Oberösterreich, 36. Jahrgang, Heft 2, 1986

Josef Schnetzer, Mühlviertler Hof, Tuschzeichnung, signiert links unten: Schnetzer. keine politischen Systeme und registriert auch die Unterschiedlichkeit von Verwaltung und Bürokratievoiizug nicht. Das Kind ist an den realen Wahrnehmungen seiner Umge bung interessiert, es orientiert sich im Grun de an der Kultur, die es erleben kann, und nicht an politischen oder bürokratischen Ab straktionen. Die leise Andersartigkeit Öster reichs, die sich mit selbstverständlicher All tagsvertrautheit mischte, war bestehen geblieben. Heute weiß ich, daß die Naziherr schaft mit all ihrem Institutionenwirrwarr und ihren ewigen Jahrmarktsdarstellungen von Partei und Ideologie die von mir wahrgenom mene Kultur Oberösterreichs überhaupt nicht verändert hat, es war alles so geblieben, wie es war. Dann das Jahr 1945, die Besetzung des nörd lichen Oberösterreich durch Russen, die auf der bayrischen Seite einen Angstschock aus löste, die totale Schließung der Grenzen, das Erscheinen russischer Posten am Schlag baum in Oberkappel oder beim nördlichen Übergang vor Kollerschlag, die Patrouillen der russischen Besatzer an der grünen Gren ze unterhalb von Glotzing und entlang des Laufes der Ranna, die Unmöglichkeit, die Do nau bei Obernzell zu überschreiten, um zum Schloß Vichtenstein zu kommen, das für mich als Kind übrigens der Inbegriff des Märchen- und Zauberschlosses überhaupt gewesen ist: Diese Trennung habe ich sehr tief empfunden und vor allem sehr schmerzlich. Der tägliche Schulweg auf der Donau Uferstraße nach Pas sau und der Blick über die Donau hinüber nach Kasten oder nach Pyrawang waren zum Blick in ein unerreichbares Land geworden. Ich habe die Katastrophe des Kriegsendes, die ja auch eine Katastrophe kultureller, so zialer und mentaler Teilungen war, vor allem durch diese Abschnürung vom Nachbarland wirklich erlebt. Freilich konnte mir nicht verborgen bleiben, daß die Abschnürung so total nun auch wie der nicht gewesen ist, denn ich beteiligte mich als damals 14- bis ISjähriger Schüler am Vertrieb und damit am Schwarzhandel mit oberösterreichischem Schnaps. Daß die Mühlviertler Bauern Brennrechte hatten, war bei uns eine Ailtagssache. Ich kann mich nicht erinnern, daß jemals irgendjemand dar über gesprochen hätte, wo sie diese Rechte wohl herhätten. Erst Jahrzehnte später habe ich erfahren, daß es sich dabei um theresianische Konzessionen handelte. Die Mühlviert ler Bauern müssen damals diese Brennrech te sehr intensiv ausgenutzt haben, jedenfalls fand ein schwunghafter Schnapsschmuggel über die Grenze statt. Ich weiß bis heute nicht, wie er eigentlich abgewickelt wurde. Tatsache blieb nur, daß eine Flasche Kartof felschnaps zuerst 180, dann 220 Reichsmark kostete und ich 20 Mark bekam, wenn ich sie in meiner Schultasche mit nach Passau nahm und dort bei einem Empfänger abgab, der ein abenteuerliches Wohn- und Schlafbü ro in der Höllgasse hatte — nomen est omen. Zuweilen verbreiteten sich Gerüchte, es habe Vergiftungen durch den Mühlviertler Schnaps gegeben, es mag sein, daß in dem einen oder anderen Fall durch biotechnologi sche Fehlsteuerungen beim Destillationsvor gang Methylalkohol entstanden ist. Auf der bayrischen Seite wurde dann erzählt, die Mühlviertler Bauern hätten diesem Übel ab geholfen, sie gäben nämlich immer zuerst einem russischen Soldaten probeweise Toni Hofer (f). Blick auf Vichtenstein, Tuschzeichnung, bezeichnet links unten: Vichtenstein, signiert rechts unten: Toni Hofer. 35

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