fragte ich. — Meine zwei Bücherkisten aus dem Keller bringe ich zu Mut tern. — Um diese Zeit? — Die Amis haben sich gerade diese ausgesucht. — Ein mißlungenes Lächeln spielte um seinen Mund. Was ist geschehen? — Meine Wohnung ist verbrannt, sagte er beherrscht. Diese zwei Kisten — er zeigte auf den Wagen —, die im Keller waren, sind noch da. Auch mein Fahrrad habe ich noch und meine Aktentasche. — Sonst nichts? — Sonst nichts. Doch, in der Küche dürfte sich noch etwas vorfinden. — Wo wirst Du schlafen? — Das weiß ich noch nicht. — Ich nahm ihm das Versprechen ab, gleich nach Mittag zu mir zu kommen. Fortgesetzt am 28. März 1945 Als Rainer kam, bot ich ihm eine Schlafgelegenheit in meiner Wohnung an. Er machte weniger Umstände, als ich erwartet hatte, er nahm an. Dann lief er fort. Abends, nach Tisch — Rainer hatte schon gegessen — bat er mich so gleich um einen Rucksack, denn wenn er die restliche Habe nicht heute noch aus der Küche hole, würde sie gestohlen. Ich gehe mit und helfe, sagte ich. Er wehrte ab. Das geht nicht, wir haben keine Stiege, ich muß über die Feuerwehrleiter. — Und? gab ich zurück. Da kannst Du doch nicht mit, ich gehe auf eigene Gefahr, ohne Erlaubnis. — Wenn Du ohne Erlaubnis gehst, brauche ich auch keine. — Das stimmt, gab er zu. Aber Du weißt doch, es ist hoch oben im vierten Stock. So wie Du jetzt bist, halte ich Dich gern, wenn Du aber von der Leiter herunterfällst, reißt Du mich mit. — Was hatte ihn nur so locker gemacht? Du brauchst mich we der jetzt zu halten, noch mich später aufzufangen! — Wir lachten. Mit zwei Rucksäcken machten wir uns auf den Weg. Die Dreifaltigkeitsstraße lag im ungetrübten Mondlicht, man hätte lesen können. Die stark verlängerte Magirusleiter war an ein Fenster des vier ten Stockwerkes angelehnt. Niemand hinderte uns, die Straße war men schenleer. Rainer stieg voran. Anfangs ging es wie über eine Stiege, höher oben verlor ich jedoch etwas an Sicherheit. Eigentlich unangenehm war aber nur der Überstieg; er ist dort, wo sich die Leiter durch eine zweite, herausgehobene fortsetzt. Beim Klettern würde man das einen leichten Überhang nennen. Einen Augenblick lang glaubte ich aufs Pflaster stür zen zu müssen. Ich hielt mich jedoch fest an die Sprossen an und kam gut hinüber. Rainer war mittlerweile beim Fenster angelangt. Der Fen sterstock war angekohlt, die Flügel fehlten. Durch die ausgebrannte Woh nung eines Photographen erreichten wir das Stiegenhaus. Die zweimal geteilte Treppe in den dritten Stock war noch da, auch der Gang, hinunter gab es dann nichts mehr. Ein brandiger, rauchiger Geruch kratzte im Halse. Auch Rainers Wohnungstür war verbrannt, man kam sogleich ins Vor zimmer. Hier lag die Asche eines großen Kartons, den Rainer sich für den Notfall zurechtgelegt hatte. Mit ihm waren sein bester Anzug, eine Ski hose, Schuhe und anderes verbrannt. Auch die Tür ins Zimmer fehlte. Vorsicht, warnte er, bleib unbedingt neben mir. Er leuchtete in die Räu me, die hintereinander lagen: Nackte Ziegelmauem, keine Spur von Ver putz, kein Fußboden, die Asche davon lag im Erdgeschoß. An den schwarzgebrannten Eisentraversen vorbei sah ich in einen noch schwärze ren Schlund hinunter. Rainer ließ den Lichtstrahl in die Ecken fallen. Der Kamin stand noch, an dem wir gesessen waren und uns angefreundet hat ten. Auch im zweiten Zimmer war alles vernichtet, es gab nur die kahlen, roten, nassen Wände. Nun fiel der Lichtkegel auf etwas Weißes. Das ist das Gitterbett meiner Tochter, sagte er sinnend; es verfing sich in den Tra versen, verloren hing es über dem Abgrund — ein gespenstischer An blick. Einar hätte an seiner Stelle geweint, Kai wäre tobsüchtig geworden, Rainer war beherrscht. Die Fensteröffnungen, durch die man bei Tage das Goldkreuz sehen konnte, bleckten abscheulich herüber, das hereinfallen de Mondlicht wurde von der aschigen Tiefe verschluckt. So, meinte Rainer nach einer Pause des Schweigens, hier ist nichts mehr zu holen. Komm in die Küche. Seitdem Bomben geschmissen werden, habe ich schon manches Böse ge sehen, doch war noch nie ein Freund davon betroffen. Auch sah ich es und sah es nicht —, Kai beschäftigte mich zu sehr. Nun wirkte es aber. Ich gab Rainer die Hand, er drückte sie fest. Danke, sagte er, ich habe mit dieser Sauerei gerechnet, seit Wochen schon. Besser als eine Kugel im Kopf. — Diese Verbrecher! rief ich zornig. Spar Dir die Wut für Deinen eigenen Fall, gab er lachend zurück. Es klang unnatürlich. Die Zimmer höhlen schluckten sein Lachen. In der Küche stand Löschwasser. Sonst war alles da: ein paar weiße Mö bel, der Gasherd, ein emailliertes Blechschaffei. Am Rechaud stand eine Pfanne mit aufgeschlagenen Eiern, darüber Wasser. Schade um die ge hamsterten Eier, erklärte Rainer. Als sie halb fertig waren, zog ich es vor zu verschwinden. Gerade im richtigen Augenblick. — Wieso? — Das er zähl' ich Dir später. — Wir stellten alles Bewegliche, Tragbare zusammen, packten ein. Stiegen wieder in den nächsten Stock, beim Fenster hinaus, die Leiter hinunter. Jeder mit einem gefüllten Rucksack. Ein seltsamer Zug im bleichen Mondlicht. Niemand sah uns. Als wir unten anlangten, huschte eine Rat te in ein Kellerloch. Es war halb zwölf. Wir machten die Tour noch einmal, dann war aller Kleinkram geborgen. Geschirr war dabei, Lebensmittel, Schuhputzzeug und anderes. Ich muß te Rainer wiederholt dazu nötigen, nichts zurückzulassen. Während Rainer sich in der Küche wusch, ging ich zu Bett. Ich beeilte mich, nahm mir nicht einmal Zeit, einen Blick in den Spiegel zu werfen, was ich sonst immer tue. Dann kam Rainer, ließ sich in die Federn fallen. Herrlich, sagte er. Ich löschte das Licht. Wir waren beide müde, Rainer wohl besonders. Ein sonderbares, unbekanntes Gefühl kam über mich. Ein Mann lag neben mir, ein bekannter und doch fremder, ein fremder und doch vertrauter. Der zweimalige gemeinsame Einstieg in sein Wohn haus hatte uns rasch zu Kameraden gemacht. Eines war nicht da: Angst. Ich kenne dieses Gefühl überhaupt erst, seitdem Kai U-Boot ist. Was also dann? Wenn ich das sagen könnte. Vielleicht komme ich meinem Zustand anders näher: Es war Preisgegebenheit, Wehrlosigkeit. Nicht durch Rai ner, durch mich selbst. Auf der Magirusleiter war ich ein Mann gewesen, ein Aktionskamerad. Mann, Kamerad waren auf der Leiter geblieben. Oder ich hatte sie mit den Kleidern abgelegt. Ein sinnliches Wohlgefühl, vom gleichzeitigen Befremdetsein nicht aufgehoben, ging durch meinen Leib, als ich die Bettdecke über mich schlug. Wäre ich nicht so müde und vernünftig gewesen, hätte ich strampeln mögen wie ein Kind. Dachte ich an Kai? Nein, ich war ganz Gegenwart. Heute denke ich fortwährend an Kai, damals nicht. Kai wußte von all dem nichts, hatte dazu keinen Be zug. Kai war eines und diese Situation ein anderes. Der leise, feine Reiz — jetzt erst wird er mir bewußt — war mit nichts zu vergleichen. Im rich tigen Moment wäre mir Kai sicherlich eingefallen. Im „richtigen Mo ment" hätte ich Rainer geschlagen. Rainer geschlagen — hätte ich das? Es ist müßig darüber nachzudenken. Als Rainer im Bett lag, ausgestreckt, die Hände unter dem Kopf, begann er zu erzählen. Warst Du bei Fliegeralarm schon einmal in den „Katakomben" im Stadt kern. Nein? Dort hab' ich schon recht kritische Situationen erlebt, darum fahre ich nicht mehr hin. Wenn schon, dann möchte ich nicht zwei Stock unter dem Straßenpflaster erschlagen werden. Dann spürte ich auch seit einiger Zeit, daß mit meiner Wohnung bald etwas los sein würde. Also fuhr ich nach Hause. Meistens blieb ich während des Alarms in der Woh nung. Da aß ich gern mein Gabelfrühstück, räumte auf, schrieb oder leg te mich einfach nur hin, ruhte. Bei langem Arbeitstag und gekürzter Er nährung braucht man das. Manchmal las ich auch. — Was? wollte ich wissen. Nun alles mögliche, Hans Carossa, zuletzt Dostojewskijs „Aus einem Toten Hause". Kennst Du's? Eines seiner besten Bücher. Gleichzeitig hörte ich durch das offene Fenster den Lautsprecher ab, um am Laufen den zu bleiben. Ich bin gern allein und war deshalb selten im Keller. Ich kenne die Hausgenossen nur flüchtig und habe nie einen Kontakt mit ih nen gesucht. War ich jedoch im Keller, sah ich nach meinen Bücherkisten, 92
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