Oberösterreich, 34. Jahrgang, Heft 3, 1984

Kunst der Gegenwart Erinnerungen an Stephan Seidler Otto Wutzel Eines der vielen eigentümlichen Merkmale des 20. Jahrhunderts Ist seine Raschleblgkelt. Kaum ein Lebensbereich bleibt von einem sich Immer mehr überstürzenden Szenenv/echsel verschont, auch die Kunst nicht. Spätere Generationen werden vermutlich von einer Ismus-Krankheit in der Kunstge schichtsschreibung unseres Zeltalters spre chen. Wie viele Ismen wurden nicht schon er funden? Wie viele Künstlernamen, die einst hell leuchteten, waren rasch wieder verges sen? Malten sie schlechte Bilder oder paßten sie nicht In das Korsett einer neuen Stilkate gorie? Auch Stephan Seidler, geboren am 28. Au gust 1893 in Olmütz, gestorben am 6. Februar 1966 In Linz, gehört zu den Vergessenen. Nur einige ältere Linzer erinnern sich daran, wenn sie an der Kunsthandlung Seidler In der Klosterstraße vorbeigehen, daß es einst einen Maler gleichen Namens gegeben hat, der zu seinen Lebzelten im Linzer Kultur leben eine markante Erscheinung war, von dem es „sehr schöne, aber leider wenig be kannte Landschaftsbilder gibt", so zu lesen In der bisher einzigen umfangreicheren biogra phischen Skizze über Ihn Im Katalog zur oö. Landesausstellung 1976 „Der oberösterrei chische Bauernkrieg 1626". Gezeigt wurden In dieser Ausstellung alle seine Bauern kriegsbilder, u. a. „Nächtliche Ansammlung der Herberstorff-Truppen In der Linzer Alt stadt", ein typisches Beispiel traditionsge bundener Historienmalerei mit düsterem Blau als vorherrschendem Farbton, der von den Harnischen der bayerischen Söldner, auf die das helle Kerzenlicht aus den Fenstern der Bürgerhäuser am Hofbergplatzl fällt, wi derspiegelt. Sein Münchner Akademiepro fessor Angelo Jank hätte Ihn für diese Arbelt sicherlich gelobt. Studien zum Bauern kriegsthema, wie z. B. ein unsigniertes groß formatiges Kreideblatt, zeigen eine gewisse Verwandtschaft zu Rudolf Stelnbüchlers spä teren Bauernkriegsdarstellungen, vor allem im Festsaal des Amtsgebäudes der Bezirks hauptmannschaft Grieskirchen. Auch dieses Werk, das bei seiner Entstehung 1953/54 viel Wirbel ausgelöst hat, wird heute kaum mehr beachtet. Ob sich Rudolf Stelnbüchler noch an seinen alten Freund erinnert? Die Lippen der Alten sind schmal geworden. Einst muß es eine gute Freundschaft gewesen sein, wie ein Brief Stelnbüchlers an Stephan Seidler vom 8. Oktober 1931 belegt; „. . . Meine 5 Jahre an der Akad. sind schon um. Ich bekomme nur noch 1 Jahr dazu. Was dann sein wird? Von der Maria soll Ich Euch alle, auch das noch unbekannte Töchterlein herzlich grüßen. Wir haben uns sehr gefreut. als Du uns schriebst, daß Ihr ein zweites Mäderl bekommen habt u. hatten Immerden Ge danken, einmal über 2 od. 3 Tage zu Euch zu kommen. Hoffentlich wird das noch einmal. Wie gefällt es Dir und Deiner lieben Frau In Innsbruck? Ich habe schon wieder genug von Linz. Sonst gibt es ja nichts Neues von mir. In München wird es künstlerisch Immer stiller, Auktionen mit Schundpreisen u. an der Akad. jedes Semester weniger Schüler. Indem Ich hoffe, daß wir uns bald einmal wiedersehen u. einige schöne Stunden beinander verleben, grüße Ich Dich, mein lieber Freund? . . ." Aufschlußreich Ist eine Eintragung von Ste phan Seidler In seinem Münchner Tagebuch über seinen Freund Stelnbüchler, das „Kopfzeichnen" an der Akademie betreffend: „... Expressionisten haben wir auch — Steln büchler Ist ein solcher, die zeichnen an 10 Strichen einen Tag, wie die wohl sehen müs sen! . . ." Anton Lutz erinnert sich gerne und bewußt an Stephan Seidler, allerdings spricht er weniger über den Malerkollegen, eher mehr über den Kunsthändler. Er betont. Im Umgang mit Anti quitäten viel von seinem Freund gelernt zu haben. Ein Brief von Lutz aus seinem gelleb ten Kallmünz In der Oberpfalz vom 26. Okto ber 1923 belegt, daß der Kunsthändler Seid ler für seine Freunde stets ein offenes Ohr hatte: „Lieber Seldlerl Gerhardinger u. Erich Müller haben vor, nächstes Frühjahr nach Linz zu mir und dann In die Wachau malen zu gehen, d. h. Ich möchte sie dort haben, aber die fürchten die österr. Preise. Ich sagte Ihnen, Du würdest je dem sicher gern ein Bild aus der Linzer Um gebung abnehmen und unter der Bedingung würden sie sicher kommen. Allerdings sind beide gute Preise in Goldmark gewöhnt. . ." Dieser Brief gibt einen wesentlichen Hinwels auf Stephan Seidlers Lebensbahn, die be wegt und zwischen einigen Polen schwan kend war. Seine Mutter übersiedelte mit Ihm von Ol mütz nach Linz, als er noch ein Kind war. Die oberösterreichische Landeshauptstadt wur de seine feste Heimat. Wie Anton Lutz be suchte er die Lehrerbildungsanstalt in Linz und versah von 1912 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges den Dienst eines Dorf schullehrers Im Mühlvlertel. Dienstorte waren Hollerberg, St. Peter am Wimberg, einsame Dörfer, in denen der junge Lehrersich jedoch nicht einsam fühlte. Er gewann engen Kon takt mit der bäuerlichen Kunst. Sein Malerau ge nahm den Reiz dieser herben Landschaft als bleibenden Eindruck In sich auf. Aus einer Fülle von Mühlviertelbildern, die sich In Be sitz seines Sohnes befinden, wird hier ein kleinformatiges Ölbild gezeigt, das malerisch und kompositioneil wohltuend anspricht. Der erste Weltkrieg bedeutete — wie für un zählige junge Männer dieser Generation — für Seidler einen tiefen Einschnitt In seinem Leben. Er wurde übrigens auch noch Im Zweiten Weltkrieg als Reserveoffizier ein rückend gemacht. Wieder kann eine Eintra gung aus seinem Münchner Tagebuch mehr aussagen als ein nachempfundenes biogra phisches Wort: „1. Nov. (1926) In der Theatlnerkirche war heute eine Krlegerdenkmesse. Eine große Anzahl bayri scher Prinzen, darunter Ruprecht, Leopold, nahmen daran teil. Ein Pfarrer hielt eine Pre digt und las dann die Messe, die von einem Hornorchester begleitet wurde. Andächtig wurde alles, als das Lied vom guten Kamera den erklang. Viele Frauen weinten. In diesem Augenblick stand so mancher Kamerad vor Augen, der schon lange ruht . . ." Im Anschluß an diese Eintragung dann die kurze Notiz: „Heute am 1. Nov. Ist EggerLlenz gestorben." Die Liebe zur Kunst war für den Kriegshelmkehrer lebenserhaltendes Elixier (= Hell trank). Sie formte sein Dasein. Zunächst ver suchte er sich als Kunsthändler. Am Beginn der zwanziger Jahre übernahm er in Linz die Buchhandlung Steurer und begründete Im Haus Landstraße 9 die Kunsthandlung „Dü rerhaus", die später zur „Linzer Frühstücks stube" umgewandelt wurde. Ältere Linzer und LInzerinnen erinnern sich gerne an diesen schöngeistigen Kunsttreff von annodazumal. Anton Lutz erzählt, daß er dort fast täglich zu Gast war. Gespräch und Aussprache wurden gepflegt. Stephan Seidler entwickelte im Handel mit alter Kunst Sachkenntnis und Ge schick. Die Freude an schönen alten Dingen überwog allerdings den kaufmännischen Ehrgeiz. Aber auch die zeitgenössische Kunst, wie sie sich damals In Linz anbot. In teressierte Ihn. Ein Brief von Klemens Brosch an Ihn, datiert 7. März 1922, wird als bemer kenswertes Zeitdokument hier wiedergege ben: „Sie wissen, daß Ich schon seit Jahren nicht mehr ausstelle. Grund? Jch verkaufe direkt durch Versand an Sammler, Museen etc . . . Das vollzieht sich viel ruhiger u. ohne Aufsehen als auf Ausstel lungswegen. Und dem Versand stehen bei Graphiken keine großen Schwierigkelten Im Wege. 71

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