Historische Landeskunde Wie es in Alt-Goisern bei Hochzeiten zuging Speisezettel aus der Zeit von 1821—1837 Karl Pilz In meiner Jugendzelt, etwa um das Jahr 1920, bildeten die behäbigen, steinernen Bür gerhäuser in der Kirchengasse in Geisern, soweit sie nicht schon Spuren erster „moder nistischer" Renovierungen zeigten, ein se henswertes, altertümliches Bauensemble, das glücklicherweise zum Teil heute noch (1985) erhalten ist. Breite Vorderfronten mit wuchtigen Giebelaufbauten und Schopf oder sogenannten Krüppelwalmdächern, steinerne Haustorumrandungen mit kunstvoll gemeißelten Rundbögen, mit den aus Pötschen-, Raschbergmarmor oder anderem Kalkgestein gehauenen Fensterumrahmun gen bildeten die unverwechselbaren äußeren Merkmale der Dorfhäuser in der Kirchengas se, in denen einst ausnahmslos Wirtshäuser, Gewerbebetriebe und Krämerläden unterge bracht waren. In den guten Stuben dieser Ge bäude konnte man Holzdecken mit mächti gen, massiven Trambäumen bewundern, die zum Teil auch heute noch erhalten sind. Das Auffallendste an diesen Holzdecken: Die Schnitzereien sind fast alle gleich. Sie zeigen im Kerbschnitt das Monogramm Christi (IHS) und neben einem Stern die Jahreszahlen 1731 oder 1732, daneben auch die Namens initialen der Besitzerfamilien aus jener Zeit, womit bewiesen ist, daß sämtliche Häuser in der Kirchengasse in der Zeit nach 1730 neu aufgebaut worden sind. Alte Aufzeichnungen erklären diesen „Bau boom" in Alt-Goisern mit dem Brandgesche hen vom 14. September 1730, bei dem 29 Häuser in der Kirchengasse eingeäschert wurden und gleichzeitig auch die Kirche und der Pfarrhof schwere Schäden erlitten. Um jene Zeit war Geisern ein Pfarrdorf, das aus dreißig Ortschaften bestand und dessen Handel und Wandel vorwiegend in der Kir chengasse und an der Dorfstraße sowie im sogenannten Ortsteil Werkstatt abgewickelt wurden. Die wirtschaftliche Bedeutung dieses großen Dorfes stieg beachtlich, als im Jahre 1772 das Pflegamt, das Pfleggericht und die Verwal tung der landesfürstlichen Herrschaft Wil denstein von Ischl in das 1770 bis 1772 in Gei sern erbaute Schloß Neuwildenstein, das gegenwärtig Sitz der Forstverwaltung Goisern-Hallstatt der Österreichischen Bundes forste ist, verlegt wurde. Die Bedeutung des ehemaligen Verwaltungszentrums Wilden stein in Goisern, das bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts bestand, wird dadurch unter strichen, daß es nicht nur für die ganze Pfarre Goisern, sondern auch für Hallstatt, ein schließlich des heutigen Gebietes der erst wesentlich später gegründeten Gemeinde .Obertraun, sowie für das Dorf Gösau als Di striktskommissariat fungierte. So herrschte damals im Schloß Neuwildenstein ein reges Johann Kreuzhuber (1789 bis 1862), ein erfolgreicher Wirt und Handelsmann in Alt-Goisern. — Repro nach einer Daguerreotypie Kommen und Gehen von Leuten aus der Be völkerung des ganzen oberen Salzkammer gutes, denn jeder, der beim Pflegschaftsamt oder beim Grundbuchführer in Robot- oder Erbschaftsangelegenheiten oder gar beim k. k. Pfleger höchstselbst als Gerichtsherrn oder in dessen Eigenschaft als Distriktskom missar vorzusprechen hatte, betrat in Scheu und Ehrfurcht die Kanzleien der „gnädigen, allmächtigen Herren", wie sich damals die Untertanen ausdrückten, wenn sie ins Schloß Neuwildenstein kamen. Hatte man aber seine Angelegenheiten bei diesen Verwal tungsbehörden glücklich in Ordnung ge bracht, stärkte man sich vor dem weiten Nachhauseweg in einem der großen Wirts häuser in der Kirchengasse oder im neuen Brauhaus an der Dorfstraße, auch tätigte man Einkäufe bei den Krämern oder bei einem der Messer- und Werkzeugschmiede, beim Tuch schneider, Spitzkramer, beim Juchtenleder händler oder beim Weißgärber. Durch einen glücklichen Zufall kam ein grö ßeres Aktenbündel mit Urkunden über eines der bedeutendsten Wirtshäuser jener Zeit in der Kirchengasse Nr. 17 in Goisern leihweise in meine Hand. Diese Urkunden umfassen den Zeitraum von 1739 bis 1914, so daß man aus ihnen Schlüsse ziehen kann, wie sich das Leben in Alt-Goisern in jenen Jahren ab spielte, als das Pflegamt und das Distrikts kommissariat Wildenstein im Pfarrdorf Goi sern amtierten. Das vorhin erwähnte Gasthaus ist in den Grundbüchern der Herrschaft Wildenstein nach einem Johann Gatterer, dem es von 1757 bis 1780 gehörte, benannt. Dem Besit zer Gatterer folgte als Wirt und Handelsmann ein Franz Stöger und von 1795 bis 1814 ge hörte es dem Handelsmann und Kleidschnei der Johann Nidersüß. Nach dessen Ableben wurde, wie das noch erhaitene „Actum" vom 28. März 1814 nachweist, die Georg Nidersüßische Behausung zu Goisern Nr. 17, samt der darauf radizierten Handlungs- und Laitgebsgerechtigkeit, den dazugehörigen Gär ten und den sonstigen Gründen, exklusive der Schneidergerechtigkeit, von „Joseph Kreuzhuber, Mühler in Weißenbach und sei nem Brüdern Johann Kreuzhuber, Krämer zu Goisern und seinem Schwägern Martin Perndaner, Amtschirurgus allda in Compagnie" — bei Bewerbung von noch drei anderen Lizitanten — um das Höchstanbot von 8450 Gul den Wiener Währung erworben. Der damali ge Pfleger und k. k. Distriktskommissar Josef Adam Gattinger war bei der Versteigerung selbst nicht zugegen, er fügte aber, vermut lich später, einen lateinischen Sichtvermerk dem Protokoll bei. Anzumerken wäre noch, daß unter den „Kaufsbedingnissen" für den Nidersüßischen Besitz auch vorgeschrieben war, „daß jeder, der ein Einboth machen will, sich anvor mit seinen Vermögenskräften auf eine glaubwür dige Weise auszuweisen hat". — Großzügig urteilt aber das Protokoll aus 1814 über die Kreuzhuber- und Perndanner-„Lizitanten-Compagnie", daß ihr Real- und sonstiges Vermögen ohnehin nicht unbekannt sei. Im Jahre 1828 scheinen im Wildensteinischen Grundbuch nur noch Johann Kreuzhu ber, Wirt und Handelsmann, und dessen Ehewirtin Barbara im gemeinsamen Besitz der Liegenschaft auf, die sonstigen Mitbieter aus seiner Verwandtschaft hatte er wahr scheinlich schon längst „hinausgezahlt". Der Gastgeb Johann Kreuzhuber war sicher lich ein umsichtiger und tüchtiger Geschäfts mann. Dies beweist ein ansehnliches Bündel alter Hochzeitsrechnungen aus der Zeit von 1826 bis 1837. Er hat sie wahrscheinlich des halb gesammelt, um sie noch nach Jahren für Preiskalkulationen zur Hand zu haben oder sie beim „Andingen", also bei der Bestel lung von Hochzeitstafeln, künftigen Hochzei tern zur Anregung und Auswahl der diversen leckeren Gerichte vorlegen zu können. 73
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