Oberösterreich, 34. Jahrgang, Heft 4, 1984

Humor — ein Lebenselixier Wer sich nicht selbst zum besten haben kaim, der ist gewiß nicht von den Besten. Goethe In einem Zeitalter wie dem unseren, in dem die Industrialisierung trotz namhafter Kassandrarufe immer weiter um sich greift und die Überbe wertung des Materiellen die Psyche des Menschen immer mehr verküm mern läßt, muß der Humor als umfassendes Lebensgefühl nach und nach verlorengehen. Sich darüber einige Gedanken zu machen, mag wohl ver ständlich erscheinen, ist Humor doch, wenn schon nicht der höchste, auf alle Fälle aber der humanste Lebensstandpunkt, der den innersten Gehalt alles Menschlichen zum Ausdruck bringt. Die galoppierende Gefühlsverarmung der meisten Zeitgenossen läßt die feineren Nuancen des Humors immer mehr verdorren und der einst um den Stammtisch plazierte, von Bier- und Weindunst umnebelte soge nannte Herrenwitz ist Allgemeingut geworden, denn die Schicklichkeitsgrenzen wurden im Tabusturm der sexuellen Aufklärung fortschritts gläubig niedergerissen und die unter der Gürtellinie angesiedelten Zoten gesellschaftsfähig. Die manipulierte Hegemonie der Triebe, vernunftbe gabter und gefühlsbetonter Kontrolle entzogen, bewirkt die Auszehrung der sublimeren Formen der Liebe zwischen den Geschlechtern und be schleunigt das Dahinsiechen des echten Humors, der immer das Signum wahrer Menschlichkeit war. Man muß schon sehr viel Humor besitzen, um all die fäkalen Kraftmeie reien zu ertragen, die einem heute — mit wenigen Ausnahmen — als hu moristische Glanzstücke angeboten werden. Das soll nicht heißen, daß nur der von allen menschlichen Lastern und Schwächen entkeimte Hu mor Existenzberechtigung hat. Lassen wir uns ja nicht — um die Thera pie der Fröhlichkeit voll auf uns wirken zu lassen — das Amüsement des Frechen, Dreisten und auch Rüpelhaften entgehen, nur: Humor muß es sein. Fragen wir uns doch einmal, was Humor in seiner umfassenden Bedeu tung wirklich ist und verwechseln wir ihn nicht mit der derben Komik oder der ätzenden Satire. Das Wort kommt aus dem Lateinischen und be deutet soviel wie „Feuchtigkeit". Demnach ist nach der antiken Humoralpathologie gute Stimmung, Laune und Heiterkeit vom richtigen Mi schungsverhältnis der Körpersäfte abhängig. Und wie uns die Praxis lehrt, ist sie nicht einfach zu negieren. Der Münchner Eugen Roth, dessen heitere Verse die meisten kennen und lieben, war als fröhlicher DichterPhilosoph auch ein Verfechter dieser Theorie, denn er schrieb uns allen schon vor langer Zeit ins Stammbuch; Einst glaubte man, ein eigner Saft bewirke unsre Lebenskraft, doch hat die Forschung dann bewiesen, man lebe einfach, ohne diesen. Nun kommt's uns neuerdings so vor, als wär's — gewesen — der Humor. Der Humorist weiß eben am besten, daß die Zeiten sich zwar ändern, der Mensch aber in seiner Substanz immer der gleiche bleibt. Zu allen Zeiten schlug man die sonderbarsten Kapriolen aus reiner Lebenslust — imd dies besonders in harten und traurigen Epochen —, denn der Humor half und hilft uns noch immer, die Unzulänglichkeiten dieser Welt zu ertragen und lächelnd und verständnisvoll zu betrachten. Er ist halt mehr ein Ver mögen der Seele, also des Gemütes, so wie der Witz und die Satire mehr eine Fähigkeit des Verstandes sind. Am schönsten entfaltet er sich dort, wo sich Geist und Herz verbünden. Der wahre humorvolle Mensch ist ein echter Epikureer im besten Sinne des Wortes, denn er liebt die Andeutung mehr als das Direkte und eine anmutig-verspielte, scherzhafte Metapher verschafft ihm ein größeres Vergnügen als eine vulgär-komische Platitüde. Humor hat eben eine tiefe Beziehung zur Philosophie. So bezeichnete der im vorigen Jahrhundert lebende Ästhetiker Friedrich Theodor Vischer den Humoristen als einen Metaphysiker und kein Geringerer als der lie benswürdige Epiker der Heiterkeit, Jean Paul, spricht von einer humori stischen Totalität der Weltanschauung. Humor ist, darauf sollte man sich jederzeit besinnen, ein Mittel der Selbstbehauptung gegenüber menschli cher Böswilligkeit und der Sinnlosigkeit unseres Daseins und außerdem das wichtigste Regulativ, sich selbst richtig einzuschätzen. Er ist eine eigene, sehr rar gewordene Form von Weltgefühl. Wer ihn wahrhaft be sitzt, lächelt über das Allzumenschliche, aber er verspottet es nicht, weil er eben um die Unvollkommenheit unserer Spezies weiß; er lebt harmo nischer in allen Lebenslagen, weil er auch im Widrigsten noch etwas Gu tes und Positives findet. Zum echten, beglückenden Humor gehören drei seltene, aber zutiefst menschliche Eigenschaften: Freiheit des Geistes, große Charakterstärke und eine ebenso große Nachsicht mit den Fehlern und Schwächen unserer Mitmenschen. Aus diesem Grunde ist der alles verstehende und verzei hende Humor der Satire und Ironie vorzuziehen, obwohl diese höchst notwendig sind; denn es genügt meist nicht, den Menschen nur einen Spiegel vorzuhalten, man muß ihnen allzuoft in einem Zerrspiegel ihr manchmal nicht ganz geglücktes Konterfei zeigen, damit sie sich selbst er kennen. Ob die Humorlosen, Arroganten und Dümmlichen, die von sich ja nieist sehr eingenommen sind, daraus eine Lehre ziehen, wage ich zu bezweifeln. Aber man muß es immer wieder versuchen. Wenn auch — frei nach Juvenal — jede Zeit nach der Satire schreit, so glaube ich doch, daß der feinsinnige, nie beleidigende Humor letztlich positivere Wirkung zeigt und die Menschen zur Besserung animiert. Henri Bergson, der Philosoph des „elan vital", versuchte schon seine Zeit genossen zu überzeugen, daß Lachen Leben bedeutet und daß das Grund element des Lachens dessen Nichtübereinstimmung mit dem Normalen und Erwarteten ist. Ironie beschreibt nach seiner Definition das, was sein sollte und gibt vor zu glauben, es sei; Humor aber beschreibt das, was ist und gibt vor zu glauben, was es sein sollte. So ist demnach die Ironie hart und aggressiv, der Humor hingegen duld sam und nachsichtig. Literarisch interpretiert, sind Witz, Satire und Iro nie ihrer Form nach dramatisch, der Humor aber episch. Charles Dickens, Gottfried Keller und Kurt Kluge, um nur einige zu nennen, wa ren auch große humoristische Erzähler. Vielleicht werden sie gerade des wegen heutzutage so wenig gelesen. Alles unterliegt der Mode, die wandelbar ist, ohne in ihrem Wandel nicht die Dauer erkennen zu lassen. Alles war schon da und kommt immer wie der. Ein ewiges Thema mit Variationen. Auch der Humor ist einmal laut, dann wieder leise, einmal grobianisch, dann wieder dezent, nie aber ver letzend. Auf alle Fälle regt er das Gemüt an und es sind daher die kleinen Zutaten — quasi als heitere Würze des manchmal nicht sehr bekömmli chen Daseins — sehr zu empfehlen: Ein kleines Bonmot, ein prickelndes Apercu, ein sticheliger Aphorismus, der unser Selbstbewußtsein kitzelt; genügt dies nicht, um Geist und Seele richtig auszulüften und sich als Homo sapiens in seiner Haut so wohl zu fühlen, wie dies nur möglich ist bei einer wohldosierten Mischung aller Körpersäfte, die den Humor nicht austrocknen lassen. Einer, der das wohl wußte, war Sokrates, der vor zweieinhalb Jahrtau senden schon erkannte, daß man das Tragische mit Humor nehmen muß, weil auch der Humor seinen tragischen Hintergrund hat. Es gibt da eine kleine Episode, die sich während einer Aufführung der Komödie „Die Wolken" von Aristophanes ereignete, in der dieser die Lehrmethoden des großen Philosophen verspottete. Als Sokrates, der ansonsten selten ins Theater ging, sein Ebenbild mit den Worten: „Welch ein Eintagswurm ruft mich?" auftreten sah, erhob er sich, deutete zuerst auf sich und dann auf den Schauspieler und sprach lachend: „Nichts für ungut, o Freunde! Es ist kein übles Ding, sich dem Spott der komischen Dichter auszuset zen, denn legen sie unsere Fehler und Unzulänglichkeiten bloß, so geben sie uns Gelegenheit, uns zu bessern; und schwatzen sie Unsinn, nun, so treffen sie uns ja nicht!" Die Menge erkannte ihn und applaudierte ihm heftig. Wieviel Sinn für Humor hatte dieser große griechische Weise. Ein Quentchen davon wäre für viele Staatsmänner und Politiker, für Künst ler und Wissenschaftler und für viele andere, die im öffentlichen Leben 86

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