Oberösterreich, 34. Jahrgang, Heft 4, 1984

Historische Kunst I. 1697 bis 1699 erfuhr die Stiftskirche von Ranshofen bei Braunau am Inn eine tiefgrei fende Umgestaitung. Den Anlaß hiefür bilde te das 800-Jahr-Jubiläum der Gründung der Pankratiuskapelle in der Pfalz von Ransho fen, die von der barocken Geschichtsschrei bung ins Jahre 898 angesetzt wurde und die als Keimzelle des nachmaligen Augustiner Chorherrenstiftes zu gelten hat. Diese Er neuerung verwandelte den spätgotischen Raum, der im Laufe des 17. Jahrhunderts ar chitektonisch nur punktueli verändert und mit Altären versehen worden war, in ein hochba rockes Ensemble von beeindruckender Ein heitlichkeit. In diesem Fall ist es die frei bewegliche Akanthusranke, die sich von ihrer begleiten den Funktion als Dekorationselement zum einheitsstiftenden Formimpuls und zur prä genden Kraft des gesamten Raumes emanzi piert hat. In stuckierter Form überzieht sie geDidaktik und Dekoration in der barocken Ausstattung der Stiftskirche von Ranshofen Das Geheimnis der Rankenaltäre Bernd Euler-Rolie meinsam mit anderen geradezu natura listisch gebildeten Pflanzen alle Wölbungen, weswegen auf die spätgotischen Rippen ver zichtet wurde; in geschnitzter, „geschnitte ner" Form, wie die zeitgenössischen Quellen es nennen, durchsetzt sie sämtliche Teile des mächtigen Hochaltars, formt selbständig die Aufsätze des Chorgestühls und schmückt es, bildet den Schalldeckelbaldachin der Kanzel ebenso wie die Docken des Kirchengestühls und konstituiert vor allem in frappierender Weise ohne jegliches architektonisches Ge rüst die Seitenaitäre der Stiftskirche. Ranshofen, ehemalige Stiftskirche, Innenraum mit Blick gegen Hochaltar. Foto; Elfriede Mejchar Verhaftet in der traditionellen, aus einem Hauptgeschoß mit Aitarbiatt und Seitensta tuen sowie einem gleichartig, jedoch kleiner gebildeten Aufsatzgeschoß zusammenge setzten Retabeistruktur, entstanden orna mentale Paraphrasen auf den architektoni schen Altar, in denen das Ornament als freies Strukturelement zur Form erhoben und ins Monumentale gesteigert wurde. An den Sei tenaltären zur „kritischen Form" getrieben, offenbart die Akanthusranke ihre große Fä higkeit zur ornamentalen, sohin auch dekora tiv wirksamen Vereinheitlichung der Formen sprache, in der sich der Hang zum Gesamt kunstwerk des Hoch- und Spätbarock ab zeichnet. Die kulissenhafte Staffelung der sechs Seitenaitäre, die in einer Ende des 17. Jahrhunderts bereits überholten, vom Mittel alter bis zum Frühbarock gepflogenen Weise vor den Mittelschiffspfeilern frontal aufgereiht sind, läßt die Akanthusgebilde in der Zusam mensicht so nahtlos zueinandertreten, daß - < '.' , 1 M m 57

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