Oberösterreich, 36. Jahrgang, Heft 2, 1986

Schnaps aus einer neuen Brennpartie, und wenn der gesund bliebe, dann sei auch der Schnaps in Ordnung — typische Anekdoten, die entstehen, wenn sich eine Bevölkerung mit einem Besatzungstrauma auseinander setzen muß. Im übrigen schienen die Russen doch nicht so schreckliche Leute zu sein, wie man über all glaubte, denn die oberösterreichischen Nachbarn schienen mit ihnen leidlich leben zu können, wie ebenfalls alsbald in einer wahren Anekdotenflut erzählt wurde. Vor allem hieß es immer wieder, daß russische Ortskommandanten in Trübsal verfallen sei en, wenn ihnen eröffnet wurde, daß sie aus Oberösterreich zu Mütterchen Rußland zu rückkehren müßten. Daran ist sicher oft Wah res gewesen. Es war durchaus zu beobach ten, daß die russischen Offiziere, oft aber wohl auch die Soldaten von der Faszination der österreichischen Kultur sehr beeinflußt wurden. Daß die Nachbarn mit den Russen offenbar leben konnten, auch, daß die russi schen Posten, die sich zuweilen über die grü ne Grenze bei Oberkappel verirrten und dann im Wirtshaus vom Höfler Max in Glotzing mit den Bauern heimlich siebzehn und vier spiel ten, keine ganz üblen Leute waren, hat mir viel zu denken gegeben. Die damaligen Erinnerungen sind nach 1955, nach dem Österreichischen Staatsvertrag und meiner nun umfassend und tief werden den Bekanntschaft mit dem ganzen Nachbar land der Kindheit, immer wieder aktiviert wor den, dann nämlich, wenn ich überlegt habe, wie die Nachkriegspolitiker Österreichs es wohl angefangen haben, die Probleme des Landes so zu lösen, wie sie gelöst worden sind. Eine wirklich schlüssige Erklärung habe ich erst vor kurzem gefunden, nämlich bei einer Kette von Aufenthalten in Budapest und in Krakau. Sie liegt dort, wo der Abschieds schmerz der russischen Offiziere, die in Rohrbach oder gar in Freistadt stationiert worden waren, entstanden ist, in der österrei chischen Kultur. Österreich hat seine Proble me ab 1945, die hier nicht noch einmal darge stellt werden müssen, mit politischen Metho den, aber mit den Mitteln seiner Kultur bewäl tigt. Ungarn ist den gleichen Weg gegangen und seihst Krakau repräsentiert noch einen Rest davon. Doch zurück zu der Kindheit in oberösterrei chischer Nachbarschaft, die inzwischen eine Jugend geworden war. Ich verdanke dem Nachbarland eine der großen prägenden Er fahrungen eben dieser Jugend, Erfahrungen, die gerade jetzt immer mehr zur Entfaltung kommen. Um den 20. Dezember 1947 brach über den Bayerischen Wald und das Mühl viertel ein ungeheurer Naßschneefall herein. der durch Schneebruch katastrophale Verwü stungen in den Wäldern anrichtete und so dramatisch verlief, daß sich der amerikani sche Militärgouverneur, der in einer Fabrikan tenvilla In Obernzell residierte, zu einem Son derbericht an seinen Vorgesetzten veranlaßt sah, der sich heute in den Beständen des bayerischen Hauptstaatsarchivs unter dem Titel findet: „The biggest snowfull". In wenigen Tagen war der Spuk vorbei, der das ganze tägliche Leben zu beiden Seiten der Grenze gelähmt hatte. Es brach der vor den Alpen so häufige „Weihnachtsfrühling" aus, warmes Tauwetter also, mit Föhn, in dem die Saizburger und Gmundner Alpen über den Höhenzügen neben dem Sauwald wie in ewigem Sommer leuchteten. Ich hatte am Abend des 24. Dezember 1947 eine Verwand te, die aus Nürnberg kam, in Passau abzuho len, der Weg von Untergriesbach nach Pas sau wickelte sich damals auf eine wahrhaft einzigartige Weise ab. In Obernzell hatte die SS in den letzten Kriegstagen den Viadukt über den Taleinschnitt gesprengt, der in den Bayerischen Wald und ins Mühlviertel leitet. Der Schienenverkehr war deshalb zum Still stand gekommen, von Untergriesbach bis Obernzell verkehrten Omnibusse, von da ab die Züge der längst stillgelegten Stichbahn strecke Passau—Wegscheid. In Obernzell mußte man oft lange auf den Zug warten. Für mich war das an diesem Tag alles andere als unangenehm, ich hatte Zeit. Es war noch frü her Nachmittag, über dem Sauwald stand der Föhnhimmel, von den Leiten auf der österrei chischen Donauseite stürzten die tauwässergefüllten Gießbäche in den Strom. Dieser jähe Frühling im Dezember gehört zu den un verlierbarsten Erinnerungen in jener Jugend phase, von der Theodor Storm geschrieben hat, daß sie das traumhaft törichte Gefühl ent halte, als müsse gerade dieser Tag, den man da erlebt, etwas unaussprechlich Holdes einem entgegenbringen. Ich habe dieses Gefühl oft gehabt und er staunlicherweise hat es sich auch ziemlich oft erfüllt. So auch an diesem 24. Dezember 1947. Er mündete in die Bekanntschaft mit einer Österreicherin, einer Linzerin — sie war Ärztin, wie sie und warum sie auf die deut sche Seite gekommen war, habe ich nie er fahren, es hat mich auch nie interessiert — eine Frau von vielieicht 35 Jahren, von jenem weichen, zärtlichen Charme der Österreiche rinnen und vor aliem von ihrer im deutschen Kultur- und Sprachraum bis heute einzigarti gen zärtlichen Weiblichkeit. Sie war eine der vielen Vertreterinnen der großen Partnerkul tur Österreichs, von der die deutsche damals noch sehr weit entfernt war. Inzwischen hat sie aufgeholt. Ich habe mich jäh in diese Frau veriiebt, sie Josef Schnetzer, Mühlviertler Bäuerin mit Spinnrad, Tuschzeichnung signiert rechts unten: Schnetzer. hat das auf eine amüsierte, aber sehr rücksichtsvolie und sehr schonende Art wohl nicht ungern entgegengenommen, auch noch einige spätere Begegnungen in Pas sau, distanziert, aber mit viel Wärme akzep tiert und mir einen der großen Anstöße für eines der besten Talente meines Lebens und seiner Prägung, nämlich eines zärtlichen und sehr hingebungsvollen Umganges mit Frau en, gegeben. In den Träumen zwischen Schlaf und Wachen und vor allem bei jedem Aufenthalt in Linz oder auch in Wien kommt sie zurück, unverlierbar in ihrer Jugend, sie ist das geblieben, was ich andernorts eine „Sommer"- oder eigentlich eine „Frühlings frau" genannt habe, alterslos und vor allem nie alternd. Solche Gestalten sind für ein Erleben, das sich selber finden und ausdrücken will, und vor allem für die Entwicklung und Prägung von Phantasie, Emotion und auch von Intel lekt unverzichtbar. Ihren größten Reiz aber gewinnen sie, wenn sie sich, wie es gerade 36

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