ging den langen Gang auf und ab und überlegte, ob ich eine dritte Kiste packen sollte. Leider tat ich es nicht. Auch heute, oder genauer: gestern war ich oben. Du hast ja die über schwemmten Eier gesehen in der Küche. Als es jedoch im Lautsprecher hieß: „. . . nähern sich der Stadtmitte" ließ ich die Pfanne stehen, drehte alle Gashähne ab, nahm meine Aktentasche und ging in den Keller. Dort, bei schlechtem Licht und den ewig strickenden Frauen litt es mich nicht lange. Ich sah nach den Kisten, zum Kohlenkeller, stieg die Treppe hin auf, war unruhig. Meine Nerven wußten mehr als mein Kopf. Als ich die Türe zum Stiegenhaus öffnete, riß mir eine heftige Zugluft den Hut weg, ich fing ihn gerade noch auf. Gleichzeitig gab es einen betäubenden Lärm. Ich wich ein paar Stufen zurück, doch da kamen schon Leute her auf. Ein Durcheinander an Stimmen, an Schreien, Rufen. Einige kletter ten durch den Notausgang ins Nebenhaus. Mit den anderen kam ich wie der ins Parterre. Im langen Hausflur, durch den man von der Straße hinter der Kirche wieder ins Freie kommt, waren die großen Schaufenster des Hutgeschäftes kaputt, man trat auf Scherben. In den Auslagen brann te es: Winter- und Frühlingshüte, Filz, Stroh, Ständer, Stumpen. Ich woll te hinauf in die Wohnung. Aber die Stiege war zusammengestürzt, ein Schutt- und Steinhaufen. Auf einmal wimmelte es von Leuten. Und nun brannte es nicht nur im Flur, das Haus brannte, der Aufzug, er entwickel te eine große Hitze. Während mit Schauen und Hin- und Herlaufen kost bare Zeit verging, rollte Feuerwehr heran, Soldaten, die, wie man bald heraushörte, nicht deutsch sprachen. Sie hatten Stahlhelme auf, arbeite ten gelassen, übungsmäßig, diszipliniert. Im Nu waren die Schläuche bei sammen, schoß der erste Strahl ins Feuer. Der ganze vordere Trakt brann te. Im Hof des hinteren Hauses sah ich, wie sie Wasserstrahlen auf die Brandherde richteten, durch die zersplitterten Fenster spritzten, die Schei ben, wo sie noch ganz waren, eindrückten. Sie lenkten die Wasserstrahlen überall hin, auch wo es nicht brannte; so löschten sie das Feuer. Was ging in diesen Augenblicken in Dir vor, forschte ich. Im ersten Au genblick war ich verwirrt, nicht nach außen, innen. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt an die Wohnung dachte oder doch nur, bis ich Gewißheit hatte, daß es vergebens war. Ich hatte aber den Drang zuzugreifen, etwas Nützliches zu tun. Zunächst bot sich aber keine Gelegenheit. Die Luft schutzgeräte erwiesen sich bei diesem Großfeuer als ganz und gar unge nügend. Schließlich half ich der Hausmeisterin, die ihre Wohnung räum te, die am Ende des Flurs lag. Das war keineswegs einfach. Es gibt zwar nur eine Hausmeisterin, aber insgesamt sind dort drei Frauen. Keine mehr jung, am besten sieht noch die Großmutter aus, eine Bauerntochter aus dem Mühlviertel. Der Mann der Jüngsten wohnt auch dort, der war nicht zu Hause. In zwei Zimmern und einer Küche hausen dort vier, nein, sechs Menschen, denn Kinder sind auch noch da. Ich kannte die Wohnung, man hat doch oft zu tun mit der Hausmeisterin, es war immer eine verdorbene, muffige Luft dort. Die unglaublich vielen Schachteln und Kartons, auf Kasten bis zur hohen Decke angeräumt, hatten schon immer meine Verwunderung erregt. Als ich sie einmal zu zählen versuchte, bin ich damit nicht fertig geworden. Es war ärger als in einem Trödelladen. Eine Weile schleppte ich solche Dinger ins Hinterhaus, auch Kleider, Anzüge auf Rechen — es nahm kein Ende. Erst als ich merkte, daß das Feuer dorthin nicht mehr kommen konnte, hielt ich inne. Nun fielen mir die Kisten ein und das Fahrrad, das ich irgendwo hingelehnf hatte. Wo waren sie? Ein Unbekannter sagte mir, man habe sie über die Straße gebracht, sie stünden in einem Hausflur. Wenigstens etwas, ich atmete auf. Unterdessen war entwarnt worden, im Trubel hatte ich es überhört. Jetzt sah ich mir das Haus von außen an. Aus einigen Fenstern qualmte es noch, Rußstücke in der Größe einer Fünf-Mark-Münze trieben durch die Luft, nun war es sicher, daß ich keine Wohnung mehr hatte. Ein paar Minuten stand ich unschlüssig da, überlegte. Da kam wie bestellt dieser Gaul mit dem Wagen daher, ein al ter Mann saß am Bock, das Plateau war leer. Ich hielt ihn an und wir einigten uns. Alles übrige weißt Du. Rainer schwieg nach diesen Worten, und es war mir, als hätte er zu mir herübergegriffen. Ich kann mich aber auch geirrt haben. Ein kleiner Riß in meinen Nerven, eine winzige Atemhemmung. Vielleicht wollte er mir die Hand drücken. Ich tat, als hätte ich nichts gemerkt. So, sagte ich dann, so war es also. Aber wie war's wirklich? Wie war Dir zumute? Rainer antwortete nicht sofort. Ich weiß nicht, ob es dafür Worte gibt. Wenn zu Dir einer sagt: Ich liebe Dich, so ist das, wenn er nicht lügt, eine Formel für ein Meer von Gefüh len, das über die Gefühle selbst wenig aussagt. Sie können seicht sein oder von tödlicher Tiefe. So und so sind sie noch Meer. Ich fand es nötig, ihn zu unterbrechen. Du hast, sagte ich, von kritischen Situationen in den Katakomben gesprochen, welcher Art waren sie? Ein Unbehagen, das durch Enge, Ausweglosigkeit, vielleicht durch blo ßen Sauerstoffmangel und sehr trübes, manchmal flackerndes Licht her vorgerufen wird; ein dumpfer Druck, der Dich wie ein Glockensturz von der frei wehenden Luft abschließt. Ein psychischer Atmosphärendruck, dem man nicht lange standhalten könnte. Und wie war's am Vormittag, wollte ich wissen. Rainer überlegte. Als es mir den Hut vom Kopf riß, war gar nichts, auch kein Erschrecken. Einen Augenblick lang hielt ich's für Zugwind, wußte aber auch schon, daß et was geschehen war. Obschon im Geiste mit dieser kleinen Katastrophe rechnend, war ich doch für Sekunden ratlos. Zugleich fühlte ich mich er löst, befreit, die Sorge um die Wohnung war weggefallen, ich hatte Bal last abgeworfen. Nun hatte ich mit der Situation fertig zu werden. Derlei huschte durch mich und war auch schon wieder fort. Für ruhiges Überle gen war keine Zeit, ein Motor in mir drängte mich, etwas zu tun, viel leicht, um meine stumme, verhaltene Erregung abzureagieren. Für Be stürzung oder gar Trauer war kein Raum in mir. Eher für gänzlich Nebensächliches. So fiel mir, als ich den Keller verließ, ein, daß heute Goethes Todestag war. Ich mußte laut lachen. Typischl rief ich. Rainer schwieg. Nach einer Wei le redete er weiter. Ich habe mir oft vorzustellen versucht, wie es einem Reiter während einer Attacke zumute sein muß. Aber so was gibt's ja nicht mehr. Also sagen wir einem Soldaten, der ins Handgemenge gerät, in einen Nahkampf. Ich meine, da ist niemandem mehr „zumute", eher vorher, wenn man in Er wartung großer kommender Ereignisse ist. Und weiß, daß es zu handeln gelten wird, und weiß nicht, ob man's richtig machen, das, was zu tun, rechtzeitig tun, ob man dem äußeren und inneren Befehl, der Pflicht ge horchen wird. Es fragt sich, ob man dann überhaupt willensmäßig han delt, ob nicht „es" handelt, die Natur in einem. Bewußtsein, Überlegung, Beherrschung sind wahrscheinlich ausgeschaltet. Du wirst getrieben, die Umstände treiben Dich. Du bist in einer Höhle, es gibt kein Zurück, denn hinter Dir kommt das Wasser. Der animalische Trieb, sich zu erhalten, sich zu wehren, ist Trumpf. Nichts sonst. Möglich, daß man im Kampf durch Wiederholung heimisch werden kann, daß Übung besonnener handeln läßt. Ich habe mir von erfahrenen Kriegern erzählen lassen, daß die Hose nur einmal voll wird. Was glaubst Du, wie es Dir dabei erginge, fragte ich. Wahrscheinlich schlecht, erwiderte Rainer sofort. Aber, um es genauer zu sagen: Ich weiß es nicht. Es gibt da keine gedachte, nur eine täterische Antwort, die Probe. Und nach einer Pause: Das, wovon ich da schwätze, ist eine Extremsituation, die ich noch nicht erlebt habe. Meine Lage war von einer solchen weit entfernt. Ein Schmarrn, ein Nichts dagegen. Ich schäme mich, daß ich überhaupt davon rede, so redselig gewesen bin. Ich meine, wir sollten schlafen. Ich konnte nur mit Mühe die Erregung verbergen, in die mich die Worte Rainers versetzt hatten, versuchte aber der Situation eine gleichmütige Wendung zu geben. Wie kriegerisch ihr Männer doch seid! Von Dir hätte ich das am wenig sten erwartet. — 93
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