Oberösterreich, 36. Jahrgang, Heft 2, 1986

Kindheit in oberösterreichischer Nachbarschaft Dietmar Stutzer Meine erste bewußte Wahrnehmung des oberösterreichischen Nachbarlandes, die eine ganz eigene Wahrnehmung bildet, ist zugleich die des Kleinkindes. Wenig mehr als 2 km vom Elternhaus im Unteren Bayeri schen Wald entfernt, liegt das oberösterrei chische Grenzdorf Oberkappel. Dort gab es einen Bäcker und Konditor, Leitner hieß er, der seine Konditoreiwaren in einer Kraxen auch auf bayerischer Seite von Haus zu Haus verkaufte. Es waren österreichische, genauer gesagt. Linzer Konditoreiwaren. Für mich hatten Schaumrollen aus Blätterteig mit einer Schaumfüllung die größte Anziehungskraft. Irgendwann ist mir bewußt geworden, daß es dieses Gebäck in den Geschäften der bayeri schen Orte zwischen Passau und der öster reichischen Grenze nicht gab, daß es eine an dersartige Besonderheit war. Nicht der Grenzbaum, den ich vor dem März 1938 durchaus noch wahrgenommen habe, nicht manche andere Andersartigkeit im Ortsbild, auch nicht die Uniformen der österreichi schen Grenzbeamten waren geeignet, mir zu zeigen, daß da drüben ein anderes Land be gann, sondern eben die Schaumrollen des Konditors Leitner aus Oberkappel. Als ich das begriffen hatte, war der Name Österreich für mich mit angenehmen Empfin dungen, mit der Erinnerung an einen begehr ten Wohlgeschmack verbunden, die sich bis heute nicht ganz verloren haben, wie ich als Reaktion des Unbewußten amüsiert an mir selber schon oft beobachtet habe, wenn ich wieder — bei oft gesuchten und im stillen auch konstruierten Gelegenheiten nach Linz gekommen bin. Wenig später bekam Linz für mich unmittel bare Bedeutung, und zwar deshalb, weil es mir als die größte Stadt der Welt galt. Passau kannte ich, solange überhaupt irgendwelche Erinnerungsbilder von einem Kleinkind wahr genommen werden konnten. Ortsansicht von Oberkappel, Neuaufnahme 1986. Foto: Hans Pilz, Linz Als ich Linz zum ersten Mal gesehen habe, bin ich zwischen 5 und 6 Jahren alt gewesen. Für mich stand von da an fest, daß es eine größere Stadt und vor allem eine schönere ei gentlich nicht geben könne, eine Überzeu gung, die ich mit großer Vehemenz verteidigt habe. Bezeichnend dabei ist, daß mich der Pöstlingberg mit seinen mit Recht so berüch tigten „herzigen Zwergerln" wenig interes siert, vor allem wenig beeindruckt hat. Der Hauptplatz in Linz, das Schloß, die Donau brücken, die Pestsäule und vor allem die so bedrohlich und fremd wirkenden Großbau stellen der Industrieanlagen im Osten der Stadt haben offenbar viel tiefergehendere Ein drücke hinterlassen, vermutlich leiteten sich aus den Dimensionen dieser Anlagen, die einem Kind aus dem Bayerischen Wald als ungeheuerlich erscheinen mußten, die Über zeugungen von der Größe von Linz ab. Daß manches anders war, daß es andere Traditio nen, andere Bauformen, andere Beschriftun gen und Beschilderungen in den Straßen gab, habe ich durchaus wahrgenommen und das wohl als zusätzlichen Reiz empfunden. 33

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2