Oberösterreich, 34. Jahrgang, Heft 1, 1984

Reichersberg betreut bis zur Gegenwart zwölf inkorporierte Pfarren, vier in der Diözese Linz und acht in der Erzdiözese Wien in Nieder österreich. Die Entstehung des Ordens der regulierten Augustiner Chorherren hat eine lange Vorge schichte und ist noch nicht in allen Details er hellt. Es handelte sich jedenfalls zu allen Zei ten um Priestergemeinschaften zum Unter schied von den laikalen Mönchsgemeinschaf ten. Das asketische Ideal gemeinschaftlicher Lebensweise war im Osten wie im Westen weit verbreitet. Einzelne Bischöfe führten schon sehr früh die gemeinsame Lebens weise (vita communis) ihres an den Kathe dralkirchen tätigen Klerus ein. Einer der ersten war sicherlich Bischof Eusebius von Vercelli (gest. 371). In besonderer Welse griff Bischof Augustinus von Hippo (354 bis 430) diesen Gedanken auf. In seinem Leben hatte das Gemeinschaftserlebnis immer schon eine große Rolle gespielt. In seiner Lebensbe schreibung, die sein Schüler Possidius verfaß te, in Briefen und Predigten sind seine Grund gedanken niedergelegt. Über die Verbreitung seiner Ideen zu seinen Lebzeiten und das Weiterleben der vita communis gibt es kaum historisch gesicherte Nachrichten. Eine bis in Einzelheiten gehende Regel für den Klerus der Domkirche verfaßte Bischof Chrodegang von Metz (gest. 766). Er lehnte sich u. a. auch an monastische Vorbilder an. Die Regel zeigt Ähnlichkeiten mit den anderswo bekannten monastisch-städtisch-basilikalen Mischformen. Die Unterscheidung von Mön chen und Kanonikern wurde aufrechterhalten. Letzteren wurde allerdings Privateigentum zugestanden. Die Synode von Aachen im Jahr 816 sollte auf Betreiben Kaiser Ludwigs des Frommen auch für die Kanoniker eine reichseinheitliche Re gelung treffen. Die sogenannte Aachener Re gel war kein einheitliches Werk, sondern aus verschiedenen Texten zusammengestellt. Privateigentum war weiterhin möglich. Je mehr die aus den Kreisen des Mönchtums kommenden Reformgedanken im frühen Mit telalter Verbreitung fanden, umso stärker wurde auch bei den Kanonikern der Zug zur echten vita communis, ohne Privateigentum. Manche Dom- oder Kollegiatskapitel unter nahmen diesen Schritt, mit oder ohne Bischof. In einzelnen Fällen bildeten reformeifrige Ka noniker neue Gemeinschaften an Nebenkir chen, bei Einsiedeleien oder Hospizen. Man lebte nach Regelsätzen aus der Bibel, aus dem Kirchenrecht und den Kirchenvätern, darunter besonders aus Augustin. Bezüglich der zu leistenden Aufgaben gab es anfangs keine einheitlichen Normen. Sie fühl ten sich als Reformzentren gegenüber dem herkömmlich lebenden Klerus. Sie betätigten sich in der Seelsorge, feierten die Liturgie fest licher, betreuten Kranke, Pilger und Kreuzfah rer und widmeten sich der Wissenschaft. Einen eigenen Klosterbautyp haben weder diese frühen Gemeinschaften noch die späte ren Augustiner Chorherren entwickelt. Es gab auch keine Überlegungen hinsichtlich Mitglie derzahl oder Klosterbesitz. In Italien und Frankreich stand lange Zeit der eremitenhafte Charakter klerikaler Kleingemeinschaften im Vordergrund, während in Deutschland (und Österreich) die Tendenz eher in die Richtung bekannter Klosterformen mit mehr oder weni ger starker Einbindung in die Bistumsorgani sation ging. Die Verfechter der sogenannten Gregoriani schen Reform (z. B. Hildebrand, später Papst Gregor VII. 1073 bis 1085) hatten erkannt, daß der bisher noch vereinzelt und aus persön licher Initiative vollzogene Übergang zur vita communis ,,nach der Lehre der Väter" für die Gesamtreform der Kirche und ihrer Loslösung von den weltlichen Strukturen wichtig und nützlich wäre. Der 4. Kanon der Lateran synode von 1059 verfügte, daß der Klerus an der Kirche, für die er geweiht bzw. an der er tä tig war, ein gemeinsames Leben führen soll. Er solle zur Lebensweise der Apostel zurück kehren. Somit gewann das Vorbild der ürkirche, wie es die Apostelgeschichte (Kap. 4, 32-35) darstellt und wie man es im Mittel alter verstand, verpflichtenden Ausdruck. Die Reform verwies also nicht auf irgendeinen Großen der Kirchengeschichte, sondern ging auf den Ursprung zurück. Dies und die hoch eingeschätzte Priesterweihe prägten in der Folgezeit in den Auseinandersetzungen mit dem etablierten Mönchtum das Selbstver ständnis der Chorherren. Ein entschiedener Verfechter der nunmehr als römische Forderung verstandenen Klerusre form war in Deutschland Bischof Altmann von Passau (1065 bis 1091). Der zwischen 1010 und 1020 in Westfalen geborene Altmann er hielt seine Ausbildung an der Paderborner Domschule, deren Leiter er später geworden ist. Als Stiftspropst von Aachen war er auch Hofkaplan Kaiser Heinrichs III. (1039 bis 1056). Nicht ohne Zutun der Kaiserinwitwe Agnes wurde Altmann 1065 Bischof von Pas sau. Mit großem Eifer widmete er sich den viel fältigen Aufgaben in seiner ausgedehnten Diözese. Neben organisatorischen Fragen, besonders dem Ausbau des Pfarrnetzes und dem Bau von Kirchen, war ihm die Hebung der Disziplin des Klerus ein wichtiges Anliegen. Gleichsam als Musterstätte gründete er vor den Mauern der Stadt Passau um 1067 ganz im Sinne der Reformbewegung das regulierte Kanonikerstift St. Nikola. In den folgenden Jahren reformierte er die passauischen Ei genklöster St. Florian und St. Pölten zu regu lierten Stiften und führte in Kremsmünster die monastische Richtung aus Gorze in Lothrin gen ein. Er gründete das Stift Göttweig ur sprünglich für Kanoniker und war an der Er richtung von Stift Rottenbuch an der Ammer beteiligt, wo Herzog Weif um 1073 bei einer schon längere Zeit bestehenden Eremiten siedlung die Neugründung vornahm. Einige Chorherren kamen aus St. Nikola. Als sich seit dem Regierungantritt des Papstes Gregor VII. die Fronten im Investiturstreit zwi schen Papst und Kaiser Heinrich IV. ver schärften, waren sowohl Bischof Altmann von Passau als auch sein Amtskollege Erzbischof Gebhard von Salzburg (1060 bis 1088), der ebenfalis ganz auf der Seite des Papstes stand, zur Flucht ins Exil gezwungen. Altmann zog sich in den Osten seiner Diözese zurück, also in den Herrschaftsbereich der päpstlich gesinnten Babenberger, wo er 1091 starb und in Göttweig begraben wurde. Der zweite Nachfolger Erzbischof Gebhards, Konrad I. von Salzburg (1106 bis 1147), setzte sich ebenfalls von Anfang an für das große Re formanliegen ein, doch erlaubten ihm die kir chenpolitischen Verhältnisse erst nach 1120, als der Friede zwischen Kaiser und Papst in greifbare Nähe gerückt war, ein ungestörtes Wirken. Er führte nicht nur bei seinem Domka pitel 1122 die inzwischen zur alleinigen Richtschnur aufgerückte Ordensregel des hl. Augustin ein, sondern gründete bzw. über nahm eine Vielzahl von nunmehr regulierten Augustiner-Chorherrenstifte genannten Ge meinschaften, die er eng mit den pastoralen Aufgaben in seiner Diözese verband. In Ein zelfällen erstreckte sich der Einfluß bis zum verbrieften Recht auf Einsetzung des Stifts propstes. Propst Gerhoch von Reichersberg (1132 bis 1169), dessen Stift zwar in der Di özese Passau lag und der auch vom Erzbi schof eingesetzt worden war, erhob sogar die Forderung, der gesamte Klerus müsse nach der Regel Augustins leben. Dem weiten Um kreis der Salzburger Reform gehörten bis zu 20 Stifte an und diese prägten entscheidend über Jahrzehnte hin den Stil der Seelsorge. In Frankreich, Italien, in der Schweiz und Eng land schlössen sich die Chorherrenstifte bald zu Kongregationen zusammen. Im deutschen Bereich, auch nicht im süddeutschen Umfeld des Salzburger Reform kreises, kam es trotz mehrmaligem Drängen Roms zu keiner Kon gregationsbildung. Noch in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts übernahmen die Chorherren die bei den Mön chen üblichen drei Gelübde der Armut, Ehelo sigkeit (Keuschheit) und Gehorsam. Sie gli chen sich somit mehr den Mönchen an, wäh rend die Mönche immer stärker zum Priestertum drängten. Papst Urban II. (1088 bis 1099) hat bereits grundsätzlich die Gleichrangigkeit 22

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