Oberösterreich, 36. Jahrgang, Heft 2, 1986

■ '4p einfach, weil ich das Erlebnis von Neuheit und Fremdheit mit dem einer vertrauten Sprache und der Ähnlichkeit der Lebensfor men mit denen der Heimat verbinden konnte. Mit Oberösterreich und Linz steht aber auch eine andere, nie erloschene düstere Erinne rung in unlösbarer Verbindung. Es muß im April 1939 gewesen sein, als ich am späten Abend eines Frühlingstages durch aufgeregtes Rumoren im Elternhaus, durch die Stimmen von Nachbarn und durch halb unterdrückte Schreckensrufe aus dem ersten Schlaf gerissen wurde. Der Grund: Über der bizarren Linie der Baumkronen, die nach allen Seiten hin die Horizonte säumten, stand bis zum Zenit ein ungeheures Nordlicht, blutig rot (wenn in Mit teleuropa Nordlichter zu sehen sind, dann im mer nur rote, aber das wußte niemand). Von allen Seiten kamen die Nachbarn herbei, tief verstört, die Frauen jammernd, mit weinen den Kleinkindern an der Hand, um bei mei nen Eltern, vor allem bei meinem Vater Aus kunft und wohl auch irgendetwas wie einen magischen Schutz zu suchen. Als hochrangi ger Wehrmachtsoffizier galt er den Leuten als Autorität und oft auch fast als Orakel. Wie tief schon im April 1939 die Furcht vor einem kommenden Krieg bei der Bevölkerung ver wurzelt war, ließ sich an diesen Reaktionen ablesen. Und in der Tat, es war auch ein bedrohliches Bild: Die weiche warme Frühlingsnacht, voll von Eulenschreien und dem Rühren der Wäl der, der Geruch von feuchter Erde und von trockenen Fichtennadeln in der Luft und dar über der ungeheuere, blutigrot leuchtende stumme Himmel. Am nächsten Tag dann fand sich aufgeregt eine Nachbarin bei meinen Eltern ein und be richtete, „im Österreich" — das war die ste hende Bezeichnung unserer Bevölkerung für das Nachbarland — habe ein Fuhrmann in dieser Nacht eine schwerkranke Frau nach Linz ins Krankenhaus fahren wollen, aber auf dem Weg sei sie auf dem Fuhrwerk gestor ben, im Angesicht des roten Himmels. Ihre letzten Worte seien gewesen: „Dort am Him mel ist das Blut, das er im großen Krieg ver gießen wird." Mir erschien das durchaus einsichtig, ja fast folgerichtig, ich muß also schon aus einer Vielzahl von Eindrücken geschlossen haben, daß etwas Bedrohliches heraufzog, aber mei ne Eltern warnten die Nachbarsfrau auf das Dringlichste, diese Erzählung weiterzugeben und fügten einige Halbsätze hinzu, in denen die Erwachsenen damals oft gesprochen ha ben, bei denen aber auch ich mir durchaus meinen Teil denken konnte. Wenn ich heute zurückdenke, dann sind mir, so paradox es klingen mag, der Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich und seine 7jährige Zugehörigkeit erst wirklich be wußt geworden, als alles vorbei war, nämlich mit dem Kriegsende. Ein Kind unterscheidet 34

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