Oberösterreich, 36. Jahrgang, Heft 1, 1986

Uraufführung des Oratoriums „Der heilige Augustinus" von Franz X. Müller in Linz 1924, zeitgenössisches Foto läum des Generalabtes Josef Sailer, Propst zu St. Florian. Müller erreicfit in diesem Werk seinen unverwechselbaren Stil, den Ich als Symbiose von Anton Bruckner und Richard Wagner sehe: farbenprächtig, der Chromatik keinesfalls abhold, durch oft einfache Mittel zu frappierender Wirkung gelangend. Mül lers Abhängigkeit von Bruckner wird immer wieder betont. Das mag für die frühen Werke gelten, trifft aber bei vielen der späteren und schon gar nicht auf das Liedschaffen zu. Auch begegnet man immer wieder der irrigen Ansicht, Müller sei Brucknerschüler gewe sen. Tatsache ist, daß Müller in seiner Sängerknaben- und Klerikatszeit in einem Zeitraum von 13 Jahren Bruckner immer wie der gesehen hat und mit ihm auch persönli chen Kontakt hatte. In seinen Lebenserinne rungen schreibt Müller über Bruckners Improvisationskunst: „Die geniale Verwen dung der leeren Quint: Der Meister pflegte seine großartigen Orgelphantasien mit dieser leeren, geschlechtslosen Quint im Pedal zu beginnen, ließ sie längere Zeit brummen und erzeugte so eine gewisse Spannung, um so mehr, als er auch Im beginnenden Manual spiel das Tongeschlecht noch einige Zeit un entschieden ließ. Diesen Vorgang finden wir auch im Te Deum." Oder: „Etwas fiel uns am Meister auf: Er begleitete nie den Choralge sang oder auch nur die Responsorien bei der heiligen Messe. Da rückte er von der Qrgelbank weg, und machte dem Stiftsorganisten, damals Josef Gruber, bereitwilligst Platz. Wohl aber machte es dem Meister Freude, wenn er in der Karwoche die sogenannten La mentationen begleiten durfte, das sind ern ste, tief eindrucksvolle Gesänge. Er tat dies auf hochoriginelle moderne Weise, so mo dern, daß man bei der regelmäßig wiederkeh renden Kadenz des Gesanges fürchten muß te, jetzt kann er nicht mehr auf die Tonika, resp. Dominante, gelangen. Aber so meinte man nur, denn siehe da, er drehte mit einem genialen Ruck den musikalischen Kahn her um und flugs war die Situation gerettet, er be fand sich wieder in der soliden, bürgerlichen Diatonik . . ." 1912 wurde Müllers einzige Symphonie in D-Dur in St. Florian uraufgeführt, Wiederho lungen erfolgten gelegentlich im Laufe der Jahrzehnte. Das großangelegte Oratorium „Der heilige Augustinus" entstand in den Jah ren 1913 bis 1915 und wurde 1924 unter des Komponisten Leitung in aufwendiger Beset zung (600 Sänger, 200 Kinder und über 100 Mann im Orchester) in Linz zum größten Er folg für F. X. Müller. 1924 erfolgte auch die Berufung Müllers als Domkapellmeister nach Linz. Dieses ehren volle Amt legte er 1943 In die Hände von Jo seph Kronsteiner. Kompositorisch ist die Lin zer Zeit sehr ergiebig. Es entstehen fünf große Messen (darunter die Rudigiermesse) und zahlreiche Proprien (darunter wahre Per len an liturgischer Musik wie das Oster- und Christkönigsproprium). Da im neuen Dom eine große Orgel fehlte, schrieb Müller meh rere festliche, äußerst wirkungsvolle Intraden für große Bläserbesetzungen. Auch sind zwei Streichquartette zu erwähnen. Zudem ent standen auch sehr viele Lieder für Singstim me und Klavier; so manche würden es verdie nen, im Repertoire lebendig erhalten zu werden. Leider sind Müllers Werke — mit wenigen Ausnahmen — nicht gedruckt und somit be dauerlicherweise zum Schweigen verurteilt. Bei seinem Begräbnis, das am 6. Februar 1948 war, sang der Linzer Domchor unter Joseph Kronsteiner ein Requiem für vierstim mig gemischten Chor a cappella mit dem Ver merk am Titelblatt „für mein Begräbnis / mehr Gebet als Kunst". F. X. Müller ruht am Prie sterfriedhof des Stiftes. Leo Walter Reich! wurde 1909 in Mitterkirchen geboren, trat 1928 ins Stift ein und wurde 1933 geweiht. 1934 war er an der Wiener Musikakademie und dann Stiftsorganist. 1938 verließ er den Orden und lebte als altkatholischer Pfarrer in Wien, wo er vor einigen Jahren verstarb. Als Komponist ist Reichl in der Florianer Zeit mit einigen liturgischen Werken (u. a. Ostervesper), weltlichen Chören und vor allem mit dem ausgezeichneten, an Hugo Wolf gemah nenden Liederzyklus nach Theodor Storm er wähnenswert. Verwendete Unterlagen: Musikarchiv des Stiftes St. Florian. Peter Dormann, Franz J. Aumann, 1985. Josef Mayr-Kern, Franz Xaver Müller, 1970. Berthold Otto Cernik, Die Schriftsteller der noch bestehenden Augustiner Chorherrenstifte Österreichs, 1905. 54

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