Oberösterreich, 34. Jahrgang, Heft 3, 1984

Frage Das Kreuz im Gedörn Da ist ein Klingen, doch wo kommt es her? Singt es der nahe Wald? Bringt es der Abendwind? Kommt es aus dunkler Nacht? Ist es im Raum? Mir ist, als wüßte ich die Antwort, und dennoch kann ich sie nicht nennen. Vielleicht kommt dieser Klang aus reich beschenktem Herzen, denn eine tiefe Freude wurde mir zuteil. Ist dieses Klingen etwa nur ein Widerhall? Wie ein Tropfen Jeder Tag ist ein Tropfen im unendlichen Meer der Zeit. Er steigt empor neigt sich über die Erde und versinkt. Jeder Traum ist ein Gedanke im allumfassenden Dunkel der Nacht. Er kommt aus gelöster Seele und zerrinnt im Dämmer des Morgens. Jede Träne ist ein Tropfen in der tiefen Schale der Einsamkeit. Sie quillt, kann bitter werden und wieder versiegen durch ein tröstendes Wort. Einsam am Rande des Feldes das Holz mit dem Gekreuzigten, schlicht, verwittert. Um den Fuß des Stammes rankende Zweige, sie tragen Dornen. Auch das Haupt des Mannes trägt Dornen, sie haben Ihm eine Krone daraus gemacht. Doch siehe, in jedem Sommer erwacht der Strauch, Knospen brechen auf, entfalten sich — werden blutrot und drängen in unzähligen Rosenblüten empor — zu Ihm. Bedecken seine Wunden, wehren dem spitzen Dorn, nehmen dem Bild des schmerzhaften Mannes das Bittere und die Verlassenheit. Sagen: Er ist mitten unter uns. 91

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