Oberösterreich, 34. Jahrgang, Heft 3, 1984

Rauhe Sitten also im Böhmerwald, dem Grenzraum zwischen drei Staaten bis in das 20. Jahrhundert herein! Heute ist die einst mals am meisten herausfordernde Grenze so gründlich sterilisiert, daß sie nicht einmal das Wild ungefährdet überschreiten kann, die an dere Grenze bietet infolge des geringen wirt schaftlichen Gefälles höchstens dem Ama teur Anreiz zu einem Gelegenheits schmuggel. Im Laufe der Jahrhunderte hat es noch viele typische Waldmenschen gegeben. Förster, Jäger und Heger haben dem Wald, seit man ihn wirtschaftlich zu nutzen begann, Dienste erwiesen, die dieses lebenswichtige Biotop nicht nur erhalten, sondern sogar gesund er halten haben, wenigstens bis in unsere Tage. Einsiedler, wie z. B. der Gründer der Pfarre Schwarzenberg, und Waldpropheten haben zeitweise von sich reden gemacht und mit ihren Visionen und Drohbotschaften die Zeit genossen und Nachkommen in Schrecken versetzt: „Boarichtern", wie den Stadlbauern in Wuldä und Asang, haben Blessierte und Lei dende mehr Vertrauen entgegengebracht als Ärzten und Spitälern, denn mit ihren Pech pflastern und ihrem Dörrband — es blieb so lange drauf, bis es dürr/trocken war — haben sie tatsächlich Wunden, Verrenkungen und Knochenbrüche geheilt. Nachkommen dieser Heilpraktiker, wie man in Bayern sa gen würde, helfen heute noch, wenn etwa ein „Spi(n)dl" „aushägit"; es wird durch Zug und Gegenzug wieder eingerichtet. Auch die al ten Holzhackersiedlungen stehen in den mei sten Fällen noch, aber die Holzarbeiter, die heute auf geräumten Straßen zu ihren Schlä gen gelangen können, sind fast durchwegs in wärmere Talregionen hinuntergezogen; ihre Häuser werden von Organisationen und Ver einen oder von „Einsiedlern auf Zeit", d. h. als Wochenendquartiere, bewirtschaftet und be wohnt. Trotz mannigfacher Abwanderung ist die Ruhe in den Wald nicht wieder eingekehrt. Waren es nach dem Zweiten Weltkrieg die Flüchtlinge, die sich selbst und ein wenig von ihrer Habe durch den schützenden Wald über die Grenze in eine neue Heimat „schmuggel ten", so waren es in den nachfolgenden Jah ren mehr und mehr jene Stillen im Lande, die den Nordwaldkammweg im Geiste Stifters beschaulich durchwanderten. Beeren brocker und Pilzesammler, wenn auch meist stille Gäste des „Wirtes" Wald, haben doch zusammen mit ganz ungleichen, weil lauten Gesellen, den Motorsägen und Traktoren der Holzknecht-Partien, viele Kulturflüchtlinge der Tierwelt verunsichert und, wie z. B. das Auwild, gänzlich vertrieben. Inzwischen hat auch der Wintersport den Böhmerwald erobert, zuerst der alpine Schi lauf im Gebiet des Hochficht, dann auch der Langlauf auf den eher ebenen Hochflächen zwischen Schöneben — überzeugender als der kurze Name könnte man diese Böhmer waldpartie nicht charakterisieren — Ober haag und St. Stefan. Stifter könnte von seinem Denkmal im Nie mandsland der Seewand des Plöckensteinersees aus nicht nur die eisige Stille der Zone des Eisernen Vorhangs überschauen, son dern auch das hektische Treiben auf den Ab fahrten vom Hochficht. Ob er, wenn er eine Neufassung des „Waldgängers" schreiben müßte, noch sagen könnte, daß es in diesem Lande ob der Enns neben den Gebirgsland schaften „auch andere, unbedeutendere, gleichsam schwermütig schöne Teile gibt, die abgelegen sind, die den Besucher nicht ru fen, ihn selten sehen, ihm aber, wenn er kommt, gerne weisen, was im Umkreis ihrer Besitzungen liegt: wer sie einmal gekannt und geliebt hat, der denkt mit süßer Trauer an sie zurück wie an ein bescheidenes liebes Weib, das ihm gestorben ist, das nie gefor dert, nie geheischt und ihm alles gegeben hat"? Ob er vom Menschen des Böhmerwaldes noch das sagen könnte, was der alte Gregor, jener „seltsame Mensch", den Heinrich der Wittinghauser seinen Töchtern Johanna und Clarissa zum Schutz beigegeben hat, über sich selbst sagt: seht, ich habe mir immer mehr und mehr ein gutes Gewissen aus dem Walde heimgetragen. Es kann ja auch nicht anders sein, denn ... da fing ich an, allge mach die Reden des Waldes zu hören, und ich horchte ihnen auch, und der Sinn ward mir aufgetan, seine Anzeichen zu verstehen, und das war lauter Prachtvolles und Geheim nisreiches und Liebevolles... In allem hier ist Sinn und Empfindung; der Stein selber legt sich um seinen Schwesterstein, und hält ihn fest, alles schiebt und drängt sich, alles spricht, alles erzählt und nur der Mensch er schaudert, wenn ihm einmal ein Wort ver nehmlichwird.— Aber er soll nur warten, und da wird er sehen, wie es doch nur lauter liebe gute Worte sind." Heute mehr denn je locken die Beeren, die in allen Höhenregionen des Böhmerwaldes wachsen und reifen, die Beerenbrocker an. Schwarzbeere, „Hoabeer" genannt, und Preiselbeere, „Grandl" genannt, sind die häufigsten und bekanntesten Arten 41

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