, daß Analyse erst dann an das Kunstwerk heranreicht, wenn sie die Be ziehung seiner Momente aufeinander prozessual begreift, nicht durch Zerlegung es auf vermeintliche Urelemente reduziert.^® Im gegenständlichen Falle erscheint es nicht re alisierbar, neben der Analyse des derzeitigen J/

Stadtbildes auch noch die gesamte Genese derseiben darzustellen. Das stadtbildwirksame Element schlechthin ist der Grundriß. Platz, Straße, Gasse und Gäßchen sowie die Lage der Stadtmauern sind schon durch die vermeintlichen Ungenauigkeiten ihrer Konfiguration Ursache einer Unverwechselbarkeit und Einmaiigkeit. Die Höhenentwicklung des Geländes und das Wechselspiel der Wegführungen mit der selben führen zu Ausformungen, bei denen keine der anderen gleichen kann. Die Zwie sprache der Stadt Braunau mit dem Inn ist so eine ursprüngiiche Originalität. Der typisch niederbayerische Stadtplatz ist an einem Ende mit dem Salzburger Torturm geschlossen, gegen den Inn hin ist er heute offen. Nach der Zerstörung der anschließen den Hoizbrücke durch den Eisstoß 1879 wur de eine Eisenbrücke um zwei Meter höher gesetzt. Das Brückentor mußte weichen. Der Grundriß, die Kleinteiligkeit der Bürgerhäuser und die Großzügigkeit des Stadtplatzes prägen das Bild von Braunau. Die Zwiesprache mit dem angrenzenden Inn und dem künstlich angelegten Stadtbach ergibt Bildwirkungen von ästhetischer Einmaligkeit. — Luftbild: Scheurecker, Schärding Wohl wurde aber von allen örtlichen Stellen die Notwendigkeit hervorgehoben, den Piatz durch einen Neubau wieder zu schließen. Die Bezirkshauptmannschaft führte ästhetische Gründe ins Treffen, die Stadtgemeinde ver langte ein Gebäude, „welches dem Haupt platze Braunaus einen geregelten Abschluß gibt und denselben von den eindringenden Stürmen und Sandwehen schützt". Von der Regierung wurde dieser Bau „aus zwingen den Rücksichten, welche in allen Zweigen des Staatshaushaites die größte Einschrän kung erheischen", abgelehnt.Bis heute ist es so geblieben. Die Lücke am Nordende des Platzes gibt heute den Blick über den Inn auf die bayeri schen Höhen frei. Sie wird von manchem ais Gewinn, von anderen als Verlust empfunden. Das Bundesdenkmalamt hat auch in den sechziger Jahren das Schließen des Platzes als nicht notwendig angesehen. Der Kirchenplatz war ehedem mit einer Mau er umschiossen und mit dem Friedhof vom Marktgeschehen getrennt ein eigener Bezirk. Die heutige Figuration rund um den dritt höchsten Kirchturm Österreichs ist von au ßerordentlicher Vielfältigkeit. Bäume spieien dort eine große raumbildende Rolle. Handwerksgassen erinnern heute nur mehr durch ihren Namen an einstige Geschäftig keit: Lederergasse, Färbergasse, Mühlen gasse, Schleifmühlgraben. Der Stadtbach durchzieht in einer Furche die Stadt. Reizvoiie Situationen biiden mit ihm angrenzende Gebäude, wie die ehemaligen Bäder, das Bürgerspital, der Wasserturm und der Bewuchs. Neben der nur mehr zur Hälfte in Ziegeln ge deckten Dachlandschaft sind Schwibbögen und Granitpflasterflächen stadtbildbe stimmend. Prägend sind die Bürgerhäuser, ihre Regel mäßigkeit im Verhältnis von Wand und Öff nung, die pasteiiige Farbenvieifalt der InnSaizach-Städte und das Sprossenfenster mit den weißen Fensterfaschen begründen einen menschlichen Maßstab und den atmosphäri schen Wert. Die kurze Darstellung einiger stadtbildprä gender Elemente für Braunau zeigt die kom plexe Vielschichtigkeit all dessen, was in Summe das Material für eine ästhetische Be wertung darstellt. Sie sind durch Unbe stimmtheit charakterisiert und daher nicht wissenschaftlich determinierbar. Da der Be trachter als Bewerter sich zu diesem Material verhält wie die zwei Seiten eines Möbiusban des, kann es kein ästhetisches Erleben einer Altstadt geben, das wir vergessen müssen, um sie zu erleben.^® Diese philosophische Weisheit gibt Sicherheit in der Auseinander setzung mit der Ästhetik der Altstädte. Mor genstern sagte es einfacher: Schön ist ei gentlich alles, was man mit Liebe betrachtet. Literatur 1 Peter M. Bode: Unser Lebensraum braucht Schutz, Denkmalschutz — eine Kampagne der „Aktion Gemeinsinn" zum Denkmalschutzjahr, in: „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit", Bonn, Mai 1975. 2 Rainer Reinisch: Theorie der Architektur, Brau nau 1980. 3 Willibald Katzinger: Die Märkte Oberösterreichs, In: Forschungen zur Geschichte der Städte und Märkte Österreichs, Hsg.: Wilhelm Rausch im Auf trage des österreichischen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung und des Ludwlg-Boltzmann-lnstitutes für Stadtgeschichtsforschung, Linz/Donau 1978. 4 Wolfgang Braunfels: Abendländische Stadtbau kunst, Herrschaftsform und Baugestalt, Köln 1978. 5 Wolfgang Rauda: Raumprobleme im europäi schen Städtebau, Das Herz der Stadt — Idee und Gestaltung, München 1956. 6 Gerhard Kapner: Summarium zu Untersu chungsergebnissen über tiefenpsychoiogische Wirkungen von Stadtbiidern, In: Der aufbau 6/1978, Wien. 7 Franz Paveika: Die Eriebnisquailtät von Stadtbiidern/Stadtgestalten — Ergebnisse einer architektursozioiogischen Untersuchung ausgewählter Wiener innenstadtbereiche, in: Der aufbau 6/1978, Wien. 8 A. Heinz, H. Gamei, P. Thurner: Stadtgestait von Innsbruck, Innsbruck (Stadtbauamt) 1976. 9 Rainer Reinisch: Das Aitstadtensembie — Bei spiel inn-Salzach-Städte, WBF 853/1, Braunau 1984. 10 Norbert Wibiral: Denkmai und interesse, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Band XXXVI, Wien 1983. 11 Franz Heigl: Stadtgestaitung (Städtebau 6), Wien 1985. 12 Denis Huisman: Die Ästhetik, Hamburg 1960. 13 George Santayana: The Sense ob Beauty, New York 1896. 14 Peter Breitling: Alte Stadt — heute und morgen — Gestaltwert und Nutzen alter Stadtkerne, Bayer. Staatsministerium des Inneren — Oberste Baube hörde, München 1975. 15 Peter F. Smith: Architektur und Ästhetik — Wahrnehmung und Wertung der heutigen Bau kunst, Stuttgart 1981. 16 Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main 1970. 17 Artur Waltl: Braunau am Inn — Ein Denkmal mittelalterlichen Stadtbaues, Braunau/Linz 1948. 18 Gerhard Grössnig: Indeterminismus und objektaie Phänomene, in: Mitteilungen des Institutes für Wissenschaft und Kunst 3/1984, Wien.

LALERIE !5BDLK Alfred Kubin (Leitmeritz 1877—1959 Zwickledt) „Die Stadt aus Holz" Orlg.-Lithographiaeus „Traumland 1" 1922 r. u. handsign. QUALITÄTVDLLE GBvlÄLDE ALTER&NEUER MEISTER (A-iOJHDT) ERLfSENE ANTIQUITÄTEN 4020 Linz, Klosterstraße 14 - Telefon 0 73 2/27 00 86 - Geschäftszelten: Montag-Freitag 10-12 und 15-18 Uhr, Samstag 10-12 Uhr Das Ennsmuseum „Flößertaverne am Kasten" Seit altersher waren es die für den Weiterbestand des Menschen not wendigen und von ihm entwickeiten Errungenschaften, die ,,Kuitur" erst ermöglichten. Was immer bisher als Kultur bezeichnet wurde, war wirt schaftlichen, technischen und sozia len Ursprungs. Der Mensch blieb nicht einfach Jäger und Sammler, sondern er setzte seinen Vorzug ,,Geist" ein, um für sich bessere Lebensbedin gungen zu schaffen, und wurde somit zum Erzeuger und Händler, im Ge gensatz zu Naturvölkern entstanden Kulturvölker, die sich die Schätze der Erde zunutze machten. Das Erz des steirischen Erzberges, dessen Abbau seit dem Altertum hi storisch verfoigbar ist und gewiß schon von den iiiyrern und Kelten ge pflogen wurde, steht am Beginn der wirtschaftlichen und kulturellen Ent wicklung des Ennstales. Die Verhüttung von Eisen, der vor handene Holzreichtum sowie der not wendige Transport der Güter ließen verschiedene Berufszweige entste hen. Schon seit alter Zeit gab es auf der Enns den Eisentransport zu Wasser, der mitteis Flößen und später auch mit Schiffen erfolgte. Der schon 1373 ur kundlich erwähnte Umschiagpiatz mit Floßlände, der gewiß viel ältere ,,Ka sten an der Enns" bei Weyer mit sei ner wechselvolien Geschichte, spricht heute als ,,Ennsmuseum"für das ge samte Ennstal. Durch Jahrhunderte wardieser,,Kasten" markanterMittelpunkt des Ennstales. Durch den Bau der Eisenbahn und dem Einsatz an derer Transportmittel für das Eisen und den damit verbundenen Rück gang der Flößerei wurde der ,,Ka sten" bedeutungslos und seinem Schicksal überlassen. So war es dankbare Aufgabe der Ennskraftwerke AG, im Zuge des Kraftwerkbaues in Weyer das dem Verfall preisgegebene Gebäude an zukaufen und zu renovieren. Um die historische Bedeutung des ,,Kastens an der Enns" in Erinnerung zu halten, wurde mit dem Ziel, hier ein entspre chendes Museum einzurichten, der Verein ,,Flößermuseum Taverne Kastenreith" gegründet. Mit Unter stützung des Landes Oberösterreich und dem Idealismus vieler Privatper sonen wurde dieses Ziel erreicht. Das Ennsmuseum zählt heute durch seine seltenen und sachbezogenen Exponate zu den beliebtesten und bestbesuchten Museen Oberöster reichs. (Foto: Kranzmayr) ENNSKRAFTWERKE AG. STEYR

Fenster — Türen — Breiterker Otmar Brunner In den letzten Jahren wird viel vom „Gesicht" eines Hauses gesprochen. Die toten Augen eines Hausgesichtes sind somit die Leerräu me, die entstehen, wenn die in früheren Zei ten üblichen Sprossen und Teilungen der Fenster entfallen. Sprossenlose Fenster wa ren noch vor kurzer Zeit der Inbegriff techni scher Errungenschaft. Die Sprossenteilung war notwendig für die Konstruktion der Fen ster. Von den Putzenscheiben bis zu Zweischeiben- oder gar Dreischeibenisolierglas in der Größe eines Terrassenfensters ist tatsächlich eine gewaltige technische Ent wicklung im Fensterbau festzustellen. Doch die von den Hausfrauen auch so begehrten Einscheibenfenster bewirken einen großen Verlust in der Architektur historischer Häuser. Das Wort „Fassade" kommt vom lateinischen „facies" und heißt auch im französischen „Ge sicht". Erst nachdem so viele Fenster in alten Häusern ihre Teilungen verloren haben, ent stand ein Verlust, der uns plötzlich bewußt geworden ist. Fassaden haben sich im Laufe der Zeit immer geändert und mit ihnen auch die Fenster. In der Gotik noch waren die Fen ster hinter Steingewänden angebracht, in diesen Gewänden befanden sich außerdem noch steinerne Fensterkreuze. Diese steiner nen Fensterkreuze wurden später durch höl zerne ersetzt, die Fenster brachten dadurch mehr Licht in den Raum. Sogenannte „Win terfenster" wurden noch bei den barocken Häusern in der kalten Jahreszeit vorgesetzt und in der warmen Jahreszeit wieder ent fernt. Im späten 18. Jahrhundert wurden diese Fenster außen fixiert, dies brachte den Verlust der schönen geschmiedeten Fenster körbe. Das Biedermeierfenster besteht be reits aus dem inneren und dem äußeren Fen ster, wobei das innere nach innen und das äußere nach außen zu öffnen war. Die Fen sterkörbe wurden durch ebenfalls noch kunstvoll gestaltete Fenstergitter, die zwi schen den inneren und den äußeren Flügeln angeordnet waren, ersetzt. Eine weitere Veränderung der Fenster brachte uns die Gründerzeit. Das Kastenfen ster wurde erfunden, bei dem die Flügel so di mensioniert waren, daß man sämtliche Fen sterflügel nach innen öffnen konnte. Auch diese Form brachte große technische und praktische Vorteile, da es besser vor der Wit terung geschützt werden konnte und außer dem das Putzen der Fenster erleichtert wurde. Die große Errungenschaft des 20. Jahrhun derts ist nun nach dem Verbundfenster, bei dem anfangs zwei Fensterflügel zu öffnen waren, das einflügelige sprosseniose Fen ster. Diese einflügeligen Fenster haben den Vorteil, daß sich die Fugen, die abzudichten sind, minimieren, sie haben jedoch den Nachteil, daß das geöffnete Fenster weit in den Raum hereinreicht und dadurch eine Be hinderung in der Wohnung eintritt. Neuer dings sieht man in neuen Architekturen zu nehmend Fenstersprossen. Architekten planen ihre Neubauten wieder mit geteilten Fenstern. Der Verlust dieses Architekturele mentes „Fenster" wird erkannt und mit der Teilung die Architektur besser gestaltet. Aber auch alles, was sich architektonisch rund um das Fenster abspielt, ist wichtig. Durch das Abschlagen der Fensterumrahmungen und aller damit verbundenen Zierglieder ent standen ebenfalls negative Eingriffe an den Fassaden. Die Bauwerke der Gründerzeit wurden bis vor kurzem nicht sehr geschätzt. Der „Neo-Barock" und die „Neo-Gotik" des 19. Jahrhunderts wurden in der modernen Ar chitektur abgelehnt, da alle Verzierungen an den Häusern nich mehr, wie in der Barock zeit, als Stuck nach einer Rötelvorzeichnung handwerklich aufgetragen waren, sondern als Massenware in Form von Fertigteilen in der damaligen Monarchie gekauft werden konnten und zu tausenden an die Fassaden der Zinshäuser angebracht wurden. In den Nachkriegsjahren wurden viele dieser historischen Verzierungseiemente abge schlagen und die Häuser so zu nichtssagen den Objekten mit „Hinterhoffassaden" degra diert. Die Stuckelemente und Gesimse, Fensterbekrönungen und Überdachungen waren einst Teil einer Architekturkomposi tion. Dadurch, daß in Ziegel ausgebildete Ge simse abgeschlagen wurden, entsteht eine an der Fassade verschieden stark Wasser und Schmutz aufnehmende Oberfläche und nun treten diese Elemente als unansehliche dunkle Flecken wieder in Erscheinung. Auch diese abgeschlagenen Fassaden, die nach dem Krieg als fortschrittliche Sanierung einer Fassade galten, verursachen heute ein Sprossenlose Fenster wirken in der Fassade wie „tote Augen" in einem Gesicht. — Foto: Otmar Brunner, Linz

m aP t > TTfrn Linz, Eckhaus Klammstraße 2, Promenade. Die geteilten Kastenfenster neuerer Zeit sehr belebt, teilweise aus dem 18. und beginnenden 19. Trotz der Änderung der Fensteraufgehrichtung Jahrhundert stammende Fassade wird durch die nach innen wurde der Architektur des Hauses kein wesentlicher Schaden zugefügt. Foto: Magistrat Linz, Presseamt 10

Unbehagen. Die Straßenzüge der Gründer zeit wurden ausdruckslos. Nun folgte in der Architektur die sogenannte „Post Moderne", das ist eine Reaktion auf die gesichtslos ge wordene Architektur der sechziger Jahre. Klassische Stilelemente werden wieder sa lonfähig. Die Rückführung der Fenster auf das ursprüngiiche Erscheinungsbiid scheint mir durchaus legitim, falls die Maße der Mauer öffnung noch den früheren entsprechen. Pro blematisch hingegen ist das nachträgliche Aufkleben von Sprossen. Es ist jedoch in manchen Fäilen eine kurzfristige Möglich keit, Fassaden zu korrigieren. Eine ebensolche Abminderung der architek tonischen Qualität eines alten Hauses tritt durch das Verändern von Türflügeln oder die Entfernung von Portaiumrahmungen ein. Türgewände waren einst das erste Zeichen für die Qualität des Hauses. Das Portal eines sonst schlicht gestalteten Renaissancehau ses gibt Zeugnis ab für den Kunstverstand des einstigen Hausbesitzers. Über dem Por tal war nicht selten das Wappen des Erbauers angebracht. Beispiele in der Linzer Altstadt: das Kremsmünsterer Stiftshaus oder der Wappenstein am sogenannten Prunerstift im Linzer Ledererviertei (Wappen des Bürger meisters Johann Adam Pruner). Die Hausein gangstüre wurde aber auch bei den einfach sten Bauernhäusern besonders gestaltet. Ein Steingewände mit eingemeißelten Jahres zahlen bzw. Initialen ist vielfach zu finden. Daß dann das steinerne Türgewände noch besonders ausgebildete Kämpfer und Schlußsteine hat, ist keine Seltenheit. Je nach der Zeit seiner Entstehung können die Gewände mit Sonnenrädern und Kreisschei ben, aber auch mit besonderer Nutung ver ziert sein. Gotische Portaleinfassungen sind in Linz selten. In der Stadt Steyr und in Frei stadt sind diese häufig hinter Putz- und Mau erschichten vorhanden. Die Türblätter sind sogar bei ganz bescheidenen Häusern als rautenförmig aufgedoppelte Brettertüren vor handen. Die häufigste Konstruktion ist die Rahmen- und Füllungstüre. Eine ganz besondere Ausformung erfuhren die Portale der Barockzeit. Die meist korbbogigen Portalöffnungen werden häufig durch oft auch über Eck gestellte, mit klassischen Kapitälen bekrönte Pfeiler oder Säulen flan kiert. Die darüber befindlichen Giebel sind entweder geschweift ausgebildet oder mit einem gesprengten Giebel versehen. Die Giebelfelder sind häufig mit Stuckranken ausgefüllt und bei Freihäusern mit Steinwap pen versehen, wie bereits oben beschrieben wurde. Die Türblätter barocker Portale sind meist als Füllungstüren ausgebildet, wobei die Rahmen und Füllungen der spätbarocken ■'II 1 Ii ■H BS ■■ i "(„HKtKWI» Linz, Melicharstraße 11. Die Fenster dieser architektonische Einheit und sind an diesem frühen Jugendstilarchitektur bilden bereits ein Haus noch in ursprünglicher Form erhalten. - vom Architekten entworfenes Architektureiement. Tür, Fenster, Fassadenornamente bilden eine Foto: Rudolf Bauernfeind, Linz 11

Ausführungen reich geschwungen und ge schnitzt gestaltet wurden. Besonders iiebenswürdig erscheinen uns die Eingänge aus der Biedermeierzeit. Die Stein gewände sind häufig mit einem Flechtband oder mit schuppenförmig übereinander iiegenden Scheiben verziert. Die Türblätter ent halten oft ornamentierte Feider. Die häufig über den Türfiügei befindlichen Oberiichten können ais schmaie, geschwungene Öffnun gen mit Sprossenteilungen oder Gittern aus geführt sein. In der Gründerzeit und in den Jahren des Jugendstiis wurden die Hausein gänge immer noch ais besondere Architektureiemente gestaltet. Vorbild waren die Portaie früherer Stiiepochen. Neobarock — oder Neorenaissanceeiemente flößen In die Archi tektur der Mietshäuser ein. In der Zeit der Jahrhundertwende wurden diese Stilformen verfremdet. In der Zelt des Jugendstils entstanden besonders dekorati ve Formen von Türbiättern. Die handwerkiiche Kunst trat wieder in den Vordergrund. Erst in den fünfziger und sechziger Jahren unseres Jahrhunderts entartete der Hausein gang zu einer ungestaiteten Öffnung, die man nicht von einer Schaufensterfront unter scheiden kann. Irgendwo in der Fassade war der Eingang. Metall-Glaskonstruktionen oder später Nur-Giaskonstruktionen haben die Portale verdrängt. Und so kam es, daß die Fassaden historischer Häuser auch diesem Zeitgeist zum Opfer fielen. Anstelle barocker Türflügel traten unpersönliche Aiuminiumkonstruktionen. Ein Hauseingang, ein 1 sJ Links: Linz, Ebelsberg, Fadingerplatz 13. Einfache Hauseingangstür. Die bestehenden Türflügel wurden ausgebessert und wieder verwendet. Foto: Rudolf Bauernfeind, Linz Oben: Linz, Wappenstein über dem Eingangsportal des Pruner-Stiftes, das nach seiner Renovierung ais Musikschule der Stadt Linz eine neue Verwendung gefunden hat. — Foto: Kurt L. Polke, Wien 12

Linz, Bürgerstraße 44. Typisches Beispiei eines Hausportais im Stii des Historismus. Foto: Rudoif Bauernfeind, Linz Schaufenster, der Eingang einer Bank, alles wurde durch Aluminiumglaselemente ersetzt. Erst in letzter Zeit beginnen Eingänge und Portale wieder an Gestaltung zu gewinnen. Leider werden aber noch immer bei Ge schäftsumgestaltungen alte Türflügel ent fernt und durch Aluminiumkonstruktionen entstellt. Würden die neuen Elemente wenig stens in eine architektonische Beziehung zum Bau gebracht und in moderner Form ge staltet, könnte man den Formverlust ab mindern. In Linz wurden in der letzten Zeit Versuche unternommen, bereits zerstörte Geschäfts portale wieder architektonisch zurückzufüh ren. Meist erhielten die Geschäfte in den sechziger Jahren, ohne Bezug auf die Archi tektur des Hauses, Glasportale über die ge samte Breite des Hauses. Waren Säulen oder Pfeiler vorhanden, wurden diese durch das Anbringen von Spiegeln optisch unsichtbar gemacht. Die seitlich der Fassade noch vor handenen Mauerscheiben wurden ebenfalls durch bis zur Grundgrenze reichende Vitri nen verglast, so daß historische Häuser ihre Basis verloren. Das bedeutet aber ein völli ges Mißachten der Architektur dieser Häuser, denn die Fassaden waren ja architektonisch auf ein Basisgeschoß, das meist durch eine in Putz ausgebildete Rustika gestaltet war, aufgebaut. Bereits die Gründerzeit kannte die Problema tik der Schaufensterfronten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte man jedoch eine sanftere Methode gefunden, größere Schaufensterflächen vor die Fassade zu set zen. Die sogenannten Tischlerportale wur den erfunden. Holzkonstruktionen wurden in historischer Manier mit Gesimsen und Kon solen vom Tischler gefertigt und vor die Fas saden gesetzt. Dadurch wurden zwar die Erd geschoßzonen verdeckt, aber in die Fassaden keine großen Löcher geschlagen. Entfernt man diese Portale, erscheint meist wieder die alte Architektur. Durch das Entfer nen solcher Portale sind jetzt manche Breit erker an mittelalterlichen Häusern zum Vor schein gekommen. Viel problematischer sind die Ausbrüche, die in den sechziger Jahren vorgenommen worden sind. Auf diese Weise ist manche denkmalwürdige Architektur zer stört worden. Sind die Konsolsteine und toskanischen Säulen eines Breiterkerhauses einmal entfernt, können sie im denkmalpflegerischen Sinne nicht mehr ersetzt werden. Dennoch gelingt es immer wieder, Portalzo nen zu verbessern und rückzuführen. Einige Beispiele in Linz sind die Gestaltung der PSK an der Landstraße, Verbesserungen im Ge schäftsbereich des Kaufmännischen Vereins hauses, die jüngste Gestaltung des Portales der Fa. Geier-Optik in der Nähe des Tauben marktes und verschiedene Verbesserungen in der Linzer Altstadt. Fassade und Geschäftszone müssen wieder zu einer architektonischen Einheit zusam mengeführt werden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden bereits Häuser mit erdgeschoßiger Geschäftszone geplant. Ein gutes Beispiel ist in Linz das Kaufmänni sche Vereinshaus. Daß diese bereits als Ge schäftsarchitektur ausgeführte Zone später wieder verschlechtert wurde, ist dem Bemü hen der Werbung zuzuschreiben, möglichst neuen Modetrend in der Portalgestaltung zu zeigen. Außerdem ist der Kampf um jeden Quadratzentimeter Schaufensterfläche der Geschäftsleute in vieler Hinsicht nicht einzu sehen. Durch dieses Bestreben, möglichst noch größere Schaufenster zu erreichen, wurde schon so manches Haus, aber auch manches Denkmal zerstört. Die Werbung wird in der Zeit des Fernsehens besonders groß geschrieben. Nicht nur, daß in letzter Zeit der „Wald" an Werbetafeln gan ze Ortsbilder verfremdet und beeinträchtigt, auch die Aufschriften der Geschäfte und die überdimensionalen Steckschilder und Schriftbänder, die vertikal an den Häusern angeordnet sind, verdecken schöne Fassa den und konkurrieren sich in der Größe ge genseitig. Eine Werbung will die andere übertreffen. Durch diesen Wettstreit der Werbungen wur den die Architekturen verdeckt und die Wer beeinrichtungen heben sich gegenseitig auf. Eine Rückführung und Anpassung an die Ar chitekturen der Häuser wäre auch hier ange bracht. Wie schön sind alte Steckschilder, diese Art von Werbung wird als Schmuck empfunden. Sicher ist die Altstadtarchitektur ohne Werbung nicht möglich. Viel wurde be reits bei der Verbesserung der Geschäftsar chitektur erreicht, die Werbung jedoch hinkt in dieser Betrachtungsweise weit hinten nach. Als ich noch am Institut für Baukunst Assi stent bei Prof. Koepf war und die Aufgabe hatte, mit Studentengruppen Altstadthäuser zu vermessen, hatte ich immer wieder Gele genheit, mich mit Details an den Häusern in tensiv zu beschäftigen. Vor allem war es mir möglich, durch die Arbeiten am Institut Ver gleiche in verschiedenen Städten und an ver schiedenen Architekturen anzustellen. In Linz war es vor allem der sogenannte „Breiterker", der mich speziell beschäftigen sollte. Sämtliche Häuser des Linzer Haupt platzes sollen an der Platzfassade einen über die gesamte Breite des Hauses reichenden Erker gehabt haben. Diese Erkenntnis stammt von Prof. Koepf, der in der Broschüre „Stadtbaukunst in Linz" im Jahre 1975 fest13

Linz, Landstraße 59—61. Die Architektur dieses Hauses aus der Gründerzeit wurde durch einen späteren Portaleinbau optisch empfindlich gestört. Aufnahme vor Verbesserung der Portalzone. Stellte, daß das baukünstlerische Idiom von Linz der Breiterker sei. Jede der alten Städte oder Märkte hatte besondere Kennzeichen und die Häuser spezieiie Merkmale. Die Breiterker sind bisher nicht vor dem 15. Jahrhundert nachgewiesen. Sie sind auf den Aitstadtkern beschränkt und kommen vor allem am Hauptplatz und in den umliegenden Gassen, wie Pfarrgasse, Rathausgasse, Klo sterstraße, Hofgasse und Hofberg, vor. Ein zelne dieser Erker befinden sich noch in der Badgasse, am Pfarrplatz, in der Adlergasse, in der Neutorgasse, der Zollamtstraße, am Graben und in der Mariengasse. Stiftshöfe und Freihäuser besitzen keine, höchstens kleine Rudimente. Die meisten Breiterker ba sieren auf einem zur Gänze oder beinahe zur Gänze über die Hausbreite bis zu etwa einem Meter auskragenden Obergeschoß an der Straßenfassade. Die darüber hegenden Mau ern werden von Wandiamellen oder Säuien getragen. Diese über dem Erdgeschoß befindiiche Ausladung könnte auf eine ehemali ge Hoizkonstruktion zurückgehen. Doch sind nirgends solche frühen Prototypen aus Holz erhalten geblieben. Die Ausbildung der Kon solsteine bzw. Kragsteine entspricht der eines auskragenden Hoizbalkens. Je nach der Länge der Auskragung kommen einfache oder auch zweifache übereinanderiiegende Konsoien vor. Die Einbindungslänge dieser Steine entspricht etwa der Länge der Ausla dung. Interessant ist die Ausformung der Stirnflächen. Entsprechend einem Holzbal ken, den man durch eine geschnitzte Tropfu 1 u T T II 5 Das gleiche Haus nach Wiederherstellung der ursprünglichen Portalarchitektur. — Beide Fotos: Otmar Brunner, Linz 14

m 1 M I Die Fassade des von der Stadt Linz restaurierten Marx Martin Spaz, Erker mit Zwiebelhelm. Die Kremsmünsterer Stiftshauses in der Linzer Altstadt ist ein gutes Beispiel einer sich überlagernden Architektur aus verschiedenen Architekturperioden. Erbaut 1579—1580 von Christoph Canevale, 1615—1616 umgebaut von flache Putzgliederung stammt aus der Barockzeit. Bei der jüngst erfolgten Renovierung wurden die Fenster wieder in die Granitgewände zurückversetzt. — Foto: Erich Punz, Linz Breiterker sind ein typisches Linzer Architekturelement aus der gotischen Bauperiode des 15. Jahrhunderts, wahrscheinlich sind sie auf noch ältere Architekturformen zurückzuführen. Links im Bild der freigelegte Erker des Hauses Pfarrgasse 8, daneben der Breiterker des Hauses Pfarrgasse 10 mit aus dem 16. Jahrhundert stammenden toskanischen Säulen, die als Stützelemente später unter die Konsolsteine gestellt worden sind. — Foto: Werner Gattermayr, Linz kante vor dem eindringlichen Wasser in das Hirnholz schützt, befindet sich oben eine schmale, kantig ausgebildete Fläche, darun ter meist eine Ausrundung oder eine Schrä ge. in vielen Fällen wird der Kragstein noch durch einen halb eingemauerten steinernen Vorlagepfeiler unterstützt. Im 16. bzw. 17. Jahrhundert wurden viele Erker durch eine toskanische Säule gestützt. Bei näheren Un tersuchungen bemerkte ich häufig einen Bruch des Kragsteines. Die erste Sanie rungsmaßnahme dürfte das Unterstellen von rechteckigen Wandpfeilern aus Granit gewe sen sein. Eine sehr kultivierte Form der Un terstützung geschah durch die Stützung mit tels toskanischer Säulen, die wahrscheinlich auf das späte 16. Jahrhundert zurückgeht. Der Breiterker des 17. Jahrhunderts hat be reits diese Säulen miteingeplant. Ein gutes Beispiel bietet das Haus Hauptplatz 29 „Apo thekerhaus". Der Erker dieses Hauses reicht über sieben Fensterachsen (davon je zwei Doppelfenster), was im Erdgeschoß fünf Bogenfelder ergibt. Er ruht auf sechs granite nen, mit Knorpelwerk und Voluten ge schmückten Konsolen auf, die von toskani schen Säulen getragen werden. Eine große Überraschung barg das Haus Hofberg 6. Bei einer Untersuchung des Mau erwerks stellte sich heraus, daß der über zwei Geschoße reichende, im Jahre 1663 von Mat hias Panlechner errichtete Vorbau einen Breiterker enthielt. Dieser Erker hatte nicht etwa Bögen über den Konsolen, sondern eine etwa 15 cm starke Granitplatte, welche 15

vor der Freilegung für ein Gesimse gehalten wurde. Die Untermauerung dieses Erkers war klar zu begründen, da die Platte einige Male an den Biegestellen gebrochen war. Nicht bei jedem Breiterker konnte man die Ur sache für eine spätere Untermauerung in Konsolbrüchen oder anderen Gebrechen fin den. Der Breiterker des Hauses Hofgasse 10 war mit einem Holzportal verbaut. Nach der Entfernung des Tischlerportales stellte sich heraus, daß außerdem noch eine Untermaue rung vorhanden war. Da die Konsolen nicht gebrochen waren, konnte der Erker ohne sta tische Maßnahmen freigelegt werden. War etwa das Zumauern der Breiterker auch im 19. Jahrhundert Mode geworden? Nach all den bisher durchgeführten Freile gungen kann ohne Zweifel festgestellt wer den, daß der Linzer Altstadtteil des 13. Jahr hunderts den Breiterker als typisches Architekturelement aufzuweisen hatte. Ob in dieser frühen Zeit dieser Erkervorbau bereits in Stein ausgeführt war, kann nicht festge stellt werden. Die Häuser aus dieser Zeit hat ten ein wesentlich anderes Aussehen wie heute. Sie waren zweigeschoßig und hatten steile Dächer, die senkrecht zur Straße zeig ten. (Ähnlich dem bekannten Bummerlhaus in Steyr.) Die Fassaden wurden an der Ober fläche oft verändert, die Breiterker jedoch sind geblieben. Trotz beachtlicher Schäden an den Konsolen und Bögen ist es uns dank neuer technischer Methoden möglich, diese Relikte mittelalterli cher Bürgerhäuser wieder ans Licht zu brin gen. Noch vor hundert Jahren war man ge zwungen, gebrochene Erker zu vermauern. Alte noch bekannte Handwerkstradition, wie das Mauern von Ziegelbögen und das Be bauen von Steinen in Verbindung mit der mo dernen Stahlbetontechnik, bietet große Mög lichkeiten bei der Sanierung ältester Bauten. Der Linzer Breiterker kann als typische Bau form mittelalterlicher Bürger- und Handwer kerhäuser auch im 20. Jahrhundert eine ar chitektonische Bereicherung der Altstadt ergeben. , m ^ Linz, Hofberg 8, datiert 1671, ein besonders schöner Breiterker in der Linzer Aitstadt. — Foto: Werner Gattermayr, Linz BILDER /J DAMETZSTRASSE 25, Tei, 270-270, 270-654 Orig. Ölgemälde Graphikgalerie 16.—20. Jhdt. #/ (keine Mittagssperre) Kunstdrucke Restaurierungen Rahmungen Kupferstiche und ViiiJ/ Spiegel, Karniesen aite Landkarten KnMu DINGHOFERSTRASSE 69, Tei. 53 5 36 Gemäideschau (Ecke Biumauerstraße) besonders preisgünstiger Ölgemälde. geöffnet Mo.—Fr. von 9—12 und von 13.30—17.30 Uhr Gute Parkmöglichkeit 16

Die Städte Oberösterreichs Hans Koepf Städte waren früher unverwechselbare Er scheinungen, die von der Natur, von der Ge schichte und von der Struktur ihrer Bewohner geprägt waren. In der späteren Zeit, vor allem im Zeitalter der Industrie, glichen sich die Städte wie deren Bewohner immer mehr ein ander an. Das Siedlungsgebiet, das zu nächst klar akzentuiert und eng begrenzt war, begann sich immer weiter auszudehnen, oft weiter, als dies unbedingt notwendig war, weil irgendwo ein Baugelände erschlossen wer den konnte. Die Städte waren so keine ge schlossenen Organismen mehr, sondern wuchsen und wucherten. Damit entstanden wieder Verkehrsprobleme und Verkehrsströ me, die man mit Hilfe der Motorisierung leicht in den Griff zu bekommen glaubte. Das war natürlich ein Trugschluß. Denn mit der Motori sierung kam die Luftverschmutzung und ihr folgte die Lärmbelästigung. Je höher die Ver kehrsdichte wurde, desto weniger flüssig wur de der Verkehr, bis in Spitzenzeiten der Ver kehrsinfarkt eintrat. Die so „gut geplante" Stadt funktionierte immer weniger gut. Die Stadtqualität blieb auf der Strecke. Was blieb, war Unbehagen, was moderne Soziologen als „Unwirtlichkeit" bezeichnet haben. Der blinde Glauben an die die Zukunft war der Er nüchterung gewichen. Erst als das große Erbe in voller Auflösung begriffen war, began nen sich die Menschen Gedanken zu ma chen, was wohl einst zur Schönheit alter Stadtgründungen geführt hatte und was nun umgekehrt die Gründe für den rasanten Ver fall der Stadtkultur sind. Einen Fehler erkannt zu haben, scheint manchen Betrachtern schon der Beginn einer Umkehr und die Wen de zum Besseren zu sein. Doch sind manche Fehler irreversibel und deshalb kaum mehr zu beseitigen. Die grundlegenden Fehler lie gen bereits im falschen Denkansatz, der die Gehirne vernebelt hat. Falsche Propheten, wie der unselige Zukunftsträumer Le Gorbusier und sein ganzer Anhang, gingen um und predigten eine herrliche Zukunft. Die Athei sten glaubten an „weiße Kathedralen", mit de nen sie die alten Häuser und Städte in den Schatten stellen und glatt überstrahlen könn ten. Was dann kam, ist bekannt. Der große Magier und seine kleinschreibenden Mitläu fertypen begannen das neue Bauen mit Ma schinen und ihre „bodenlosen" Häuser mit Autos, Dampfern und Flugzeugen gleichzu setzen. Die Folge war, daß zwar die neuen Häuser nicht fliegen konnten, jedoch allmäh lich zu klappern, zu rosten und sich aufzulö sen begannen. Die kleinen Häuser ä la Poissy und Garches gefielen nicht einmal mehr ihren einst privilegierten Besitzern und die gi gantischen „Gites d' habitation" noch weniger den Massenmenschen, die man mehr oder weniger zwangsweise hier hineingestopft hatte. In dem Riesenkoloß von Brie-en-foret wohnten am Ende noch zwei algerische Gastarbeiter, bevor der defekte Kasten mit Brettern vernagelt wurde. Ebenso ging es der neuen Hauptstadt aus der Retorte Ghandigarh und der grauenvollen Fehlplanung Bra silia, die von den Zwangsbeglückten einfach nicht angenommen werden. Wenn man diese Entwicklung der „neuen" Städte einmal miterlebt und analysiert hat, beginnen die „alten" Städte, allen ihren Feh lern zum Trotz, plötzlich wieder interessant zu werden, was sicher nichts mit historischen Regungen oder Denkmalpflege allein zu tun hat. Diese Städte besitzen noch emotioneile Werte, die man nicht materiell erfassen kann. Es Ist dies etwas, was man etwas unklar das „Stadtbild" nennt und was moderne Siedlun gen eben nicht mehr auszubilden vermögen. Das Stadtbild entwickelt sich aus der Topo graphie heraus, im Gegensatz zu modernen Agglomerationen, bei denen man das Gelän de möglichst einebnet. Genau so geht es den Baukörpern. Diese werden einander angegli chen, wo man früher Akzente zu setzen ver sucht hat. Wenn man früher bemüht war, auf eine Anhöhe noch einen weiteren Schwer punkt zu bilden, wird heute aus Gleichschal tungsgründen kein Höhepunkt mehr gesetzt. Alles wird in das Prokrustesbett der grauen Masse gezwungen. Nur Hochhäuser gibt es heute noch, weil das Hochhaus, die traurigste Form der menschli chen Gleichschaltung und der profillosen Anonymität, eine Art Metapher für eine Groß stadt zu sein scheint. Doch ist das Hochhaus nicht ein Symbol für Größe, sondern nur für die potenzierte Form der Anonymität. Mit dem Aufgang der Quantität ist auf diesem Sektor der Untergang der Qualität ver bunden. Das Stadtbild Ist aber nicht nur in der Außen erscheinung der Stadt eine festgeprägte Grö ße mit ganz verschieden betonten Akzenten, sondern auch im Stadtinneren, wo sich die Akzente wieder variiert zu Wort melden. Die Innenbilder einer Stadt sind nie so langweilig wie bei den uniformen Baukörpern der „Neuen Heimat", die ein unaufmerksamer Mieter glatt miteinander verwechseln kann und das erst bemerkt, wenn sein Schlüssel nicht mehr paßt oder ein Fremder die Türe aufmacht, um sich den „Eindringling" an zusehen. Wie bereits Gamillo Sitte bemerkt hat, bilden die sich rechtwinkelig überschneidenden Straßen mit ihren streng ausgerichteten Hausfronten die langwelligsten und somit auch die trostlosesten Straßenbilder. Wenn es in diesen Städten überhaupt noch Denk mäler gibt, so stehen diese „natürlich" In der geometrischen Mitte eines Platzes und sind für alle Betrachter gleich uninteressant — die Hälfte bekommt immer die Rückfront zu geteilt. Wie die Straßen haben dann auch die Plätze ihre Höhepunkte verloren. In allen Städten nahmen die Straßenbreiten allmählich zum Stadtmittelpunkt zu. Hier sind die größten und breitesten Häuser, die meist noch durch einen besonderen baulichen Akzent ausge zeichnet sind. Diese Akzentuierung kann an den drei Hauptplätzen von Linz, Enns und Freistadt abgelesen werden. In der Mitte der Längsfront steht hier das breiteste und höch ste Gebäude, das außerdem noch durch eine besondere Dachbekrönung akzentuiert ist. In Freistadt ist die Situation fast ungestört, in Linz ist es mir nach langer Zeit gelungen, die Aufstockung des Funcke- und Loos-Hauses (Hauptplatz 14) herunterzuzonen und fast gleichzeitig stockte aber ein uneinsichtiger Gastwirt sein Haus in Enns wieder um eine Etage auf, was nicht nur am Hauptplatz, son dern vor allem auch auf der Rückseite im Stadtbild als Dissonanz wirkt. Der Stadtplatz ist Kristallisationszentrum und Mittelpunkt der oberösterreichischen Stadt. Er kann als regelmäßiges, mehr oder weniger langes Rechteck, wie In Linz, Enns oder Frei stadt, ausgebildet sein, er kann leicht ver schobene Langseiten, wie in Schärding oder Eferding, oder einen städtebaulich bedingten „Versatz" wie in Ried haben. Daneben gibt es den Straßenmarkt, der durch seine enorme Länge auffällt, wie in Braunau oder Vöcklabruck, und seitlich kurviert, wie in Wels, oder fischblasenähnllch gebläht, wie in Steyr. Die Störungen Im Stadtbild wirken sich also nicht nur im Nahbereich, sondern vor allem im Fernbild in zunächst ganz unvermuteten Perspektiven aus. Was hat es für einen Sinn, wenn man — wie zum Beispiel in Wels — die Häuser und Dächer im Stadtkern noch eini germaßen im Rahmen zu halten versucht, da hinter aber ein klobiges Hochhaus diesen Rahmen über den Dächern wieder tot schlägt? Was nützt es, wenn am Hauptplatz derselben Stadt noch einige wohlerhaltene Gebäude stehen, während an der nächsten Ecke in einer Seitengasse sich ein gesichts loser Neubau breitmacht? Städtebau Ist nicht nur eine Sache der Relationen, sondern vor allem der Qualifikationen, ohne daß man neue Bauten unbedingt dem Altbestand an passen muß. Nur darf der Qualltätsvergleich nicht so negativ ausfallen, daß damit auch die Altsubstanz am Ende noch mitzerstört wird, die man an anderer Stelle zu erhalten vorgibt. Die Stadt und besonders der Stadtkern ist eine Einheit, die durch unpassende Bauten empfindlich gestört und sogar entwertet wer den kann. Sie ist aber auch ein lebender Qrganismus, der nicht durch eine übertriebene 17

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