Literaturbeilage der Kulturzeitschrift Oberösterreich Heft 2/1985 Aldemar Schiffkorn Enrica von Handel-Mazzetti: Die Heimat meiner Kunst. Niemals hat ein österreichischer Autor so mutig, aber auch so leidvoll für die Toleranz und für den christlichen Humanismus gestritten wie Enrica von Handel-Mazzetti. „ . . , .o Heinrich Gleinner Zu Unrecht sei Enrica von Handel-Mazzetti heute fast vergessen, ver merkte Landeshauptmann DDr. h. c Heinrich Gleißner im Geleitwort zu Moriz Enzingers Gedächtnisschrift aus Anlaß des hundertsten Geburts tages der Dichterin am 10. Jänner 1971. Als Tochter einer evangelischen Adeligen und eines aus altem katholi schen Adel entstammenden Vaters in Wien geboren, bestimmte die Aus einandersetzung beider christlichen Bekenntnisse Denken und Dichten, Wesen und erzählerische Begabung Enrica von Handel-Mazzettis. Mit ihren vier ersten Prosa-Epen „Meinrad Helmpergers denkwürdiges Jahr" (1900), Jesse und Maria" (1906), „Die arme Margaret" (1910) und „Stephana Schwertner" (1912—1914) wurde sie zur Emeuerin des histori schen Romans. Sie hat damit die katholische Prosadichtung aus den Nie derungen banalen Tendenz- und Erbauungsschrifttums herausgeführt und ihr wieder literarischen Rang erworben. Ihre Meisterromane blieben auch nicht ohne Einfluß auf jüngere Zeitgenossinnen, wie Paula Grogger, Maria Veronika Rubatscher und Dolores Viser. Im ersten Dezennium unseres Jahrhunderts erhoben Richard Kralik, dem die Linzer Gymnasialzeit bleibende literarische und musikalische Eindrücke vermittelt hatte, und der Rheinländer Carl Muth den Ruf nach einer Wiederbelebung des Schrifttums aus katholischem Geist. In Deutschland waren es seit 1903 das „Hochland" und seit 1906 in Öster reich die Zeitschrift „Der Gral", die sich für eine Erneuerung katholischer Belletristik einsetzten. Carl Muths Mahnrufe „Steht die katholische Belle tristik auf der Höhe der Zeit?" aus dem Jahr 1898 und „Die literarischen Aufgaben der deutschen Katholiken" von 1899 hatten nicht geringes Auf sehen erregt. Schließlich war es zum katholischen Literaturstreit gekom men, deren Hauptkontrahenten Kralik und Muth wurden. In der Fest schrift für Carl Muth „Wiederbegegnung von Kirche imd Kultur in Deutschland" (1927) sieht Josef Nadler die Ursache der Auseinanderset zung allein schon darin gegeben, daß Richard Kraliks Anliegen die Kul tur war, es bei Carl Muth und seinem „Hochland" aber um die Literatur ging. Wie Carl Muth im eigenen katholischen Lager nicht unwiderspro chen blieb, ja sein Einsatz für eine vom Geist katholischer Universalität getragene Dichtung mißdeutet wurde, so sollte ein Gleiches auch Enrica von Handel-Mazzetti nicht erspart bleiben. Schon in ihren ersten Roma nen wollte man Neigung zum Protestantismus, moralische Fragwürdig keiten und Blutrünstigkeit, kurzum modernistische Tendenzen festge stellt haben, während man andererseits Anstoß an dem sehr vordergründigen religiösen Engagement nahm, das ihr Werk kennzeich net. Der katholische Grundton wie die historische Bezogenheit ihrer vier ersten großen Romane und deren österreichische Schauplätze haben der Verbreitung dieser Bücher im gesamten deutschen Sprachgebiet keinen Abbruch getan, ja sie hatten vielmehr auch nichtkatholische Leserkreise anzusprechen vermocht. Handel-Mazzetti wußte das Ringen der Seelen um den wahren Glauben dichterisch überzeugend zu gestalten. „Meinrad Helmpergers denkwürdiges Jahr" erreichte bis zum Jahr 1938 eine Aufla genhöhe von 120.—122. Tausend , das 147. Tausend erreichte bis 1936 „Jesse und Maria", 1930 hatte „die arme Margaret" das 117. Tausend zu verzeichnen, die drei Bände der „Stephana Schwertner" das 69. bzw. 65. und 74. Tausend. Wenn die Dichterin im ersten Viertel unseres Jahrhunderts, gleich nach Erscheinen ihres „Meinrad", der ihr die Bewunderung und Freundschaft Marie von Ebner-Eschenbachs eintrug, ebenso heftig umstritten wie mu tig verteidigt worden war, so darf darüber einer der wesentlichen Gründe der Polemik nicht übersehen werden. Enrica von Handel-Mazzetti hat mit dem „Meinrad" und den drei folgenden Romanen aus den Jahren der österreichischen Gegenreformation den Weg aus Unduldsamkeit und re ligiösem Fanatismus zur Versöhnung im Geiste christlicher Nächstenliebe gewiesen. In einem weltanschaulichen Spannungsfeld aufgewachsen, das vom religiösen Zwiespalt in der Verwandtschaft geprägt war, ist die Dich terin zu einer ihr eigenen christlichen Spiritualität herangereift. Aus diesem Widerstreit heraus „wurde dann meine tragische Kunst geboren", gesteht sie. Wir erfahren weiter: „Daß der Liberale, der Ungläubige, der Fehlgläubige bei mir immer edle Züge hat, ist nicht Zufall, auch nicht künstlerische Reflexion: Es ist die unsterbliche Melodie der Kindheit, die sich nie vergißt. . . Ich glaube, daß die vielen Religionsgespräche, die ich als Kind hörte, die streng katholische Atmosphäre in Großvaters Haus, die josefinischen Anschauungen meiner lieben Mutter und dann das Klo ster es waren, die meine Seele schon früh mit religiösen Streitfragen förm lich durchtränkten." Zum Abschluß ihrer Erziehung hatte die sechzehn jährige Enrica mit ihrer Schwester das Institut der Englischen Fräulein in St. Pölten besucht. Es war der Geist und der von den Ordensfrauen ge pflegte Stil eines religiös bestimmten Gemeinschaftslebens, der die Per sönlichkeit Enricas während ihres St. Pöltner Pensionatsjahres entschei dend geformt hat. Die jungen österreichischen Christen, die nach Begegnung der Konfes sionen und dem sie Verbindenden suchen, wissen wohl kaum von dem hohen künstlerischen Rang, den die zeitgenössische Literaturkritik dem Werk der Enrica von Handel-Mazzetti zugesprochen hatte. Das Interesse der Literaturwissenschaft an dem Phänomen Handel-Mazzetti hat aller dings auch noch nachgehalten, als man ihre Bücher bereits einer über wundenen Stilepoche zuordnete. So waren im ersten Jahrzehnt nach 1945 noch fünf Dissertationen approbiert worden, die sich mit dem Werk der katholischen Dichterin befassen, Alcuin Hemmens „The concept of reli73
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