lang, zuweilen noch länger, auf der Ebene, während auf dem Berge heller warmer Sonnenschein ist. Dann zeigt sich ein Schauspiel eige ner Art. Die Grenze des Nebels ist waagrecht wie die Ebene eines Tisches. Gegen Ungarn und gegen Bayern hin ist sie von dem blauen Himmel gesäumt, gegen die Steiermark hin von den Alpen. Ehe die Sonne aufgeht, ist die Oberfläche des ungeheuer hingedehnten Ne bels bleigrau, wenn die Sonne aufgegangen ist, wird sie rosenrot, später aber schimmert sie den ganzen Tag wie funkelndes geschmol zenes Silber, an dessem Rande das scharfe Blau der Alpen steht, und wenn der Vollmond scheint, ist ein geisterhaft milder Glanz über die riesige Masse ausgegossen. Sind an einem Tage Wolken an dem Himmel, so legen sie blaue Schatteninseln auf das Silber, und es wird durch sie noch großartiger und lebendiger, und die Eläche scheint ausgedehnter zu sein. Außer dem Meere habe ich nie etwas Schöne res auf der Erde gesehen. Eines Tages war die Ebene des Nebels in Bewegung. Wogen richteten sich empor, und blähten sich, daß der ötscher wie ein Häufchen, das man in die Hand nehmen kann, daneben stand, Walzen wie uner meßlich riesengroße Tiere krochen den Pfennigberg hinan, über Linz war ein Abgrund in den Nebel gerissen, dessen eine gegen uns herauf schauende Wand wie eine ungeheure steilrechte schwarze Mauer empor stand, am Rande mit weißem Schaume überschüttet, und rechts von dem Schlünde stieg eine Säule empor, unfaßbar an Größe des Durchmessers und der Höhe, wie eine Wasserhose, die Länder verschlingen will, und oben breitete sich die Säule palmenartig aus, und wie ich das betrachtete, hob sich auch auf dem Berge der Wind, braune Nebel flogen vom Schauerwalde und der Giselawarte her über, und deckten alles zu, und sie flogen vorüber, und alles war wie der sichtbar, und wieder kamen verhüllende Nebel, und wieder gin gen sie vorüber, und das geschah öfter, bis dauernde fliegende Wol ken alles auf immer verhüllten. Und der Anblick des Schauspiels die ses Morgens war für mich erhabener als der des Meeres." Zunächst also ist es das Erlebnis und die Erfahrung der Landschaft, die einen berührt und innerlich öffnet. Diese beiden sind die erste Station einer Begegnung mit einer Gegend. So war es sicherlich auch bei mir, vor allem in meiner Kindheit und frühen Jugend. Es war der Wald, sein Rauschen, das erst das Gefühl der Stille gibt, es waren die Wiesen und Äcker in leuchtenden Farben, es waren die Bäche und Flüsse, es war das verschneite Land im Winter, was mich als erstes bestimmt hat, mich meiner Heimat zugehörig zu fühlen. Und seither hat mich dieses Gefühl nie verlassen. Erst später ging ich daran, meine Umgebung und die Gegend darüber hinaus zu erforschen, geografische und historische Zusammenhänge zu ergründen. Und aus der allmählich sich entwickelnden Kenntnis und Erkenntnis die ses Landes erwuchs mein Verständnis. Erst dann wurde aus den Er scheinungsbildern ein Wissen um Zusammenhänge. Zunächst befaßte ich mich nur mit meiner engeren Heimat, dem Mühlviertel, später führten mich Radtouren und Reisen mit meinen Eltern hinunter ins Waldviertel. Viele Jahre später, als ich zum Stu dium nach Wien kam, gelangte ich zum ersten Mal auch ins Weinvier tel. Ich erinnere mich noch, welch überwältigendes Erlebnis die so ganz anders geartete Landschaft, die weiten Felder und vor allem die mir fast fremdländisch anmutenden Weingärten für mich waren. So fort erkannte ich, natürlich nur rein gefühlsmäßig, den Unterschied zwischen den beiden Vierteln, dem Mühl- und Waldviertel, die ja eng miteinander verwandt sind, mit dem benachbarten Weinviertel; ein fach, weU ich ihn ganz intensiv empfand. Das Weinviertel empfand ich im Gegensatz zu meiner Heimat, dem Mühlviertel, wo einem im mer ein Hügel, und wenn man diesen erreicht hat, wieder der nächste Hügel den Blick versperrt (außer man steht auf einem sogenannten ,, Aussichtsberg" oder ganz auf der Anhöhe des Böhmerwaldes, von wo aus man das gesamte Land bis zu den Alpen als eine weit ausge dehnte Hügellandschaft, durchbrochen von Wäldern, Hochflächen und Tälern, überblicken kann und wo man nur dann das Gefühl der Weite und dem Himmel nahe zu sein empfinden kann) als viel offe ner, freier und befreiender. Nicht nur die Landschaft, auch die Men schen, denen ich begegnete, mit denen ich zu tun hatte, mit denen ich in den von mir geliebten ,,Kellergassen" am späten Abend ein Glas Wein trank. Diese Landschaft und viel heiterere und gelöstere Le bensformen waren das, was ich immer gesucht hatte. Gerade weil es mir in der oft so bedrückenden Enge des Mühlviertels abgegangen war. Der Mühlviertler und der Waldviertler sind schweigsam, zu rückhaltend, in sich selber eingeschlossen; ein Ebenbild seines Lan des. Der Weinviertier schien mir weicher, sinnesfreudiger, viel emp fänglicher für Eindrücke und für andere Menschen. Der Mühlviertler und der Waldviertler sind wie aus Granit. In der Mentalität des Weinviertlers spürt man die Lebensfreudigkeit, die mir jedes Volk auszu zeichnen scheint, das Wein baut und diese Gabe des Himmels ge nießt. Der Mühlviertler sitzt oft lange trübsinnig vor seinem Glas Bier oder Most, wenn er zuviel getrunken hat, vergräbt er sich noch mehr in sein Schweigen, oder er wird laut und grob; er scheint immer allein zu sein. Im Weinviertel sah ich zum ersten Mal lange Tische und Bän ke, auf denen fröhliche Menschen saßen, die miteinander redeten und sich zuprosteten. Seit diesem Anblick wollte ich zu ihnen gehö ren und einer unter ihnen sein. In den letzten Jahren bin ich immer häufiger durch diese Gegend des Mühl-, Wald- und Weinviertels gefahren und ich bin viel zu Fuß ge wandert, um auch einen Einblick in seine Vergangenheit und seine historische Entwicklung zu bekommen. Das Land ist reich an alten Kunstdenkmälern, an Kirchen, Klöstern, Stiften, Burgen und Schlös sern. Besonders Hebe ich die kleinen Kirchen, Kapellen und die vielen Bildstöcke, die ein Kennzeichen dieses Landes sind: steinerne Zeu gen einer großen Vergangenheit. Wir haben es mit einem alten Siedlungsboden zu tun. Funde weisen zurück bis in die Steinzeit. Das Land war von frühester Zeit an immer ein Durchzugsgebiet. Die Donau bildete eine natürHche Grenze - das war zwischen den Römern und Markomannen so und auch später. Die Donau war der wichtigste Verkehrsweg vom Westen nach Osten. Zur Zeit, wo in den Alpen (zum Beispiel Hallstatt) schon längst aus geprägte Kulturen und Siedlungen waren, war dieses Land noch mit einem dichten Urwald überzogen. Und als es in römischen Siedlun gen des Reiches Noricum schon christüche Gemeinden und eine starke Entwicklung zur Christianisierung (z. B. durch den heiHgen Severin) gab, waren die einzelnen verstreuten Siedler in diesem Ur wald noch heidnisch. Heidnischer Kult erhielt sich gerade in diesem Gebiet, wie Brandbestattungsgräber es beweisen, noch sehr lange, ja bis in die Jahrtausendwende hinein. Noch heute gibt es im Mühlvier tel und Waldviertel Plätze, meist auf hügeHgen Kuppen, mit soge nannten ,,Findlingen", das sind majestätische Granitblöcke, die si cher Zeichen einer frühen heidnischen Kultstätte sind. Man nennt diese Steine ,,Heidensteine", aber auch - in Anlehnung an weit ver breitete christliche Legenden des Mittelalters - ,,Raststeine". In die sen Steinen gibt es mit Wasser gefüllte Mulden, die auch in der ärg sten Sommerhitze nie austrocknen, von denen die Legende sagt, daß sie Körperabdrücke von Heiligen sind, die auf ihren weltweiten Chri stianisierungsreisen hier gerastet haben. Die WirkHchkeit jedoch ist anders, denn immer wieder haben die Siedler christüche Mönche ge fangengenommen und erschlagen; so z. B. im Waldviertel den hl. Coloman, den man wegen seiner fremdländischen Sprache für ei nen Spion hielt. Viele Völker sind in der frühen Geschichte des Landes durch dieses Gebiet gezogen und haben sich zum Teil auch niedergelassen: Illjrrer, keltische Boier, germanische Markomannen, Nord- und Süd-Slaven und Awaren. Dazu kamen später bayrische und fränkische Siedler, 83
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