Oberösterreich, 36. Jahrgang, Heft 1, 1986

Römerstraße durchs Gebirg Acht Meilensteine an der Straße über den Radstätter Tauernpaß: vielleicht des SEPTIMIUS SEVERUS STATIO TAMASICIS. IV Köpfe an der Wand des Schlosses Moosham, Steingesichter, PRISCA VIRTUS ROMANA. Durch wandgroße Fensterscheibe trifft der Blick verstümmelte Inschrift. Die Straße davor voll von Schneeresten, gehärtetem Eis und Schotterbelag. Römerstein wurde hier in der Nähe gehauen, Inschrift in ihn eingraviert. Auf der Höhe opferten dann des SEPTIMIUS SEVERUS Truppen vor den Altären vielleicht auch dem HERCULES, CAESAR oder dem allmächtigen JUPITER selbst und ITALIA auch, dem Saturnischen Land. Meilensteine über die Alpen sind bis heute geblieben; Steinerne Akten. Ihr Errichter ließ unsichtbar in sie eingravieren: „Mein Götterglauben? Ich SEPTIMIUS SEVERUS ordnete ihn für die Untertanen, dieses Gemisch aus Rassen, Riten und Kulten (keltischen hier vor allem, aber auch syrischen, jüdischen, ägyptischen und afrikanischen meiner punischen Heimat). Mein Götterglauben ist die heilige ROMA, der Staat, die Ordnung der Straßen und Meilensteine. Sind die Ziffern der Rekrutierungen, die Erd- und Steinarbeiten der Veteranen, die Botschaften der Schnellreiter, die Reparaturwerkstätten der Reisewagen, die Wirtshäuser an der Strecke, Stationen der Reisenden, Wohnungen der Händler Vorschläge der Steinmetze und immer wieder Grabsteine, die Grabdenkmäler, Grüße an den Wegrändern. Gibt es denn Landschaften, Flüsse, Bergmassive? Ja, aber nur, um durch sie hindurch und über sie weg zu ziehn. Ordnung war ims erreichbar. In den Feldzügen gegen Wünsche, Vorstellungen, Erinnerungen, die der einzelne hegt, sind wir oft unterlegen. Davon ließen wir um der Macht willen schließlich ab . . ." Zweihundert Jahre später brach über die Tauern auf der Noriker MAXIMUS voll heißen Glaubens mitten im Winter, wo in jener Gegend infolge starker Vereisung die Straßen unpassierbar; gelangte in tollkühner Verwegenheit oder vielmehr in unerschütterlicher Verehrung zum heiligen SEVERIN. Auf ihren Nacken schleppten seine Leute Kleidungsstücke, Früchte einer frommen Sammlung für Gefangene und Arme, nordwärts über die Höhe der Alpen, kamen beim Paß Pyhrn in dichten Schneefall und verkrochen sich unter der riesigen Krone eines Baums. Wurden dort gänzlich eingeschneit als lägen sie in einer riesigen weißen Grube. Da träumte einer, der Transportführer war's, ihm erscheine SEVERINUS. Und das Traumgesicht sprach: „Fürchtet euch nicht, setzet den Weg jetzt fort!" Und sie quälten sich weiter, als plötzlich ein riesiger Bär auftauchte, INGENTIS FORMAE URSUS APPARUIT, der sich doch sonst winters in Höhlen verbirgt, QUI SE TEMPORE HIEMIS SPELUNCIS ABDERE CONSUEVIT! Dieser wies ihnen den Weg, stapfte die Bahn frei „zweihundert Meilen weit", seine frischen Spuren ebneten den Pfad. Durch die weiße Ödnis kämpfte sich das Tier voran, verließ nicht die Männer, die selber zu helfen kamen und führte sie schließlich fast bis zu den Häusern der Menschen. Dann bog er ab, verschwand wieder, der Bär und sie hatten an seinem seltenen Führerdienst erkannt, „wie die Menschen einander helfen, wie viel Liebe sie sich erweisen sollen, da doch ein wildes Tier, BESTIA SEVERA, den Verzweifelnden, DESPERANTIBUS, den Weg gewiesen hatte. 97

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