Oberösterreich, 34. Jahrgang, Heft 1, 1984

der Schauplatz ein Dorf, ein Markt, ein Städt chen, ein kleines Schloß zwischen Inn und Donau, In der Nähe von Schärding oder Pas sau gelegen, Schärding selber oder Eferding. Man hört den Inn rauschen, die Glocken von Passau läuten. Der dörfliche Hintergrund, das ,,Atmosphärische", das die Kritik an Billingers Dramen immer wieder hervorgehoben hat, ist immer das Innviertel und sind die Bewohner der Heimat des Dichters. Denn nur dort fühlt er sich zu Hause, wie es in einem späten, zu Lebzeiten unveröffentlichtem Gedicht heißt: Der Geborgene Dort, wo der Bach, den alte Weiden säumen, und wo er unter der steinernen Brücke quiilt und rauscht, ruh' ich gerne, seh' die Nesseln üppig wachsen, Unkraut und verrufene abgegoltne Blüten Ihren von Hummeln begehrten Nektar sammeln. O stille Rast! Fernwo wehrt sich die Straße gegen den Autoteufel, längst vergebens, frißt der Lärm des Motors Kuckucks- und Amseiläuten: hier noch bettet sich das Herz in den heiligen Schatten uralter ausgemorschter Bachesweiden, der Bach aufklingt mit frohester Weile und der Erlöser reicht die Kreuzstammhände einem Maulwurf, dem verschreckten Hasen und mir auch, der Ich um seinen Segen bettie. Das Gedicht wurde vier Tage vor seinem Tode geschrieben, in Hartkirchen, wo er sich noch Immer daheim fühlte. Darum auch ist Billinger ein Leben lang der Dramatiker seiner Landschaft und seines bäuerlichen Kreises geblieben. Alte Quellen und Sagen, das alte Brauchtum flössen ihm im überreichen Maße zu. Die Phantasie war die Kraft, die ihn befiügelte, in ihr Heß er die dämo nischen Mächte leibhaftig Gestalt annehmen. Denn Bauerntum und Bauernbrauch erlebte er immer nur aus sich seibst. Schon sein erstes Stück ,,Die Reise nach Ur sprung" spielt In einem Dorf am Inn, im Bau ernhof ,,Zum Ursprung", in einer Welt, in die das Überirdische in der Gestalt der ,,Hexe" einbricht; ein Stück auch, in dem bereits die vielen bäuerlichen Innviertier Gestalten auf treten, denen wir immer wieder begegnen werden: Knechte und Mägde, Dörfier, Bür germeister, Händler, das Bettelweib. Aus alten Quellen mit Götzenzauber, Mond beschwörung, Ängsten und Liebesvorstellun gen ist das ,,Spiel vom Knecht" gespeist. In dem bäuerliches Brauchtum, der Lichtmeßtag mit Gesindewechsei, der Jahresrhythmus also, die dörflichen Geschehnisse den atmo sphärischen Hintergrund bilden. Die Kirchen glocken läuten, aus dem Gasthaus dringen am Lichtmeßtag Musik und Gesang der feiernden Knechte. Solchem Innviertier Brauchtum folgt auch ,,Das Verlöbnis", das in einem innviertler Bauernhof am Tage des heiligen Johannes spielt, da der Bauer mit seinem Gesinde den ,,heiligen Wein des Johannes" trinkt, an dem der,,Bräutigam die Braut schaut". ,,Das Perchtenspiel", erster Höhepunkt in Bil lingers dramatischem Schaffen, wieder in ei nem Innviertler Dorf spielend, stellt erstmals in der Gestalt des jungen Bauern den Dichter selber vor. Wie es schon Im ,,Spiel vom Knecht" den Bauern vom Bauernhof In die Fremde treibt, so verläßt hier der Jungbauer Peter den Hof, um das Abenteuer zu suchen. So ist auch Billinger von der Heimat fortgezo gen, und auch er fühlte sich, wie Peter, bei der Heimkehr fremd. Rundum aber lebt die Welt der schönen und schlechen Perchten des Volksglaubens, sie lenken das Schicksal. Denn Blllingers Helden sind Getriebene, Ge schobene, der Macht der Dämonen Unterwor fene. Wie wenig idyllisch diese Bauernwelt Billin gers ist, zeigt deutlich das Stück ,,Rosse". Technik und Zivilisation bedrohen das Leben des Innviertler Bauern, der Einbruch der Ma schine löst, bevor sie wirklich zur Hilfe gewor den ist, menschliche Katastrophen aus. Tier gegen Traktor, Pferd gegen ,,Pferdekraft"- das ist hier das Thema, das sich später zu dem Gegensatz Dorf - Stadt, Bauerntum - Städtertum, etwa in einem seiner bedeutendsten Schauspiele ,,Der Gigant" ausweiten wird, und das er mehrmals auch lustspielhaft behandelt hat (,,Stille Gäste", ,,Lob des Landes", „Majo lika"). Den Höhepunkt neben dem ,,Gigant" bildet Billingers Schauspiel ,,Rauhnacht", zu dem Alfred Kubin Bühnenbilder gezeichnet hat. Wieder treten in dem in einem Dorf im Innvier tel, nahe der Mündung des Inn in die Donau spielenden Schauspiel Billingers bekannte, oft groteske Gestalten auf: Knechte und Mägde, Musikanten, Dorfkinder, Krämer, Rauhnacht ier und Weihnachtsbettler. Das Milieu ist prä zise nachgezeichnet. Die neue Zeit mit dem Verbot des ,,Rauhnachteins" durch den Bür germeister und Dorfgendarmen bricht ein. Der Krämerladen mit der ,,Krämerschlange" er weitert Milieu und Atmosphäre des dichten Stückes. Daß Billinger In die Rauhnacht fremde afrikanische Bräuche einführte und in das Innviertler Brauchtum integrierte, haben ihm Volkskundler wie Blut-und-Boden-Theoretiker vorgeworfen. Aber gerade dieser Um stand zeigt deutlich, daß es Billinger nicht um Heimatdichtung im üblichen Sinne zu tun ist, sondern daß er In Roman wie In Drama weit über die später so gepriesene Blut- und Bo dendichtung hinausragte. Wiederum taucht auch das Motiv der Entfrem dung auf: Simon Kreuzhalter findet nach sei nem Aufenthalt als Missionar in Afrika ebenso wenig wieder in die Heimat zurück wie die blut junge Krämerstochter, welche Internatsbil dung in der Stadt genossen hat. So wird die vi tale Freude an der echten Rauhnacht, welche die echten Dörfler empfinden, für die land fremd gewordenen Menschen zum gefährli chen Gift, zur Entfaltung ungehemmter Lei denschaften. Darum wird Simon Kreuzhalter von den Rauhnachtlern in den Inn getrieben, weil seine Leidenschaft Mord und Brand aus gelöst hat. Wie sehr Blllinger aber trotzdem dem Innviertler Brauchtum verhaftet blieb, wird klar, wenn er auf den ausgelassenen Ju bel der Rauhnacht die stille Herbergsuche der Weihnachtsbettler folgen läßt. Wie schon im ,,Perchtenspiel" die vergoldeten Nothelfer die Perchten abgelöst haben, so folgt auch hier der christliche Brauch auf den heidnischen. Billingers Problemkreise -sie stammen immer wieder aus der Bauerngegend am Inn - be gegnen uns immer wieder; einmal Ist es der Gegensatz Mensch - Natur, ein andermal Stadt - Land, dann wieder Land - Technik, Technik - Mensch und schließlich Christen tum und unterschwelliges Heidentum. Es sind immer wieder heidnische Archetypen der Inn viertler Bauern, die Biilinger auf die Bühne bringt; auch wenn er, wie etwa in ,,Melusine", an den Attersee ausweicht, so bleiben die Menschen doch immer Abkömmlinge des Inn viertels, der Landschaft zwischen Inn und Do nau, genauer des unteren Inn, ,,bevor sich dieser mächtige Schicksalsfluß mit der Donau vereinigt." (Alfred Holzinger, in: Viktor Suchy, Würfelspiel). Und wenn Blllinger in einem sei ner Gedichte sagt: ,,Mich schuf der Strom" - gemeint ist der Inn - so ist das keine bloße Phrase, sondern lebendiges Erbe. Alles Gesagte gilt auch für seine späten Wer ke, etwa für das Schauspiel ,,Das Haus", das unmittelbar aus dem Zeitgeschehen seiner Innviertler Heimat entstanden ist - eines der ganz wenigen Zeitstücke des Dichters. Ge rade die immerwährende Rückkehr in seine Heimat bewahrte ihn davor, ein bloß moder70

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