Oberösterreich, 34. Jahrgang, Heft 1, 1984

Die Inniandschaft in der Dichtung Richard Biiiingers Wilhelm Bortenschlager Der Inn Die Au, die grüne Au, die Weiden wildumgangen, der Himmei siegesblau, wo Schloß und Kloster prangen! Der Inn, der grüne Inn kommt aus den Bergestälern. Durch meine Adern rinn' sein Zorn, den Dämme schmäiern. Der Inn, der grüne Inn fließt durch die Heimataue. Sein Herz ich mir gewinn' wann seiner Wog' ich traue. So besingt Richard Billinger den Fiuß seiner Heimat, der dem Viertei, in dem er geboren ist, in dem er seine Kindheit und Jugend verlebte, den Namen gegeben hat. Hieher kehrte er zu rück am Ende seines Lebens, hier überfiel ihn die Krankheit, die ihm einen Tag später im All gemeinen Krankenhaus in Linz den Tod brachte. Hier wurde er auf eigenen Wunsch begraben. Das Innviertel umspannt Billingers Leben und Lebenswerk. Biiiingers Freund Carl Hans Watzinger, der ihm einen Tag nach seinem Tode im ORF Linz einen Nachruf widmete, hat es so ausge drückt; ,,Die bäuerliche Herkunft hat ihn, trotz Latein- und Philosophiestudium am Gymna sium und an der Universität geformt und ge trieben, aber bei ihm war es keine Blut- und Bodendichtung, sondern echte Empfindung, ein Durchleben bis zum Archaischen. Das bäuerliche Lebenselement hat er gelobt in un zähligen Gestalten, die so verschieden von einander und doch immer nur eine sind, der nackte Mensch, der seine Erde liebt und mit ihr verbunden ist, wohin er auch gehen mag. Er, der Wien und München geliebt hat und oft in beiden Städten eingekehrt ist, ja längere Zeit in ihnen gelebt hat, konnte nie die Landschaft am Inn mit ihren schönen Städten, Märkten, Dörfern und Vierseithöfen in der Streuiage vergessen." Denn ,,wer nie fortkommt, kommt nie heim", heißt es in seinem Gedicht ,,Heimat". Und selbst in Berlin, wo Billinger bei der Witwe des Verlegers S. Fischer in der Grunewaidstraße eine Dachwohnung bezogen hatte, stattete er die ,,Bude" mit Schätzen aus seiner Heimat aus: ein grünes Glas, ein Christus aus Holz aus dem 15. Jahrhundert, das Bett im Neben zimmer, ein Prachtstück aus dunklem, reich geschnitztem Holz, ein Pferdekummet erin nerten an das Heimatdorf. ,,Man muß schon halt was Eigenes haben, hier in der Stadt, wenn man schaffen will", sagte er in einem In terview in der Berliner Voikszeitung vom Ok tober 1937. Und in seine Heimat, das Innviertei, vor allem zu seiner Base nach Hartkirchen, kehrte er in den Sommermonaten immer wieder zurück, vor allem während der Kriegszeit und in seinen späten Lebensjahren. ,,Wenn man heim kommt, gehört man einfach dazu. Man ist in zwischen berühmt geworden - aber auf dem Dorf gilt das nichts. Schriftsteller-das ist kein echter Beruf bei ihnen." (Interview wie oben.) Diese Heimat hat die gesamte Dichtung Biiiin gers geprägt, das Viertei am Inn, den er den ,,Fiuß seiner Väter" nannte, „der um ihr Le ben, um ihr Sterben rauschte", heißt es im Roman ,,Das verschenkte Leben". Es ist eine reiche und fruchtbare Gegend, dieses Innvier tel, die um die zwölf Rauhnächte zwischen dem 24. Dezember und dem 6. Jänner noch immer heidnisches Brauchtum lebendig wer den läßt, wenn, wie Billiger in seinem Drama ,,Rauhnacht" so wunderbar dargestellt hat, die Dämonen zum Leben erwachen und der Rauhnachtkönig mit der Sonnenmaske vor dem Gesicht, auf Getreidesäcken sitzend, die Parade der ,,Rauhnachtier" abnimmt. In sol che Urerinnerungen reicht die Seele des Bau ern- und Krämersohnes zurück, des Nach kommen alter Schmiede- und Bauerngeschiechter. Der Lebensbereich des Kindes Billinger um faßte das bäuerliche Tagewerk in Feld und Wiese, am Hof, im Krämeriaden der Mutter, den er in einem Akt der,,Rauhnacht" einführt und dazu verwendet, seine vielfach recht seit samen bäuerlichen Gestalten lebendig wer den zu lassen, den er in anderen Stücken durch den Metzgeriaden oder den Wirtshaus garten ersetzt. Er umfaßte den Feierabend in Stube und Stall, die besinnliche Andacht in der Dorfkirche. Und diese Geschichte seiner Kindheit erzählt er in den drei teils autobiogra phischen Romanen: ,,Die Asche des Fege feuers", ,,Das Schutzengelhaus" und ,,Palast der Jugend". Aber schon dem Kinde Biilinger tritt das Innviertler Dorf nicht als Idylle entgegen, sondern als harte Realität. Sein Freund Carl Zuck mayer nannte ihn einmal mit Recht ,,ein ge schrecktes Kind des Bauerntums". So frucht bar dieses Land zwischen Inn und Donau ist, so hart und grausam kann es sein. Die Tage sind erfüllt von harter Arbeit, die Sommer nächte schwül, voll lauernder Gefahr. Das Gewitter droht in der Finsternis, der Bach murmelt böse, der Inn ist nicht nur der Leben spendende, sondern auch der Tod bringende Fluß. In manchen Erzählungen Biiiingers wird der Fluß nicht nur vom Meisterschwimmer durchschwömmen, andere nimmt er mit sich, so etwa Simon Kreuzhaiter in der ,,Rauh nacht", als ihn nach Lustmord und Brandstif tung die ,,Rauhnachtier" in das Wasser trei ben. Und die Stadt Passau am Zusammenfluß von Inn und Donau, die in vielen Erzählungen und Dramen Biiiingers erwähnt wird oder eine mitentscheidende Rolle spielt, wie etwa in dem Bauernkriegsdrama ,,Die Hexe von Pas sau", nennt er,,dämonengeschwängert", sie ist schmutzig und gefahrdrohend. Der letzte Atem der Toten ist überall zu spüren, der tote Ahn geht um den Hof, im Gebälk knackt es, der Hagel vernichtet oft die ganze Arbeitslast ei nes ganzen Jahres. Der Winter ist nur ein kur zes Ausrasten, der Frühling bringt den Bauern neue harte Arbeit. Aber auch die Menschen sind oft böse, die Ei tern hart gegen die Kinder, die Jungen gegen die Greise, die Knechte gegen das Vieh, und Knecht und Magd sind nicht immer die ,,Ehe halten" oder ,,Eheholden"; auch bei ihnen zeigt sich versteckt oder offen der Gegensatz zwischen Dienen und Herrschen, zwischen Entbehren und Haben, zwischen arm und reich. Bauer betet leicht. Knecht hält zum Teufel, heißt es im Erstiingsstück Biiiingers ,,Die Reise nach Ursprung", aber trotzdem: Bauer und Knecht jochet ein Recht. Bei alldem aber ist Biiiingers Kindheit und sind auch seine späteren Jahre geprägt von einem Leben nahe der Natur, es herrscht noch über all der übersichtliche Lebensrhythmus des Bauern und der Jahresrhythmus der Kirche. Die Menschen sind noch nicht der Natur ent fremdet, wie Billinger das später in den Städ ten empfunden hat. Billingers Jugend läuft im Rundiauf des Jahres ab mit Anbau, Wachs tum, Ernte und Winterruhe, mit Brauchtum, aus heidnischen Zeiten übernommen, mit Ge bet und Frömmigkeit, angeeignet aus kirchli cher Überlieferung. Alle diese Elemente finden sich in Billingers Dichtung wieder, die zu einer Dichtung des Innvierteis und des Bauerntums daselbst wird, in der nur wenige Dramen und Erzählungen aus seiner engeren Heimat in entferntere Ge genden verlegt werden. Aber selbst dann, wenn die Handlung, wie etwa in dem Schau spiel „Der Gigant", in die mährische Hannakei oder in der Komödie ,,Die Fuchsfalle" in den Lungau ausweicht, sind diese Gegenden durch nichts eigenständig Fremdes gekenn zeichnet. Die Menschen könnten ebenso gut dem Lande am Inn entstammen, und der Wassermann des Moores beim Bauern Dub im ,,Gigant" könnte genauso gut am Inn be heimatet sein. Ja auch die Menschen in dem halb historischen, in Südtirol spielenden Schauspiel „Traube in der Kelter" tragen die gleichen Züge wie die Menschen der Innviertler Dramen. Doch bleibt in den meisten Dramen Billingers 69

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