Oberösterreich, 36. Jahrgang, Heft 1, 1986

Walifahrtskloster und Fürststift Maria Einsiedeln in der Schweiz, Kupferstich von Johann Heinrich Ebersbach nach M. L. Kauffiin, ca. 1703, Einsiedeln, Stiftsbibliothek, Abteilung Graphische Sammlung. Dargestellt die Gesamtanlage nach den Planungen von Johann Georg Kuen und Kaspar Moosbrugger — Foto: Europäische Barockklöster. . . doch auch einer der größten Gartengestalter seiner Zeit (Belvederegarten). Am folgerichtigsten jedoch wurden Guarinis Ideen von den aus Oberbayern (aus St. Mar garethen bei Brannenburg und Flintsbach) stammenden, in Böhmen und Franken um fassend schaffenden Brüdern Christoph und Johann Dientzenhofer weitergeführt^® (Sankt Niklas auf der Kieinseite in Prag, St. Margareth in Brevnov, Klosterkirche Banz in Ober franken). ihre aus oberitaiienischen Vorbil dern und den volkstümlichen Wallfahrts kirchen Süddeutschlands entwickelten Raumschöpfungen formieren sich zur be wegten Raumumgrenzung, wobei die Gliede rung sich dem Bewegungszug beugt; auch die Wölbungen erhalten eine unerhörte Frei heit der Formung, der sich die Gurtbogen — „windschief" möchte man sagen — anpas sen. Das klassische Giiederungsschemades Frühbarock — wie es St. Florian noch verkör pert — ist damit endgültig verlassen. Der bewegte Raum an sich, ohne Fessel, in freiem Formenspiei, einem organisch emp findenden Gestaltungstrieb gehorchend (wie später im Jugendstil bei dem portugiesischen Architekten Gaudil), ist in den Grundzügen geschaffen. Bei Balthasar Naumann,^® in Vierzehnheiligen und Neresheim, erhält er seine genialste, konstruktiv durchdachteste Formung. Der Raum wird zum Spiegelbild des Widerstreits der Kräfte, die von der kon struktiven Idee — der Durchdringung von Längs- und Zentrairaumtendenzen — in Spannung gehalten sind. Das verblüffend Ir rationale der Spannungsverhältnisse und Be wegungsabläufe ist in den Gedanken kon struktiver Rationalität eingebunden, das Technische ist genial gemeistert. Was letzt lich wieder auf dem hochbarocken Prinzip von der Übereinstimmung und Bändigung des Gegensätzlichen — dem großer Spiel raum und Freiheit eingeräumt ist — beruht. Anders verläuft die Entwicklung im südwestli chen Deutschland. Von den Baumeistern aus dem Bregenzerwaid wurden bestimmte Raumtypen von streng gebundener Form für die Klosterkirche entwickelt: es ist die Wandpfeileraniage in einfacher oder berei cherter Form, bekannt als Vorarlberger Mün sterschema. Die Wandpfeiler, zwischen die Emporen gespannt sind, haben in zwei Ebe nen Durchgänge. Die kraftvolle Raumgestal tung eines Franz Beer oder Michael Thumb bildet eine westliche Parallele zum Carloneraum. In anderer Richtung als Guarini, die Brüder Dientzenhofer und Balthasar Neumann ha ben auch die bayerischen RokokoKirchenbaumeister, die Brüder Asam,^^ Jo hann Michael Fischer,^® Dominikus Zimmermann^® dem spätbarocken Raumge- '.P vOTiT Ii I*# «1 — ■ IAA'i.,A* "•{iL',1. fühl Ausdruck gegeben. Nicht die Gliederung des Raumes scheint hier das Wesentliche, sondern die Raumaufiösung, d. h. die Verunkiärung der Raumgrenzen durch illusionäre Wandaufiösung mitteis Putzarchitektur, Stuck und Maierei. Weiß ist der Grundton der entmateriaiisierten, durch große Fenster auf gerissenen Mauern. Durch spiegelnden Stuckmarmor, phantastische Aitaraufbauten, raumöffnende Fresken wird der Kirchenbau zum Abbild des Himmeis und zum Festsaai Gottes ausgestaltet. Das bedingt ein inniges Zusammenwirken aller Künste, von Plastik, Stukkatur und Maierei. So entstehen die in der europäischen Architekturgeschichte ein maligen Rokokokirchen, die Klosterkirchen zu Ottobeuren, Zwiefalten, Berg am Laim, Rott am Inn, Weltenburg, die Wallfahrtskirche Wies bei Steingaden — oder als köstliches Beispiel einer privaten Andachtsstätte — die Asamkirche in der Sendiingerstraße in Mün chen. Auch die Rokokokirche in Suben im Innviertel und die Klosterkirche Engeiszell und Wilhering bei Linz gehören zu diesem Raumtyp oder neigen ihm teilweise zu. Ein alemannisches Gegenstück zur Wieskirche schuf Peter Thumb in der Wallfahrtskirche Birnau am Bodensee. Die großen Klosterkir chen unter den Genannten hat man einmal „Kathedralen des Rokoko" bezeichnet. Mit Ausnahme von Weitenburg handelt es sich um Flachkuppeianiagen mit umfassender Freskomalerei und Stukkatur. Die Freiraumarchitektur (Klosteraniage) Ausgehend vom Escoriai, dem Palast und Kloster vereinenden Riesenbau Philipps Ii. bei Madrid (begonnen 1563), entwickelt sich die programmatische Klosterbaukunst des Barock,^® ausgerichtet nach dem Ideal einer „Civitas Dei" und in bewußter Steigerung der Landschaft. Beim Escoriai war die strenge Reguiarität eines äußeren Vierfiügelbaues mit Ecktürmen — im Inneren durch Höfe un terteilt, die dominierende Kirche in der Mittel achse — noch dem Geist der Renaissance verpflichtet (man sagt allerdings, der Bauherr wollte den „Rost des hl. Laurentius" symbo lisch nachbilden). Die Nachfoigebauten ge langen zu einer freieren, reich rhythmisierten Gruppierung der Trakte, vor allem dort wo es bergiges Gelände zu meistern und zu krönen galt: am großartigsten in Melk an der Donau durch den Tiroler Jakob Prandtauer, in der Superga bei Turin durch Fiiippo Juvara, in Banz in Oberfranken durch Leonhard und Jo hann Dientzenhofer. Wo es das Terrain erlaubte, weitauszugreifen, entstehen meist regelmäßige Anlagen, aber auch diese in sich verschieden und reich vari iert. Ais Beispiele erwähnen wir: Einsiedeln in der Schweiz und Wiblingen bei Ulm. In Österreich folgt Garsten dem Escorialschema. Kloster Mafra bei Lissabon, erbaut von den aus Regensburg stammenden Architek ten Johann Friedrich Ludwig, wußte den Es-

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