Oberösterreich, 36. Jahrgang, Heft 3, 1986

Theo Kihs Die Magirusleiter Tagebuchaufzeichnungen einer Unbekannten Vorwort Im Jahre 1947 wurde in Wien ein Merkheft gefunden, das die nachstehen den Aufzeichnungen enthält. Der Fundort war eine Ablagerungsstätte, auf die man den Schutt vieler von Bomben zerstörter Häuser gehäuft hatte. Von welchen Objekten dieser Abfall stammte, war nicht mehr aus findig zu machen, oder es hätte dazu eines Aufwandes bedurft, der nicht zu rechtfertigen gewesen wäre. Darüber sowie über die Identität der Ver fasserin ließen sich lediglich Mutmaßungen anstellen, die zu nichts füh ren würden. Die Schreiberin hat es vermieden, ihren Namen zu nennen, und es kann mit Sicherheit angenommen werden, daß alle übrigen Deck namen sind, dies umsomehr, als Einar, Kai und selbst Rainer hierzulande seltene Vornamen sind. Auch eine Dreifaltigkeitsstraße gibt es meines Wissens in Wien nicht. Selbst die Datierung kann fingiert sein. Wie dem auch sei, so habe ich mich trotz der manchmal sprunghaften und flüchtigen Berichterstattung der Diaristin entschlossen, diese Auf zeichnungen als einen kleinen, geschichtlich zwar nebensächlichen, menschlich aber doch merkwürdigen Beitrag zur Szene jener chaotischen Tage vom März und April 1945 der Öffentlichkeit zu übergeben. Der Text ist authentisch, es wurde, von kleinen sprachlichen Korrekturen abge sehen, nichts weggelassen und nichts hinzugefügt; nur der Titel stammt von mir. Der Herausgeber „. . . denn ein Schandgesetz erkennt man, nach dem alles angerichtet ist." Ingeborg Bachmann 24. März 1945 Ich kann es Kai nicht sagen, daß ich Rainer bei mir hatte, daß er neben mir im Ehebett schlief, daß ich mit ihm frühstückte. Obschon nichts vor gefallen ist. Aber mitteilen muß ich mich, deshalb schreibe ich es in dieses Heft. Zuerst erschien es mir selbstverständlich, daß ich Kai davon erzählen würde. Da war gar nichts zu überlegen, und ich wollte es noch, als Rainer schon mehrere Stunden fort war. Als aber der Augenblick, da Kai zu rückkommen sollte, näher kam, bröckelte meine Sicherheit ab, ich wußte auf einmal, daß ich schweigen würde. Was ich dabei empfand, ist in Wor ten schwer auszudrücken. Wenn ich es könnte, würde sich manches auf lösen. Ich wollte, ich könnte es. Woher auf einmal diese Hemmung? Ich bin nicht empfindsam, das kann man heute nicht brauchen. Eines ist jedenfalls sicher: Als ich Rainer in seinem Unglück sagte, er könnte bei mir übernachten, dachte ich nur dar an, ihm zu helfen. Auch Kai hätte so gehandelt. Doch damals dachte ich nicht an Kai. Ausnahmsweise. Ich folgte einem Impuls, und ich handelte, wie ich jetzt weiß, richtig. Nein, ich bin nicht empfindsam, eher zu wenig mit Gefühl belastet. Habe ich nicht erst vor drei Wochen Einar verabschiedet," meinen Mann? Ohne Teilnahme, ja mit dem Wunsch, ihn nicht mehr wiederzusehen? Mag er leben wo er will, aber nicht in meiner Nähe. Er wurde eingezogen, und ich wußte, daß es nun auch äußerlich vorbei war mit allem. Wir hatten uns ganz und gar entfremdet. Auch Einar wußte, wie es um mich stand, er mußte es seit langem wissen. Denn ich kann weder Gefühle verbergen, noch ihren Mangel verdecken. Trotzdem, als spät abends die Einberufung gebracht wurde — man scheut auch hier das Tageslicht —, war ich betreten oder versuchte doch, so zu tun, als sei ich es, und vielleicht war ich's wirklich ein wenig. Ich fing einen recht sonderbaren Blick von Einar auf. „Wenn wir erst einmal getrennt sind, wird es vielleicht besser mit uns", meinte er mit belegter Stimme. Ich sah geradeaus und schwieg. Ich durfte ihm nicht sagen, daß er mir im Wege war. Nicht in dieser Stunde. Im Wege, sonst nichts. Ich bin hart, aber nicht grausam, durfte ihm nicht unnötig weh tun. Er sollte nicht ohne Hoffnung ins Ungewisse ziehen. Heute weiß ich, daß er nicht zurückkommen wird. Einar — ob er ahnte, daß ich Kai liebe, daß ich ganz von ihm erfüllt bin, daß ich ihn mehr in mir habe als mich selbst? Vielleicht. Gewißheit hat er keine. In seiner scheuen, schweigsamen, immer nachgiebigen Art, die mich so reizt, fragte er nicht danach. Ich hätte es ihm sicher gesagt. Und weil er spürte, daß ich es ihm gesagt hätte, fragte er nicht. Wir lebten ja schon seit langem nur mehr neben-, nicht miteinander, sprachen nur das Unumgänglichste, er in elegischem, ich in gereiztem Tonfall. Von den fünf Jahren war nicht mehr übriggeblieben als eine lose, kühle Kameradschaft und Gewohnheit. Die Dazwischenkunft Kais zerstörte auch sie. Seitdem mich Kai nachts an sich gezogen und geküßt hatte, unwiderstehlich, mit magnetischer Kraft, seitdem ist die andere Verbindung futsch. Paprika und Honig vertragen sich nicht. Meine Antwort war also Schweigen. Natürlich war ich ihm behilflich, seine paar Sachen zusammenzutragen. Aber als er endlich ging, war mein Abschiedskuß der eines Kameraden. Meine Lippen streiften seine Milch wange bloß. Am liebsten hätte ich auch das vermieden. Der Verstand dik tierte, sonst regte sich nichts. Ich erstaunte, begriff mich nicht, schalt mich. Dennoch konnte ich nicht Gefühle heucheln. Es muß ein Eishauch von mir ausgegangen sein, der ihn erstarren ließ. Sicher hatte er wieder seinen traurigen Blick, wahrscheinlich. Ich sah nicht hin. Es kamen dann einige Briefe. Wenn er irgendwo Station machte, schrieb er natürlich. Ich antwortete, indem ich einige Neuigkeiten zusammen kratzte. Auch Kai erwähnte ich pro forma. Mich hielt ich heraus. Jetzt hat er schon tagelang nicht geschrieben. Das enthebt mich des Zwangs, antworten zu müssen. Ganz wohl ist mir ja doch nicht zumute, wenn ein Brief kommt. Ob er überhaupt noch lebt? Das einzige, was ich wünsche, ist, daß er nicht leiden muß, daß er nichts spürt, nichts merkt. Aber das wünsche ich allen, die sterben müssen. Muß er denn sterben . . .? Abends Vorgestern als ich Rainer bei mir hatte, war Kai anderswo untergetaucht. Er ist tagsüber an allen möglichen Orten, nur nicht zu Hause. Die Nächte verbringt er oft bei mir, aber unregelmäßig, weil er sich auch in meinen Armen nicht sicher fühlt. Er behält im Bett immer Taghemd und Socken an, um, wenn nötig, rascher verschwinden zu können. Vor zwei Wochen hätte er sich stellen sollen. Natürlich ging er nicht hin. Er war schon im mer entschlossen, dem tobsüchtigen Gefreiten keinen Soldaten abzuge ben. Sein Haß würde ihn sofort verraten und ans Beil liefern. Schießen, ja das könnte er, aber auf Goldfasane. Er meinte, er müßte schon den Ausbildner anspringen. Was das bedeuten würde, weiß man. Also tauch te er unter. Untertauchen hat noch die besten Chancen. (Auch F. ist unter getaucht und H. und B. Ab und zu sieht einer den anderen, dann lachen sie und trinken einen auf den Endsieg. Auf unseren natürlich.) Es sind schwere Tage für uns. Jeder kann seine Verhaftung, jeder auch den Zu sammenbruch der Gewalthaber bringen. Wichtig ist, daß seine Freunde verläßlich sind, und das sind sie. Bald wird ja der braune Schlamm hin weggespült sein, als wäre er nie dagewesen. Und die Henker wird man hängen, wenn sie es nicht vorziehen, sich selbst aufzuknüpfen. 25. März Soeben habe ich dieses Heft aus dem Versteck geholt und das Geschriebe ne durchgelesen. Ich sehe, daß ich mich im Kreise drehe, dessen Mittel punkt Kai ist. Und ich wollte doch von Rainer schreiben. Also. Auch Rainer ist schüchtern wie Einar, gerät leicht in Verlegenheit, geniert sich ohne Grund. Manchmal überlege ich, ob ihm das angeboren ist oder ihn seine ganz besonderen Verhältnisse so geformt haben. Seine Kindheit soll düster gewesen sein, freudlos, voll schlimmer Erfahrungen. Er ist, so weit ich sehe, zurückhaltend und korrekt bis zur Selbstverleugnung. 90

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