Oberösterreich aktuell Mühlviertel: Ein Modell für erfolgreiche Regionalentwicklung Landeshauptmann Dr. Josef Ratzenböck Wie kein anderes Viertel kann das Mühiviertel neben seiner volkskundlichen Eigenart vor allem auch geographisch am eindeutigsten festgelegt werden: Es ist das Oberösterreich nördlich der Donau. Geologisch betrachtet, besteht es fast ausschließlich aus dem Granitund Gneisplateau der Böhmischen Masse und macht rund ein Drittel der Landesfläche aus. Nicht nur diese naturräumlichen Elemente — insbesondere der geologische Aufbau, die Geländeformen, Höhenlage und klimatischen Gegebenheiten — haben die Grundvoraus setzungen für Lebensbedingungen geschaf fen, die im Verhältnis zu großen Bereichen des übrigen Bundeslandes als schwierig bezeich net werden können. Diese Situation wurde in der wichtigsten Phase des Wiederaufbaues nach 1945 noch zusätzlich durch die zehnjäh rige sowjetische Besatzung im Mühlviertel verschärft. Die Randlage des Mühlviertels spiegelt sich aber bereits in der früheren Ge schichte insofern wider, als es erst im Hochmit telalter in den oberösterreichischen Donau siedlungsraum einbezogen wurde. Nur an wenigen verkehrsgünstigen Orten konnten sich Stadt-, Markt- und Klostersiedlungen so wie gewerbliche Schwerpunkte entwickeln. Die Feldaistsenke, der Haselgraben und die „Via Regia" haben stets eine wichtige Durchzugs- und Verbindungsfunktion zwi schen dem Ostseeraum und Böhmen einer seits, mit der Donauachse, den Alpenländern und schließlich der Adria andererseits erfüllt. Die politische Zugehörigkeit Böhmens zur Habsburger Monarchie und damit das Fehlen einer Staatsgrenze im Norden förderte die ver kehrsgeographische Bedeutung des Mühl viertels, wie die Errichtung der Pferdeeisen bahn deutlich zeigte. Wenn auch die oft ungünstigen wirtschaftlichen Bedingungen dadurch nicht beseitigt werden konnten, so traten sie doch lange nicht so in den Vorder grund wie in unserem Jahrhundert, als das Mühlviertel nach dem Ersten Weltkrieg „Grenzland" wurde. Das Problem aus dieser nunmehr sowohl naturgegebenen wie poli tisch nachteiligen Situation wurde im Jahre 1945 mit dem „Eisernen Vorhang" an der Nordgrenze Oberösterreichs noch verstärkt. Mit dem Abschluß des Staatsvertrages 1955 konnte das nahezu isolierte Mühlviertel an der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung des übri gen Oberösterreich erst mit großer Verzö gerung teilhaben. Die Folge war eine ausge prägte Zuordnung nach Süden zur Landes hauptstadt. Das Fehlen größerer Arbeitszentren im Mühl viertel förderte vor allem in der Zeit der Hoch konjunktur die berufliche Mobilität aus der Landwirtschaft zu industriell-gewerblichen Berufen im Großraum der Landeshauptstadt L Linz bzw. im bayerischen Grenzraum. Das hat ganz nachhaltig zu verstärkten Entsiedlungserscheinungen im nördlichen Grenzbereich des Mühlviertels beigetragen und ihm bald die Bezeichnung „Tote Grenze" eingetragen. Das Mühlviertel und sein Grenzland leben aber, wie die mühsamen, aber erfolgreichen Maß nahmen zeigen, um die Fbigen der grenzpoliti schen Abgeschlossenheit und die naturgege benen Strukturschwächen auszugleichen. Raumplanung Ist wichtige Förderungshllfe Die Behebung oder zumindest die Abschwächung der wirtschaftsgeographischen Hemm nisse konnte nur mit einer systematischen Strategie erfolgversprechend in Angriff ge nommen werden, nämlich auf Grundlage einer umfassenden Raumplanung. Bereits in den Jahren 1960/61 konnte nach umfangrei chen Vorarbeiten ein „Entwicklungspro gramm Mühlviertel" durch das Institut für Raumplanung erarbeitet werden. Aus einer detaillierten Strukturanalyse leitet sich eine Bedarfserhebung ab, die — überblickt man beispielsweise die Maßnahmen der Infra struktur — ihren Niederschlag bis in die Ge genwart herauffindet. Die grundsätzliche Be reitschaft zur schrittweisen Durchführung von Maßnahmen des Entwicklungsprogram mes fand auf dem Gebiet der umfassenden Raumordnung auch den entsprechenden ge setzlichen Niederschlag. In einzelnen Raum ordnungsgrundsätzen des OÖ. Raumord nungsgesetzes 1972 wird allgemein auf „Strukturverbesserungen in Gebieten, die einen Entwicklungsstand unter dem Landes durchschnitt aufweisen", hingewiesen und da mit der Rahmen für weitere Schritte gesetzt. Im OÖ. Landesraumordnungsprogramm 1978 (LROP) ist unter anderem namentlich der größte Teil des Mühlviertels als Entwicklungs gebiet genannt, so daß es auch in den Be reich der hiefür vorgesehenen Maßnahmen fällt. Die Ziele zur Schaffung von schwerpunkt mäßig verteilten Arbeitsplätzen, ebenso zur Verbesserung der Infrastruktur und des Frem denverkehrs als Maßnahmen gegen die Bevöl kerungsabwanderung sind im Sinne der Vor schläge des früheren Entwicklungsprogram mes zu verstehen. Auf der Basis der Raumordnungsprogramme wurden in den letzten Jahren durch das Amt der OÖ. Landesregierung für die Planungsre gionen Freistadt und Perg regionale Raum ordnungskonzepte erstellt, die für ausgewähl te Fachbereiche ebenfaiis Möglichkeiten der infrastruktureilen Weiterentwicklung aufzei gen. Als ein jüngeres Beispiel der infrastruktu rell orientierten Regionalpolitik ist auch die im Jahre 1983 geschlossene Vereinbarung gem. Art. 15 a B-VG zu betrachten, in deren Rahmen gemeinsam von Bund und Land getragene „staatsvertraglich" festgeiegte Förderungsak tionen vorgesehen sind. Der größte Teil des Mühlviertels liegt in diesem Förderungs gebiet. Die Summe der Maßnahmenvorschlä ge, die von öffentlichen Stellen und Interessensvertretungen eingebracht wurden, hat letzten Endes dazu geführt, daß in vielen Be reichen des Mühlvierteis die nachteilige Situa tion in den Lebensbedingungen, wenn schon nicht völlig behoben, so doch wesentlich ver bessert werden konnte. Bevölkerungsentwicklung ist Spiegel der Verbesserungen Die planmäßigen Veränderungen spiegeln sich auch in der Bevölkerungsentwicklung wi der. Die seit den 50er Jahren beobachtete Hin wendung zu Linz konnte zwar weiter beobach tet werden, doch wurde die starke Abwande rung aus den Randzonen des Mühlviertels spürbar abgeschwächt. Allerdings nahm auch der hohe Geburtenüberschuß ab. So konnte die noch in den 60er Jahren beobachtete Ab wanderung aus dem gesamten Mühlviertel von 4,2 Prozent gestoppt werden. Ihr steht im Volkszählungszeitraum von 1971 bis 1981 so gar eine Zuwanderung von durchschnittlich einem halben Prozent gegenüber, was aber vor allem auf das Konto der Linz naheliegen den Gebiete geht. Derzeit leben im Mühlviertel 230.000 Menschen, das entspricht 18,1 Pro zent der Bevölkerung Oberösterreichs. Der Gefahr, daß die Regional- und Kleinzentren so wie die Arbeitszentren des Mühlviertels als Folge der Siedlungs- und Bevölkerungsver77
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