Historische Kunst Oben: Ranshofen, ehemalige Stiftskirche, Augustinusaltar (Augustiner-Chorherren-Altar), Seitenfigur des hl. Gelasius im Geflecht von Akanthusranken, 1699. — Foto: Bundesdenkmalamt Wien III. Stellen wir nun diesem pädagogischen Prin zip der Aufzählung, das dem pastoralen Aspekt der Gegenreformation so sehr ge recht zu werden scheint, die Gestaltungswei se ebendieser Seitenaltäre gegenüber. Die Schnitzfiguren verdanken ihre Positionen dem geläufigen Retabelschema, sind jedoch in das frei bewegte Rankenwerk so involviert, daß sie von diesem geradezu verschluckt werden. Dies ergibt sich aus dem Zusam mensehen der Furchungen und des Linien flusses in den Gewändern und Akanthusran ken, die bisweilen regelrecht ineinander übergehen und in manieristisch-groteskem Sinne verwachsen, und ebenso aus der ge meinschaftlichen, schon im „Saeculum Octavum" hervorgehobenen Vergoldung. So ver lieren die einzelnen Inhaltsträger innerhalb des dekorativen und gleichzeitig auch ex pressiven Gesamteffekts an individuellem Aussagewert. Diese Eigenschaften malerischer Synthese gelten zwar keineswegs nur für die Ranshofener Altäre, treffen aber bei diesen mit einem besonders umfangreichen Figurenprogramm zusammen. Der Typus der Rankenrahmenaltäre entstand in Kongruenz zur ornamenta len Stilentwicklung nördlich der Alpen In den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts, war bis in das frühe 18. Jahrhundert hinein ver breitet und in einem von der Oberpfalz (daher die irreführende Bezeichnung „Oberpfälzer Rechts: Ranshofen, ehemalige Stiftskirche, Akanthusdocke des Kirchengestühls mit manieristisch-anthropomorpher Fratzenbiidung. Foto: Elfriede Mejchar Typus") und Niederbayern über Österreich, Böhmen und Schlesien bis nach Ungarn rei chenden Bogen beheimatet.® Die spezifi sche, organische und dynamische Einheit von Figur und Ornament kommt beispielswei se besonders eindrucksvoll in einer österrei chischen Altargruppe zum Ausdruck, die künstlerisch von der Stiftskirche Garsten ihren Ausgang genommen hat. Die dortigen sechs, durch die Altarblätter 1685/88 datier baren Rankenseitenaltäre gehören zu den frühesten überhaupt. Die an der Garstener Ausstattung — zu ungeklärten Anteilen — Beschäftigten, der Tischler Johann Jakob Pokorny und der Laienbruder Marian Rittinger als Bildhauer, waren in der Folge für die nahe, ebenfalls benediktinische Stiftskirche Seiten stetten in Niederösterreich tätig, die 1697/99 eine Altarserie erhielt. Bei diesen ist die Be teiligung des Bildhauers Franz Joseph Feuchtmayr hinsichtlich der Figuren urkund lich nachzuweisen und hinsichtlich der Akanthusretabel zu vermuten (als Ornament schnitzer schuf er beispielsweise 1683 Akanthusbildrahmen für die Stiftskirche Krems münster). Stilistisch übereinstimmend sind auch Rankenaltäre in zwei Garstener Stifts pfarren: der für 1693 gesicherte Flochaltar von St. Magdalena bei Linz und die gleichzeitig anzusetzenden Seitenaltäre, die in Christkindl Aufstellung fanden.^® Gerade in den drei letztgenannten, mit Franz Joseph Feuchtmayr in Verbindung gebrach ten Beispielen zeigt die nicht geringe bild hauerische Qualität, daß es nicht ausreichen würde, die gewisse „Verkrautung" von Altar aufbau und Figuren ausschließlich als Aus fluß der „provinziellen Formkraft" im Sinne Nikola Michailows zu deuten, der die Expressivität einer linearistisch-schnörkelhaften Formauflösung, Ornamentalisierung und der sogenannten Massenverfilzung zur Grundla ge seiner Definition gemacht hat.^'' Selbst im Werk eines Meisters von höchster Sensibili tät, nämlich an der 1706 von Meinrad Guggenbichler geschaffenen Kanzel von St. Wolf gang, ist es zu beobachten, daß eine feingliedrige Differenzierung in den Gewän dern der Kirchenväter in der Zusammensicht mit den zarten Blattrippen des hinterfangen den Akanthus zu jenem Gesamteffekt führte, in dem die Figuren — noch dazu auf Wolken schwebend — ihre statuarische Selbständig keit einbüßen. Diese Eigenschaften sind in der allgemeinen Stilentwicklung begründet. Welche Umstände führten nun aber zur Ver wandlung ganzer Altarretabel? Ihre naturali stische, abbildende Form läßt vordringlich nach dem Sprachcharakter des Ornaments im Sinne Günter Bandmanns, nach seiner as soziativen Funktion und vielleicht sogar einer symbolischen oder allegorischen Bedeutung 61
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