Oberösterreich, 36. Jahrgang, Heft 1, 1986

Zerschnittene Sohlen Ich sah meine Schlupfsandalen der Länge nach halbiert, zum Gehen künftig nicht mehr brauchbar. Meine Schultertasche, so glaube ich, gefüllt wie sie war, hing an einer hohen Stange wie eine Trophäe, ebenfalls unerreichbar. Dann aber verwandelte sich der Boden unter mir in Schnee, der kalt die Sohlen brannte. Ein anderes Mal, in einem anderen Traum, der aber diesem verwandt ist, erschienen mir meine Sohlen gekerbt und gehöhlt von tätowierungsartigen Zeichnungen. Doch meine Tochter Christina hatte am Abend zuvor mit einer zierlichen Schere und anderen Instrumenten ein wenig Hornhaut nur von ihren kleinen Sohlen entfernt . . . So schwierig war es, nach dem Erwachen, damit ins Reine zu kommen, und welcher Traumdeuter, Artemidoros, kann mir denn eine Antwort darauf geben? Er aber berichtet ja wohl von einem „kyklischen Flötenbläser", dem „träumte, seine Fußsohlen seien von Würmern zerfressen." Der mm quittierte darauf seinen Beruf, „hörte auf zu spielen und an Wettbewerben teilzunehmen." Weiter heißt es dort an jener Stelle, seine Füße seien so schwach geworden, als wären sie gehöhlt durch Wurmfraß und es höhlte sich somit auch jener Platz des Flötenspielers auf der Bühne, blieb in Zukunft leer. Meine Sohlen aber, das weiß ich, hatten nichts Krankes an sich im Traum, hatten vielmehr Härte und Glätte der Gesunden. Aber da war noch der Schnee — „incedo per ignes" — Schneefeuer der Sohlen auf Wegen vielleicht. „wohin du nicht willst". Artemidoros leider macht es sich da sehr leicht: (meint nur) im Winter sei das Geschaute ohne Vorbedeutung, zu einer anderen Jahreszeit nur den Bauern von Nutzen, den übrigen Menschen jedoch prophezeie es ziemlich frostigen Verlauf ihrer Vorhaben und Geschäfte. Reisen auch verhindere dieser Traum. Fußgefesselter schließlich ich selbst: alles das ist mir seit Jahren bekannt. 93

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