Zyklamen Ungarischer Enzian Noch spürst du den Hauch des Sommers im Wald — den würzigen Geruch warmen Holzes. Noch brechen goldene Strahlen durch die Kronen der Bäume, fließen herab an hohen Stämmen und versickern im Teppich des Waldbodens. Und dann plötzlich erblickst du sie: zartlila Flecken auf dunklem Grund. Blüten, aufleuchtend wie Flämmchen — Alpenveilchen. Sie erblühen, wenn die Tage übergehen in die Reife und Fülle erster Herbstwochen, deren Stille so tröstlich ist. Wenn die Luft schwer wird vom Duft und der Süße der Früchte — und der Wald seines grünen Kleides müde wird und das bunt gefärbte Gewand des Herbstes anlegen will, dann sind sie da. Violette Tupfen — im Braun des Bodens, mit betörendem Duft den herben Ruch der Erde mildernd. Kleine Herolde des Herbstes: Zyklamen. Das große Blühen am Berg ist vorbei. Da und dort eine letzte Almrose, ein blauer Eisenhut, eine Bergaster. Doch eine Pflanze trotzt dem kühlen Wind, der nun über die Almen streicht. Auf hohem, kräftigem Stengel trägt sie eine Krone aus violett-purpurnen Blüten: ungarischer Enzian. Wenn an heiteren Tagen die Strahlen einer milden Sonne das Bergland in verklärten Schimmer tauchen, dann öffnet sie weit ihre Blütenbecher, um sie anzufüllen mit Licht — und läßt das Auge trinken aus diesem Becher, von diesem Lichte, dieser Schönheit. Ungarischer Enzian — das dunkle Feuer des ausklingenden Sommers bergend, mahnst du uns leise, daß es Abschied nehmen heißt . . . 98
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2