Oberösterreich, 34. Jahrgang, Heft 4, 1984

ihr Gatte auf Dienstreise sei und auch ihre Kinder erst in den Abendstun den von der Schule heimkämen, und ob es ihm möglich wäre, ihr ein paar Stunden zu schenken. Es sei heute ein herrlicher, sonnendurchfluteter Frühherbsttag und sie hätte außerdem ein Problem bezüglich des Auf baues ihrer neuen Erzählung und wäre glücklich, seinen fachlichen Rat zu hören. Zuerst wollte er unwirsch absagen, dann aber überlegte er, daß er sowie so einen Waldspaziergang vorgehabt hatte und machte sich mit ihr einen Termin aus und einen Ort, an dem sie sich treffen wollten. Sie, überglück lich über seine Zustimmung, meinte, es wäre wohl am frühen Nachmit tag, so gegen 15 Uhr, am besten. Markus gab sich zufrieden. Ehe sie den Hörer auflegte, hauchte sie noch etwas von „überglücklicher Seele" hin ein, so daß es ihn in den Ohren kitzelte. Er atmete tief ein und aus und ging ein paarmal im Zimmer auf und ab. Nun hatte er, dachte er gut gelaunt, genügend Zeit, um sich männlich zu wappnen gegen etwaige weibliche Attacken; konnte überlegen, wie er den Gefühlsüberschwängen der an sich sympathischen Frau ausweichen konnte, ohne sie zu beleidigen, denn sie war trotz ihrer manchmal pene tranten Aufdringlichkeit sehr sensibel und er wiederum so taktvoll, jed weder disharmonischen Auseinandersetzung auszuweichen, so gut es nur ging. Er liebte es aber nicht, wenn ihm Gefühle so offen gezeigt wur den. Es entsprach nicht seinem Stil. Die Stirne nachdenklich in Falten gezogen, ging er in die Küche, um sich ein kleines Mittagsmahl herzurichten. Da er gestern im Wald war und die Pilze durch den regnerischen Sommer überreich hervorwucherten, er au ßerdem ein leidenschaftlicher Schwammerlsucher war, beschloß er, die geernteten Pilze zu verwenden und sich eine Schwammerlsauce zuzube reiten, die er leidenschaftlich gerne aß, ohne Knödel natürlich, da er mit zunehmenden Jahren mit dem Gewicht zu kämpfen hatte. Und heute durfte er sich keinen vollen Magen leisten. Er machte ihn träge und rede faul. Da er sowieso ein großer Schweiger war, würde mit einem vollen Magen am Nachmittag aus einem Gespräch mit der mitteilsamen Dame kaum etwas werden und das wollte er vermeiden, denn irgendwie freute er sich auf diese Begegnung, wenn er auch etwas Angst davor hatte. Er liebte seit vielen Jahren sein Alleinsein, daß er sich nach drei mißlunge nen Ehen nicht durch Unbedachtheit zerstören lassen wollte. Als Mann, der den Sechziger schon auf dem Buckel hatte, schmeichelte es ihm frei lich, wenn Frauen mittleren Alters sich zu ihm hingezogen fühlten. Markus aß etwas zerstreut seine Schwammerl. Dann setzte er sich an den Schreibtisch, um einen kleinen Aphorismus zu Papier zu bringen. Um 14.30 Uhr zog er sich sportlich an, ging zur Garage, stieg ins Auto und fuhr gemächlich zur besagten Stelle am Rand des Waldes in der Nähe einer kleinen Kapelle, an der sie sich schon einige Male getroffen hatten. Als er hinkam, stand sie schon neben ihrem Wagen und winkte ihm zu. Sie begrüßten sich und bogen gleich darauf in einen Waldweg ein, den er sehr gut kannte, denn er wollte nach einem Rundgang wieder an den Ausgangspunkt zurückkommen. Sie gingen anfangs schweigend neben einander her, bis er sich aufraffte, sie zu fragen, was sie denn für ein Pro blem mit ihrer neuen Erzählung hätte. Sie sah ihn an und meinte, daß sie erst eine Weile diese Ruhe genießen wolle und das Glück, an seiner Seite zu gehen. Ihm gefiel diese Phrase nicht und barscher, als es seine Absicht war, antwortete er, daß sie ihn aber deswegen angerufen habe. Wie solle er ihr einen Rat geben, wenn sie sich ausschweige. Ich kann jetzt nicht darüber reden. Nicht jetzt, bitte! Du mußt das doch verstehen, sagte sie und ihre Stimme klang etwas gebrochen. Schon gut. Entschuldige bitte, antwortete er etwas unwillig, weil er hinter ihren vormittäglichen Anruf einen Vorwand erblickte, ihn aus seinen vier Wänden herausgelockt zu haben, nur um ihn zu sehen und sprechen zu können. Warum kannst du das nicht verstehen, sagte sie noch leiser, und ihre Au gen verfärbten sich. Immer, wenn sie erregt war, bekam sie dunkle Au94 gen. Er wurde etwas förmlich und hielt auf Distanz, weil er wußte, daß sie ihn im nächsten Augenblick mit einer leidenschaftlichen Suada über schütten würde. Um sich diesem katastrophalen Wortschwall zu entzie hen, wechselte er das Thema, sprach von der Schönheit der langsam sich verfärbenden Natur und daß man schweigen müsse, um den inneren Stimmen lauschen zu können. Sie seufzte tief und schritt schneller voran, um ihre Erregung zu verber gen. Er blieb etwas zurück, um diese etwas gewagte Situation zu ent schärfen und vermied jeden Körperkontakt. Sie blieb auf einmal stehen und nur, um etwas zu sagen, fing er an, ein Gedicht zu zitieren, das er vor vielen Jahren geschrieben hatte: Bunt stirbt das Laub in den Alleen, der wilde Wein verglüht, reif fallen die Kastanien, die Herbstzeitlose blüht. Schon wollte er weiter deklamieren, da ging sie plötzlich auf ihn zu und er unterbrach sich. Entschuldige, sagte er etwas verlegen, wenn ich dieses Jugendgedicht her vorkramte, aber es fiel mir einfach so ein, aus der Stimmung heraus, weißt du. Sprich weiter. Mir gefälllt es, sagte sie. Ich finde überhaupt, daß der Reim wieder mehr gepflegt werden sollte. — Und nach einer kurzen Pause füg te sie emphatisch hinzu: Man müßte die ganze Welt zusammenreimen. Diese Metapher gefiel ihm und er sagte es ihr auch. Sie errötete leicht, weil ein Lob aus seinem Munde immer etwas Besonderes für sie war. Dann gingen sie wieder eine Zeitlang schweigend durch den romanti schen Mischwald. Als sie auf eine Lichtung kamen, auf der einige golden leuchtende Ahornbäume standen, nahm sie ein Blatt auf. Kannst du dich erinnern, sagte sie und hielt ihm das Blatt hin, wie wir als Kinder diese Blätter sammelten, preßten und als Lesezeichen verwen deten? Meine Kinder tun das auch. So sehr sich diese Welt verändert, vie les ist gleichgeblieben. Und das ist gut so, meine ich. Gerade hier im Wald empfinde ich immer ganz intensiv den kosmischen Stillstand der Zeit. In solchen Augenblicken mochte er sie besonders und er ging etwas schneller, um plaudernd neben ihr 201 sein. Bald aber versachlichte er wie der seine Rede, denn er dachte daran, daß sie einen Mann und Kinder hatte und er wollte, seinem Gewissen folgend, kein Störenfried sein. In diesen zutiefst menschlichen Belangen dachte er sehr altmodisch. Um einen klaren Trennungsstrich zu ziehen, symbolisch natürlich, blieb er wieder einige Schritte zurück. Er wußte, daß ein Beisammensein mit ihr ihm einige schöne, unvergeßliche Stunden schenken würde, doch fühlte er, daß er ihr auf Dauer nicht widerstehen könnte und deshalb machte er sich auch so rar bei ihr. Daß er heute ihrem Wunsch nachgegeben hatte, konnte er sich selbst nicht erklären. Während er in Gedanken versunken dahinschritt, hörte er plötzlich einen Aufschrei und sah erschrocken, wie sie, die ihm vorausgeeilt war, über eine Baumwurzel stolperte und hinfiel. Er sah ganz verschwommen, wie sie sich im Fallen schwebend drehte und lief hin, um ihr aufzuhelfen. Als er sie daliegen sah in ihrer ausufernden Weiblichkeit, wie sie ihn mit er schrockenen Augen anblickte, dachte er mit plötzlich aufwallenden Lust gefühlen daran, dieser auf Farn und Moos hingebetteten sapphischen Ode einen adonischen Vers hinzuzufügen, aber gleichzeitig signalisierte ihm seine Vernunft, daß sich sein nur noch selten aufwärts strebende Banner immer häufiger herbstlich der Erde zuneigte, vmd er reichte ihr, ganz Kavalier der alten Schule, die Hände, um ihr behutsam aufzuhelfen. Nur für einen Augenblick lag sie in seinen Armen und sah ilm enttäuscht, ja beleidigt an. Dann riß sie sich los, streifte sich das Kleid zurecht, fuhr sich zerstreut durch die Haare und als er sich nach einigem Zaudern et was zaghaft und schuldbewußt nach ihrem Befinden erkundigte und sie fragte, ob alles in Ordnung sei, bejahte sie dies sehr förmlich und kühl.

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