Oberösterreich, 35. Jahrgang, Heft 4, 1985

schon vor 2000 Jahren römische Legionäre den 945 Meter hohen Pyhrnpaß überquerten, reicht aber — wie ein Besuch im Felsbilder museum von Spital lehrt — bis in die Hall stattzeit, ja sogar in die Altsteinzeit zurück. In weiterer Folge tauchten keltische Stämme auf, die erwähnten Römer, die wiederum von Germanen und Markomannen vertrieben wurden, „windische" Slawen und schließlich bairische Einwanderer, die das Land um das 11. und 12. Jahrhundert endgültig urbar machten. Unter der Herrschaft des Bistums Bamberg entstand die erste Kirche im slawischen Gorschtschina (das alte Wort für Garsten be deutet soviel wie „BergWaldgegend") und 1190 — nicht zuletzt aufgrund des großen Pil gerstromes zum dritten Kreuzzug — ein Hos pital, das „Spital am Pyhrn". Dieses wurde zu nächst einer Bruderschaft, später weltlichen Chorherren anvertraut, die bis zur Reforma tionszeit ein beschauliches Leben führten. Nach den Wirren der Gegenreformation, die ein Starhemberger hart durchführte, wurde die Klosterkirche zwischen 1714 bis 1736 zu einer der schönsten barocken Kirchen Öster reichs ausgebaut, wobei Johann Michael Prunner, Domenicus Anton Carlone, Bartolo men Altomonte und der Kremser Schmidt zusammenwirkten. Eine eigene Schule ent stand, das Stift bewirkte großen wirtschaftli chen Aufschwung für das Tal. Der Abstieg zeichnete sich mit der Schließung der Propstei ab; ein verheerender Brand, der 1841 ne ben 24 Gebäuden auch große Teile des Stif tes einäscherte, gab dem Ort den Rest. In der Zwischenzeit war auch das „windische" Garsten aufgeblüht, vor allem als Raststation am Angelpunkt zwischen Pyhrn- und Hengst paß, über den — meist illegal — Eisen vom Steirischen Erzberg ins Tal kam. Zahlreiche Hammerwerke entstanden, die „Schwarzen Grafen", wie die reichen Gewerke genannt wurden, herrschten über das Land. Politische und wirtschaftliche Krisenzeiten ließen aber auch hier den Wohlstand bald wieder vereb ben, nur noch die behäbigen Bürgerhäuser um den Marktplatz erinnern an einstige große Zeiten . . . Eine Wende zum Besseren brachte erst 1905 der Bau der Pyhrnbahn, die den knapp 2000 Meter hohen Bosruck, den westlichen Nach barn des Pyhrgas, in einem fünf Kilometer langen Tunnel durchbohrt. Neuerdings ge sellt sich diesem noch ein zweiter für die Pyhrn-Autobahn dazu, der die heute eben falls gut ausgebaute Pyhrnpaßstraße ent lastet. Bahn, Straße und die teils in Bau, teils noch in Planung befindliche, auf jeden Fall aber mittlerweile heftig bekämpfte Autobahn drän gen sich zwar eng an Spital heran, weichen Windischgarsten aber in weitem Bogen aus, sodaß der Markt inzwischen sogar zum Luft kurort avancieren konnte. Kaum jemand aber weiß, daß es hier auch ganz andere Grundla gen für einen Kurbetrieb gäbe, nämlich Salz quellen, die jedoch nie richtig erforscht und nur in kleinen Bauernbadln genützt wurden. Vom Wurbauer Kogel zum Warscheneck Der landschaftliche Rahmen um das Garstnertal, über den mein Blick nun schweift, ist ebenso hübsch wie vielfältig; Wer auf möglichst kurzem Weg möglichst viel, davon erleben möchte, sollte den geologi schen Lehrpfad im Windischgarstener Kur park begehen, — er führt anhand von 48 Ex ponaten und einer detaillierten Broschüre durch nicht weniger als 300 Millionen Jahre, in denen unsere Landschaft aus den Fluten der Tethys geboren und durch vielerlei Erd kräfte gestaltet worden ist. Das Ergebnis dieser Vorgänge läßt sich dann am besten von den sanften Wald- und Wiesenhängen aus betrachten, die sich um den per Sessellift erreichbaren Wurbauerkogel, die Streusied lungen Edl- und Dambach oder um Ober österreichs höchstgelegenes Bergdorf Vorderstoder finden. Wer seine Schritte gern ans kühle Naß lenkt, kann im walddunklen Froatgraben dem Zauber alter Mühlen nachspü ren, durch die Moore, Auen und Konglomerat schluchten der Teichl und ihrer Zuflüsse wandern oder sich an den Gestaden des Gleinkersees, Windhagersees oder des Schafferteiches niederlassen. Über dem Dunst des Tales und mir genau westlich gegenüber lockt der riesige, quergebankte Schiffsbug des Warschenecks zu zünftigen Touren. Der mit 2387 Metern See höhe gewaltigste der Steinriesen um das Garstenertal überragt ein Reich, das in seiner Vielgestaltigkeit seinesgleichen sucht: Da liegt die Wurzeralm, leicht erreichbar durch Europas modernste Standseilbahn und mit Sessel- und Schleppliften zu einem vielbe suchten Skigebiet ausgebaut; da schlängelt sich aber auch die junge Teichl durch die bei den naturbelassenen Hochmoore „In der Fil zen", um zu Füßen der lotrechten Stubwieswipfel-Südwand unvermittelt in geheimnis volle Tiefen des Karststockes zu verschwin den, da leuchtet das Meerauge des Brunn steinersees unter der Ruine des Ramesch, der erst kürzlich durch seine prähistorischen Höhlenfunde Schlagzeilen gemacht hat, da breiten sich weite Zirbenwälder um die Hoch flächenwüste zwischen Mölbing und Hoch angern; und da dämmern auch die erst 1958 entdeckten, uns schon aus dem Felsbilder museum bekannten urgeschichtlichen Ritz zeichnungen auf den Felssturztrümmern der „HÖH" vor sich hin . . . Ein Gutteil des Wassers, das jahraus, jahrein in den unzähligen Ritzen, Schächten und Dolinen des 92 Quadratkilometer großen Warscheneckstockes versickert, kommt In der Nähe von Roßleithen In einer der größten Karstquellen der Alpen wieder zum Vor schein: Zwischen 200 und 2000 Sekundenllter drängen aus dem finsteren, erst bis In eine Tiefe von 55 Metern erforschten Schlund des Pleßllng-Ursprungs. Das Wasser betreibt übrigens auch die letzte noch bestehende Sensenschmiede Im Telchltal, die aus dem 17. Jahrhundert stammt. Die hier einst In großer Zahl erzeug ten „Sengs'n", wie sie die Mundart nennt, ga ben sogar einem der gegenüberliegenden Berge den Namen: Vom 1838 Meter hohen Hochsengs ging der klingende, Gott sei Dank durch keinen der berüchtigten böhmischen k. k. Kartographen entstellte Begriff auch gleich auf das ganze 20 Kilometer lange Ge birge nördlich der Teichl über: Im Sengsengeblrge, das In der GIpfelreglon unter Natur schutz steht, gibt es Im Gegensatz zu den gut erschlossenen südlichen Gebirgen nur eine Selbstversorgerhütte, die allerdings auf einem der schönsten Plätze der Alpen, auf der Felchtaualm, steht. Darüber hinaus exi stiert noch eine Biwakschachtel auf dem Hauptkamm, und nur wenige, meist hochalplne, markierte Wege leiten durch die Einsam keit, die Seen und Urwälder, Höhlen, Toteislö cher und eine steinerne Brücke versteckt. Hintergebirge und Haller Mauern: Kaum bekannte Bergnatur Noch unbekannter war bis vor kurzem das östlich anschließende Reichraminger Hlntergeblrge, bis es der erbitterte (und erfolg reiche) Kampf der Naturschützer gegen einen geplanten Kanonenschießplatz und zwei riesige Speicherkraftwerksprojekte aus seinem Dornröschenschlaf weckte. Immerhin beherbergt das ausgedehnte, eher hügelige Mittelgebirge die größte geschlossene Wald fläche der Ostalpen, kllometerlange und wild romantische Schluchten und urlge Almen. In seinen südlichen, dem Garstenertal zuge wandten Abhängen birgt es außerdem das seltsame, drelgetellte (und leider gefährdete) Stummerreutmoor und die wildzerrissenen Kampermäuer, In denen noch Adler horsten. Knapp unterhalb des 985 Meter hoch gelege nen Hengstpasses schwenkt die Landes grenze nach Süden, gegen das einsame Herz der Haller Mauern. Wildes und kaum zugängliches Hochgebirge charakterisiert die Gegenden um die Kreuzmauer, den Schelblingsteln und auch den nordöstlich un ter mir einem Seltengrat entragenden „klei nen Bruder" meines Gipfels, den Kleinen Pyhrgas. Die drei einzigen Steige, die von 66

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