Oberösterreich, 34. Jahrgang, Heft 4, 1984

Oberösterreich aktuell Das Oberösterreichische Landesmusikschuiwerk Landeshauptmann Dr. Josef Ratzenböck Der technische, wirtschaftliche und soziale Fortschritt des 20. Jahrhunderts hat auch Oberösterreich trotz tiefgreifender gesell schaftlicher Veränderungen einen Wohlstand gebracht, den unsere Altvorderen wohl nie zu erträumen gewagt hätten. Ich wage aber zu behaupten, daß materieller Wohlstand nicht gleichgesetzt werden darf mit seelischer Aus geglichenheit, mit persönlichem Wohlbefin den. Da dürften uns die Vorfahren, die noch mit sich und der Welt in Einklang gelebt ha ben, voraus gewesen sein. Woran fehlt es uns heute? Sicher an der mangelnden Besin nung auf geistige Werte, auf echtes kulturel les Erleben. Bei dieser allgemeinen Grundhaltung wird verständlich, daß das kulturelle Geschehen angesichts materieller gesellschaftlicher Großleistungen trotz kräftiger Lebenszeichen immer noch vielerorts in den Schatten ge drängt wird. Dabei ist Oberösterreich seit je her ein Land künstlerischen Schaffens gewe sen, das keinen Vergleich zu scheuen braucht. Denken wir nur an die Musik: Sie hat reiche Tradition, die vor allem in der Volksmu sik bewundernswerte Lebensfreude bekun det und so manchem Tonkünstler, von denen Bruckner und Kienzl Weltgeltung erlangt ha ben, wertvolle kompositorische Anregungen gegeben hat. Und die Musik der Gegenwart? Rundfunk und Fernsehen, Schallplatte und Kassette beherrschen das Erscheinungsbild. Sie be friedigen jeden Geschmack in jeder nur er denklichen Qualität. Sie verführen nur allzu oft zum einseitigen Konsum aus der Tonkonserve und nur selten zum aktiven Mu sizieren. Das führt zur Verkümmerung der in dividuellen musischen Anlagen, die zweifel los der Oberösterreicher in reichem Maß besitzt. Meinen kulturpolitischen Auftrag sehe ich da her in der Ermunterung zu aktiver kultureller Tätigkeit, zur Förderung der persönlichen schöpferischen Talente jedes Mitbürgers und da vor allem beim Kind. Darauf hat jeder Lan desbürger einen Anspruch und deshalb ha ben wir auch im Landtag über meine Initiative ein eigenes Landesmusikschulgesetz ge schaffen. Es hat sich bewährt und ist — wie ich aus vielen anerkennenden Bemerkungen von Fachleuten der Europäischen Musikschul-Union höre — internationales Vorbild geworden. Dieser Erfolg darf uns alle mit Freude und Stolz erfüllen. Dies umso mehr, da wir erst auf eine sechsjährige Tätigkeit und Erfahrung mit unserem Landesmusik schuiwerk zurückblicken können. Die Arbeit, welche in diesen sechs Jahren un ter der verantwortlichen Leitung von Landesmusikschuldirektor Heinz Preise, den inzwi schen die Europäische Musikschul-Ünion sogar zu ihrem Präsidenten gewählt hat, und seinen bewährten Mitarbeitern geleistet wur de, verdient einer breiten Öffentlichkeit dar gestellt zu werden. Vorerst jedoch einige Gedanken zur histori schen Entwicklung und heutigen Bedeutung des Schultyps „Musikschule". Geht man den Weg der Kulturgeschichte zu rück bis zu ihren Anfängen in vorchristlicher Zeit, so wird man feststellen, daß der aktiven Musikausübung von jeher größte Bedeutung durch Staatsmänner, Philosophen und Päd agogen beigemessen wurde. Musizieren ist nicht nur eine Ausdrucksform religiöser und kultischer Handlungen, sondern eine kultu relle Tätigkeit des gesamten Lebensberei ches. Dieser Erkenntnis zufolge lehrten schon die großen griechischen Denker der Antike die Notwendigkeit musikalischer Er ziehung des Menschen von Jugend an. Der bedeutende schweizerische Pädagoge Jo hann Heinrich Pestalozzi regte erstmals ve hement die Verankerung der Musikerziehung in der allgemeinen Schulpädagogik an. Er verlangte eine gleichwertige Ausbildung der menschlichen Fähigkeiten und räumte somit der Musikerziehung die gleiche Priorität wie den anderen Bildungsfächern ein. In der Folge erkannte man, daß außerhalb der Schulmusik, die in erster Linie den Singunter richt und die allgemeine Musiklehre umfaßt, der Instrumentalausbildung ebensolche Be deutung zukommen müßte. Aufgrund des Be dürfnisses kultureller Einrichtungen, wie z. B. Kirchenchöre, Blasmusikkapellen und Streichorchester, nach permanentem Nach wuchs mußte der Grundschullehrer neben dem Privatmusiklehrer, der vor allem für die Instrumentalausbildung zuständig war, eben falls in seiner Schulgemeinde Instrumental unterricht erteilen. Diese Entwicklung er reicht im Zeitalter des Biedermeier in Österreich einen Höhepunkt. Die österreichi sche Volksschule dieser Zeit erhielt von ihrem Gepräge her sogar den Titel „DorfKonservatorium". Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzte eine enorme Entwicklung auf dem Gebiet der Na turwissenschaften ein, was in den allgemein bildenden Schulen zur Folge hatte, daß natur wissenschaftliche Fächer den musischen ihren von Pestalozzi eingeräumten Stellen wert entzogen. Die Musikerziehung fiel der Fächerexpansion in der Entwicklung der all gemeinbildenden Schulen zum Opfer und wurde zusehends in den außerschulischen Bereich gedrängt. Hier wurde sie vorerst dem Aufgabenbereich von privaten Musiklehrern und Musikvereinen zugeteilt. Bald jedoch verlegte sich der Schwerpunkt außerschuli scher Musikerziehung auf spezielle Musik schulen. Der Grund dafür war, daß dem priva ten Musiklehrer die Betreuung der verschiedenen Ensemblebildungen, wie Or chestervorschulen, Schulorchester etc., nicht möglich war, weil ihm die räumlichen Voraus setzungen wie auch die erforderlichen finan ziellen Mittel fehlten. Nach dem zweiten Weltkrieg setzte in Europa ein starker Aufwärtstrend in der Musikschul entwicklung ein. Die Forderung nach einer qualitativen instrumentalen Musikausbildung durch Musikschulen, die nicht nur einer privi legierten Gesellschaft, sondern einer mög lichst breiten Bevölkerungsschicht zukom men soll, verstärkt sich immer mehr. Für die heutige Musikschule als außerschulische Bil dungseinrichtung entwickelt sich folgender Aufgabenbereich: — Förderung des Musikinteresses und -Ver ständnisses von frühester Kindheit an, auf bauend auf der erfolgten Sensibilisierung im Elternhaus, im Kindergarten und in der allge meinbildenden Schule; — Vermittlung einer instrumentalen, vokalen und bewegungsmäßigen Ausbildung; — Heranbildung des Nachwuchses für das Laienmusizieren; — Angebote für verschiedene Möglichkeiten des gemeinsamen Musizierens; — Begabtenfindung und Begabtenförderung; — Vorbereitung auf ein Berufsstudium; — Zusammenarbeit mit allgemeinbildenden Schulen und anderen Bildungs- und KulturOrganisationen und -Institutionen; — Heranbildung des jungen Menschen zum informierten und kritischen Musikhörer. 77

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