Oberösterreich, 36. Jahrgang, Heft 1, 1986

Allerhöchstes Urteil Ich verurteile Dich, sprach der Caesar, zu lebenslangem Aufenthalt in der Stadt Deines Tagewerks nahe der Grenze. Du wirst Reden schreiben für den Stadtkommandanten, meinen Freund, wie er sie zu öffentlichen Anlässen braucht imd wie sie dem Staatswohl dienlich sind. Du wirst Straßen aus Worten und Papier bauen, ein Stück Limes, schmal und anfechtbar zwischen dir und deinem kleinen Horizont, und Dich mit Formulierungen quälen, ärger als meine Veteranen mit dem Straßenbau. Deine sozialen Urlaube mit der Familie werden Dir die Fessel, am Ort Deiner Arbeit und Deines Verdienstes zu haften, nur umso schmerzlicher spüren lassen. Aber dieser Schmerz wird Dein Gefühl stärken, nur dort, wo Du leben mußt, Heimat zu haben. Und wenn ich eines Tages die Fessel Dir löse, wirst Du sitzen wie ein Gelähmter, die ganze Welt im Kopf und das Meer unerreichbar. Dein Meer, von dem Du einst ausgegangen bist mit den Deinen, weit hinter Deinem Alpenhorizont. Du wirst einen Grabstein haben wie die vielen anderen, aber von unsäglich schlechter Qualität. Das Beste daran wird die Trauer sein, mit der Deine Hinterbliebenen ihn aufstellen. Aber dieser Stein wird zerschlagen werden, seine Teile mit der verwischten Schrift werden Boden und Ausguß späterer Häuser verkleiden. Deine Spur wird winzig werden, letzter Rest von persönlicher Anmaßung und schließlich nur wieder den Göttern sichtbar. Nimm es leichtl Vergiß Schrift und Sprache, wenn Du es kannst, und schreibe weiter, schreib um Dein tägliches Leben und auf Deinen schließlichen Tod zu. Sprach der Caesar. 91

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