Oberösterreich, 34. Jahrgang, Heft 1, 1984

32 Jahre Festspiele Europäische Wochen in Passau 1984 Geschichte - Gegenwart - Ausblick Walter Hornsteiner Hört man heute das Wort Festspiele oder Fe stival, so assoziiert der Bürger von heute, skeptisch und mißtrauisch, wie er nun einmal geworden ist, mit diesem Wort eine kultureile Überersättigung, ja Überdosis sogenannter ,,ewiger Werte", die nachgerade das Gegen teil von bereitwilliger Aufnahmefähigkeit be wirkt. In der Tat, seit den frühen siebziger Jahren bis heute beginnen „Festivals" jeglicher Art wie Pilze aus dem Boden zu schießen. Das hängt vermutlich mit der späten, ja oft verspäteten Erkenntnis zusammen, ein Landstrich müsse kultureil aufbereitet werden, um sich besser für den Fremdenverkehr vermarkten zu las sen. Gleichwohl, abseits von diesen Praktiken cle verer Fremdenverkehrsmanager steht einsam - unangetastet Bayreuth als die legalste aller Festspielstädte da. Vom Meister selbst er dacht, mit großen Mühen erbaut, einzig sei nem Werk verpflichtet. Etwa 50 Jahre später wacht eine zweite Stadt aus dem von der Säkularisation verhängten Dämmerschlaf auf, gerufen und beschworen von dem genialen Dreigestirn Richard Strauss, Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt. Das unvergleichliche Genie Mo zarts leuchtet plötzlich von Salzburg aus über alle Welt: Das Menuett aus ,,Don Giovanni" - Wer kennt es nicht? Etwa dreißig Jahre später, nach der großen Katastrophe des Zweiten Weltkrieges erging wiederum ein Ruf an eine von der Säkularisa tion 1803 tief gedemütigte und ausgeplün derte Stadt: Der Ruf ,,Baut ein vereinigtes Eu ropa" verhallte nicht-er kam von der damali gen amerikanischen Militärregierung und von weitblickenden Persönlichkeiten der Nach kriegsgeneration. Die Stadt hieß Passau, - die Stadt der Kelten, der Römer, die Stadt des heiligen Severin, die erste Residenzstadt eines rechtmäßig vom Papst eingesetzten Bi schofs in Aitbayern. „PASSAU, die Stadt, vom Felsen herrscht sie inmitten der Hügel Die dreier Flüsse Fluten umstreichen: Stürmt doch von Süden der Inn rasch von den Alpen herab. Drängt von der Quelle die liz schwarz sich herbei. Nimmt in der Mitte die Donau sie auf in ihr Flußbett, Weiter wachsend zu stürmischer Woge. So ragt aus den Flüssen, halbinselgleich, aus der Ebene Die Stadt, ihre Zinnen hügeian flüchtend." Conrad Celtis 1488 Also nicht dem unvergänglichen Werk eines Genies gilt die Huldigung der Stadt, sondern der Idee eines vereinten Europas. Eines Eu ropa vom Atiantik bis zum Ural. So vielfältig die Pracht und der Schmuck seiner Kultur auch seien, wie eine Klammer umfaßt die gemein same Wurzel den alten Kontinent: ,,Die Euro päische Kultur ist aus der Synthese des grie chischen, römischen und des christlichen Gei stes hervorgegangen, zu der der griechische Geist die Idee der Freiheit, der Wahrheit und der Schönheit beigetragen hat, der römische Geist die Idee des Staates und das Christen tum die Idee der Hoffnung und der Liebe" (Caramaniis). Die Stadt Passau, ihre Bürger und ihre Ver waltung waren sich dieses hohen Anspruches wohl bewußt. Man sah sich gefordert und nahm den Auftrag, geistiger Mittier zwischen Ost- und Westeuropa zu werden, ohne Zögern und mit Begeisterung an. Dies war die Geburtsstunde der EUROPÄI SCHEN WOCHEN in Passau. Zunächst trat die Stadt als Veranstalter auf. Es konstituierte sich ein Organisationsapparat, Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Kunst formierten sich zu einem Kuratorium, dessen erster Präsident der damalige Bun desfinanzminister, Fritz Schäffer, war; auch der Landeshauptmann von Oberösterreich, Dr. Heinrich Gleißner, und Kommerzialrat Gu stav Kapsreiter sen. waren Mitglieder dieses Gremiums. Voll Idealismus und Hingabe, die uns damals in dieser Zeit ja alle beflügelten, organisierte man in Passau Festspiele euro päischen Charakters. Eine Art Aufbruchs stimmung, eine Gründerzeit Europas erfaßte damals die Menschen. Man schrieb die Zeit der großen Europäer: Konrad Adenauer, Alcide de Gaspari und Paul Henry Spaak. Profi lierte Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kunst, wie zum Beispiel der Begründer der Pan-Europa-Idee, Graf Coudenhove-Kalergi, ließen es sich nicht nehmen, in Eröff nungsvorträgen oder Referaten die Zielset zung der Europäischen Wochen zu beschwö ren. Coudenhove-Kalergi formulierte damals so:,,Zusammenschluß oder Zusammenbruch Europas, das ist die Alternative", aber auch ,,die wichtigste Idee von Pan-Europa ist die des Friedens um jeden Preis, nur nicht um den der Freiheit". Nicht ohne Genugtuung und mit besonderer Dankbarkeit finden wir in den Annalen der Eu ropäischen Wochen eine stattliche Anzahl ho noriger Persönlichkeiten, die in Passau ihr Be kenntnis zu Gesamteuropa zum Ausdruck brachten. Ich darf einige davon (chronolo gisch) anführen: Die Bayerischen Ministerprä sidenten Dr. Hans Ehard, Dr. Hans Seidel, Dr. h. c. Franz Josef Strauß, Außenminister der Republik Österreich Dr. Leopold Figl, Bun desminister Dr. Fritz Schäffer, Hofrat Prof. Dr. Bernhard Paumgartner, Präsident der Salz burger Festspiele, Prof. Dr. Hans Furier, Vize präsident des Europaparlaments, Richard Graf von Coudenhove-Kalergi, Ehrenpräsi dent der Europäischen Bewegung, Dr. Lujo Toncic-Sorinj, Außenminister der Republik Österreich, Dr. Josef Klaus, Bundeskanzler der Republik Österreich, Bundesminister Hans Dietrich Genscher, S. K. Hoheit Dr. Otto von Habsburg, Dr. Wilfried Gredler, Botschaf ter der Republik Österreich, Dr. h.c. Alfons Goppel, Bayerischer Ministerpräsident, Dr. Carlo Hemmer, Europäische Kommission, Edward Heath, Premierminister a. D., Alfred Dick, Bayerischer Staatsminister, Pierre Pflimlin, Ministerpräsident a. D., Prof. Dr. med. Viktor E. Frankl, Dr. Rudolf Kirchschläger, Bundespräsident der Republik Österreich, Dr. Franz Karasek, Prof. Dr. Benno Hubensteiner, Prof. Dr. Herbert Schindler, Prof. Dr. Friedrich Heer, Dr. Wolfgang Stresemann. Bleiben wir beim Wort: Denn die Dichter sind es, denen es obliegt, die Hüter der Würde und Ehre des Geistes, der Humanitas in unserem Abendland zu sein. Wir erinnern uns an die Lesungen von Werner Bergengruen, Stefan Andres, Reinhold Schneider, Luise Rinser, Gertrud Fussenegger, Eugen Roth, Alexander Lernet-Holenia, Günter Eich, Martin Walser, Carl-Hans Watzinger, Peter Hüchel, Heinz Piontek, Carl Orff, Hermann Lenz, Reiner Kunze, Tadeusz Rözewicz, Pavel Kohout, Bernd Jentzsch, Peter Härtling u. a. Im Verlauf der Jahre wurde es immer schwie riger, den auflaufenden Kostenberg einzu dämmen. Die Kosten überstiegen alimählich bei weitem die finanziellen Möglichkeiten der Stadt. Im Jahr 1958 schien bereits der Unter gang der Europäischen Wochen in Sicht. Im letzten Moment formierten sich aber beherzte und engagierte Bürger (das sind naturgemäß immer nur ganz wenige) zu einem Verein und ' führten auf dieser Basis die Festspiele mit Er folg bis zum heutigen Tage fort. Ihnen gebührt heute noch Dank und Anerkennung. Freilich, auch hier gab es Enttäuschungen und Irrwe ge, aber auch Erfolge. Seit 1967 hat man die Europäischen Wochen neu durchorganisiert, man hat sie auf eine feste finanzielle Grund lage -die allerdings nach oben begrenzt istgestellt und sie, soweit das möglich ist, haushaitstechnisch abgesichert. Heute sind die Europäischen Wochen in Pas sau eine Institution, die aus dem Kulturleben von östbayern und, wenn man so will, auch des angrenzenden Innviertels, nicht wegzu denken ist. Es gibt eine Vorstandschaft, einen Vorsitzenden (derzeit ist das der Hauptge schäftsführer der Handwerkskammer Öberpfalz und Niederbayern, Herr Anton Hinterdobler), einen Finanzausschuß (Vorsitzender Fi nanzverwalter Enwin Kapfhammer), einen Programmausschuß (Vorsitzender Intendant 75

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2