Schönheit und geheimer Schwermut zugleich. Das ist in Passau nicht anders als in Linz und Prag, in Graz oder Wien. Wir alle spüren das im Passauer Winter, wenn der Himmei bleiern über der Stadt liegt, die Gastronomie langsam einschläft, die Gassen auf einmal leer sind. Wenn selbst die weiten Plätze vor der Resi denz oder vor dem Dom etwas Moroses be kommen und etwas Morbides. Gewiß, der Ba rock ist Triumph und Freude, er ist aber auch das große Zwiegespräch mit dem Tod. in Passau hat es dafür bis 1872 ein von aiien so empfundenes Gleichnis gegeben: nämiich die Lambergkapelle, die, von außen gesehen, die Domfassade so glänzend fortsetzt. Sie war aber eigentlich Grabkapeiie und Gruft wie die Schönbornkapelle in Würzburg. Der Altar ein barockes Trauergerüst aus schwarzgebeiz tem Birnbaumhoiz und alie Ornamente aus blindem Silber. An den Wänden schaudervolle Fresken, die den Tod meinten und die Verwe sung. Die Glocke aber, oben in der offenen Gaierie, durfte nur geiäutet werden, wenn ein Fürstbischof starb. Beim Tod des dritten Gra fen Thun, des letzten Fürstbischofs, der in der Passauer Domgruft iiegt, ist dann auch sie herabgefaiien und zersprungen .. Aber Thomas Graf Thun: das war 1796 und bereits mitten in der Franzosenzeit, inzwi schen hatte die Aufklärung gesiegt und in die dunklen Schatten des Barocks die ersten Strahlen der rationalen Helle geworfen. Die Aufklärung: für sie steht hier im Donauiand zu vörderst Kaiser Josef Ii. in Wien. Josef Ii., wie wir ihn alle kennen von seinem großen klassi zistischen Reiterdenkmal vor der alten Hofund Nationalbibliothek-hochherzig und kühn, aber auch vernunftmäßig und kühl. Schon seine Vorgänger hatten in Wien ein kleines Hof- und Stadtbistum durchgedrückt; Kaiser Karl VI., der Vater der Maria Theresia, hatte dann Passau das ganze Viertel unter dem Wienerwald abgetauscht - immerhin sieben Städte und 69 Pfarreien. Passau, das dafür vom Erzbischof von Salzburg unabhängig wurde, das Pailium bekam, auf einmal direkt unter Rom stand. Kaiser Josef Ii. nun wollte, daß überhaupt kein auswärtiger Bischof mehr etwas in seinen Landen zu sagen hätte, auch der Passauer nicht. Er wartete nur noch auf den Tod des alten, weitangesehenen Kardi nals Firmian, dann trennte er 1783 mit einem Federstrich ganz Donauösterreich samt dem innviertel von Passau ab, wies das Land dem Erzbistum Wien zu und den beiden neuge gründeten Diözesen St. Pölten und Linz. Und diesmal waren es über 800 Pfarreien und da mit fast sechs Siebtel des Bistumsgebietes. Zurückgeworfen auf das kleine Hochstift und das Stück Niederbayern vom unteren Rottal bis hinein in den Waid, war dem alten Passau eigentlich die Lebensader abgeschnitten. Ais Aus der Reihe der vielen „österreichischen" Passauer Fürstbischöfe das Porträt von Fürst bischof Wenzel Graf Thun-Hohenstein (1664—1673). — Foto: Gregor Peda, Fassau 1803 der Reichsdeputationshauptschluß kam, zunächst die Stadt bayerisch wurde, dann drei Jahre später auch die sogenannten ,,Bistüm ler" hinten Im Wald, schien überhaupt das Ende dazusein. Der letzte Fürstbischof, Leo pold Graf von Thun, zog sich grollend auf seine böhmischen Güter zurück, und die Ver waltung der Restdiözese blieb für volle 24 Jahre eine reine Generalvikars- und Kanziistensache. Dazu begann auch in Passau das Kirchenzusperren und Gebäudeniederreißen, das Ausplündern, Versteigern und Verganten. Noch haben wir die alten Auktionslisten: ,,1 Pectorai mitCoulantvon Brillanten an einer goldenen Kette... 1 Ring mit Amethyst. .. 1 Ornat von rothem Damast. .. 1 alter rothsamtener Baldachin mit goldenen Borten . . ." Und so fort, und so fort - gleich 195 Mai.. . Erst der Sturz des alimächtigen Ministers Montgelas gab den Weg frei zum Bayerischen Konkordat von 1817 und zur Wiedererrichtung der bayerischen Kirche mit der päpstlichen Zirkumskriptionsbulie von 1821. Passau kam jetzt zum neuen Erzbistum München und Frei sing. Und die kleine Diözese selber wurde mit dem sogenannten ,,Oberland" abgefunden - den beiden Dekanaten Burghausen und Neuötting, die früher zu Salzburg gehört hat ten. Es waren zwar nur 18 Pfarreien, aber sie genügten, um alle Gewichte umzulagern, weg vom Donau-Osten und dafür ganz hin auf Ost bayern. Die Stadt Passau selber war seit 1803 königiichbayerische Grenzstadt und Grenzstation. Mit Zöllnern unterm Raupenhelm, mit der Mili tär-Strafanstalt auf Oberhaus, mit dem 16. In fanterie-Regiment im ehemaligen Nikoia-Kloster. Das Leben schnurrte ein zur weißblauen Idylle unseres 19. Jahrhunderts. Es gab die Maiduit und ein unvergleichliches Bier; die Liedertafel von 1843 und das große Sänger fest von 1851; im Dezember den Hoizmarkt vorne auf dem Platz, wo die Leute aus dem Wald selbstgemachte Rechen und Reutern anboten, Böhmschuhe, Bockschlitten und Spielzeug-Heißen. Der Gerichtsarzt Alexan der Erhard schrieb an seiner Stadtgeschichte; Bischof Michael von Rampf ließ die beiden Domtürme ausbauen, und auf dem Steinweg lernten die Kinder das Radfahren. Freilich, Franz Xaver Eggersdorfer, uns Älte ren unvergeßlich als Domdekan und Summus Gustos der Passauer Kathedrale, erzählt auch, wie noch zu seiner Studentenzeit überall die Grenze dagewesen sei als eine Art von un sichtbarer Planke. Es dauerte lang, bis er. Eg gersdorfer, zum erstenmal nach Stift Reichersberg kam, und das österreichische Donautal, sein Atem, seine Weite, seine eng mit Passau verbundene Kunst - das ging ihm erst auf im reifen Mannesalter... Wir wollen hier nicht streiten, wie lang das Passauer 19. Jahrhundert eigentlich gedauert hat: ob bis 1918, bis 1933 oder gar bis 1945. Fest steht nur, daß bereits mit der machtvollen Heimatbewegung der 1920er Jahre die geisti gen Blickschranken gefallen sind und die Stadt an den drei Flüssen wieder eine Ahnung bekommen hat von ihrer alten Stellung im Be reich der ,,Ostbairischen Grenzmarken". Man sieht Historiker wie Max Heuwieser oder Ru10
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