Die Müllhalde Meine Großmütter Toter Mensch Nächst der geweihten Stätte der Toten rieselt Unrat in müllige Mulde: Geschändete Dinge, mißfarbig, übel, verbrauchter verworfener faulender Mist. Aber am Rande ist schon der Gräser Fußvolk im Vormarsch und der Holunder sät seiner Blüten Stemenschnee über den Wust . . . Beide hager. Die ältere gichtisch, gekrümmt, blauäugig, ernst, streitbar. Die Last adliger Ahnen im Blut. Der ungleiche Gatte schon mit sechzig verstorben. Die andere gütig. Herzblutspenderin. Licht meiner Kindheit — das einzige Licht. Mutter zweier Menschen verschiedenen Geschlechts und Charakters, litt sie an beiden. Ihr Leitbild: der Kaiser. Fromm ohne Kirchgang. Liberal wie die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Änderung liebte sie nicht: sechzehn Jahre Sommerfrische nur in Frohnleiten. Ein Mensch der Wohnung, nicht der Bewegung, des Tiefatmens, Schauens, sondern: „Gartenlaube" und Domino. Dennoch nie krank. Nicht einmal Grippe. Doch im Herbst 1920 verhungert. Toter Mensch im Grabe, engelsbleich und still, einsam, ohne Habe, ohne Wunsch und Will'. Wozu du auch neigtest: Wahrheit oder Wahn, was du tatst und zeugtest - nichts mehr ficht dich an. Klarer nicht noch trüber macht dich ein Gefühl. Alles ist vorüber, Leid und Lustgewühl. Geist, der dich befeuert, ist nicht mehr in dir. Ewig unerneuert wirst du Erde hier. Erdhaft wird dein Wesen, Haut, Fleisch und Gebein. Wie du einst gewesen, wirst du nie mehr sein. Geht auch nichts verloren, wird doch nichts Gewinn. Der dein Sein erkoren, kennt allein den Sinn. Bettet mich einst . . . Bettet mich einst wie ich schlief: seitlich geneigt das Gesicht, die Arme gestreckt. Jeder ist endlich und keiner. Als Mensch versucht' ich zu leben — unzulänglich. Adams Bruch ist in uns. Wir humpeln auf Krücken. 97
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