Oberösterreich, 35. Jahrgang, Heft 4, 1985

führt werden sollen. Stammel scheint schon bald mit seiner Arbeit eingesetzt zu haben, denn schon 1746 müssen die von Göz entwor fenen Figuren von vier christlichen Tugenden im Obergeschoß der Rotunde begonnen wor den sein. Das Schreiben des Göz vom 16. September 1746, in dem er die Entwürfe über sendet, hat sich erhalten; der entsprechende Text zur „Wahrheit", die wir abbilden, darf hier zitiert werden, um den reichen Sinngehalt aufzuzeigen: „Zufolg der gnaedig von mir an verlangten 4 tagenden habe mit selben ge genwärtig unterthänig aufwarten wollen. Veritas aeterna tritt ein larfen mit dem fueß weil solche nichts falsches und betrügen leidet, dahero auch von dem angesicht einen Schle yer wekziehet, hatt auf der brüst eine goldene Sonne, weil die Wahrheit dieser an klarheit gleich, haltet daß offene Evangelium, worauf ein ring von einer schlangen daß wort Ewig anzudeuten etc." Die Arbeiten an der Bibliothek scheinen Stammel bis an dessen Lebensende be schäftigt zu haben; das „Letzte Gericht" der „Vier letzten Dinge" ist 1760 datiert; anschlie ßend könnten die Büsten der Bücherschrän ke entstanden sein; acht von ihnen zeigen eine andere Handschrift und dürften erst nach seinem Tode von einem anderen Bild hauer gefertigt worden sein. Alles in allem schuf Stammel für die Bibliothek acht große Evangelisten-, Apostel- und Prophetenfigu ren, dann die beiden schon erwähnten Re liefs, die Statuen der 4 Tugenden, weiters die „Vier letzten Dinge", wohl seine Meisterwerke, sowie endlich 60 von 68 Büsten. In diesen letzten zehn Schaffensjahren kön nen wir noch einmal einen Wandel in der pla stischen Gestaltung des Meisters erkennen. Die vier Tugenden, von denen, wie erwähnt, anzunehmen ist, daß sie schon 1746/47 ent standen sein dürften, lassen sich mit Arbei ten der mittleren Periode, etwa den Kalwanger oder Admonter Krippenfiguren, gut in Einklang bringen. Um und nach 1755 dürften die acht monumentalen Figuren geschnitzt worden sein, welche in den Ecken des Ober geschosses der beiden Bibliotheksarme an gebracht sind; sie stellen die vier Evangeli sten, die Apostelfürsten Petrus und Paulus sowie Moses und Elias dar. Bei ihnen bricht nun, wie wir glauben, nochmals die hochba rocke Sprache seiner Frühzeit durch, nun aber in einer abgeklärten, ins heroisch pathetische gesteigerten Weise, jedoch auch mit einer Hinwendung zum Verinnerlichten. Die römischen Vorbilder sind nun wieder stär ker wirksam; so kann Berninis Habakuk in S. Maria del Popolo in Rom durchaus als Vor bild für Stammeis Evangelisten Markus her angezogen werden. Alle acht Skulpturen sit zen oder knien auf Wolkenbänken, erschei39

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