Literaturbeilage der Kulturzeitschrift Oberösterreich Heft 4/1983 Peter Paul WipHnger Einführung: Johann Lachinger Dichtung der Existenz ,,Grenzen/Borders" (1977), ,,Gitter" (1981) und ,,Abschiede" (1981) lauten die Titel der Lyriksammlungen von Peter Paul WipHnger aus den vergangenen sechs Jahren, ihnen gingen Gediehtbändchen mit ähnlich einprägsamen Titeln voraus: ,,Hoc est enim" (1966) und ,,Zeitzeichen/Znaki casa" (1974). Vor allem in den Dichtungen der zuerst genannten Sammlungen spricht sich das Bewußtsein einer gei stigen Lage aus, deren dichterischer Ausdruck seit den vergebHchen Schreien expressionistischer Erlösungs- und Selbsterlösungssehn sucht zurückgenommen wurde auf das nüchterne Eingeständnis der Fatalität der menschUchen Existenz an sich. Dem Leiden/Pathos der Expressionisten an der vermeintlich korrigierbaren Welt stellt Wip Hnger in seinen Gedichtbänden den Befund des unaufhebbaren leta len Zustandes gegenüber, den es weder zu beklagen noch zu heroi sieren gilt, der ledigHch knapp und klar zu konstatieren ist, in der schmucklosen Aussage, im prägnant bezeichnenden Wort. Liest man die Lyrik dieses in seiner UnerbittHchkeit jung wirkenden Autors, wird man sich bewußt, daß er durch viele Wörter hindurchgegangen sein muß, daß er bereits viel Kunstvolles in die Eland genommen, viele Bilder besehen und geprüft haben mag, daß er Sprachmelodien abgehört, Sprachtrunkenheit und manches schöne Spiel und manche erhabene Geste beobachtet und angeschaut haben mochte, daß ihm aber die Wahrheit durch solchen schönen rhetorischen Aufwand wohl mehr übermalt, übertönt, verhüllt und verkleidet erschienen sein wird, denn vergegenwärtigt und bezeugt. Elaborierter Literatur sprache mißtraut WipHnger offenbar in diesen Dichtungen, gefälHge Schönheit mimende Ästhetik erscheint ihm suspekt angesichts der Wirklichkeit der erfahrenen Welt. Ihm bleibt, um überhaupt ästhe tisch über ihren und seinen Zustand sprechen zu können - jedenfalls in der Lyrik - das lapidare Setzen von Wortblöcken und von klar be zeichnenden Aussagen. Einen bewußten Spät-ExistentiaHsten möchte man Peter Paul WipHnger nennen, einen Ausgesetzten und Engagierten zugleich, der versucht, das ihm als wahr erschei nende Alphabet des Daseins zur Sprache zu bringen und dem Buch stabierenden einleuchten zu lassen, daß es zugleich sein eigenes Al phabet ist, das er zu lernen hat. In epigraphisch-epigrammatischen Versen formuliert er die Unsagbarkeit und Undeutbarkeit allen Da seins. Für das je eigene Bestehen-müssen, für das Oberstehen, so oder so, ist ihm die Sprache anscheinend nur ein menschHcher Not behelf, ein eigentHches Werkzeug gibt es letztlich nicht. Wie es aber etwa für Jean-Paul Sartre oder Albert Camus trotz der fundamentalen Heillosigkeit ein Eingreifen in die noch reguHerbaren Beziehungen der Menschen gibt, ein Eingreifen, das geradezu zur moraHschen Pflicht wird, so postuHert auch WipHnger eine solche VerpfHchtung - sie erscheint dem Dichter als die einzig mögliche und ausführbare Aufgabe: Zeugnis, Anklage, Aufruf sind seine Mittel als Dichter. Un terbrochen, wenn auch nicht aufgefangen, wird in seinen Dichtungen der Fall ins Leere nur in vereinzelten Momenten - in der Liebe zu ei nem oft fernen Du, im Naturerlebnis, oder in einem verzweifelten Gebet -, das sind Reste von Hoffnung, einer Hoffnung freiHch ohne Widerhaken, eher KHppen, an denen das Ich sich kurz fängt. Vergeb lich sucht man in den Themen und Tönen dieser Dichtungen nach Kennzeichen von Heimat und Herkunft des Autors, ledigHch einige elegische ländliche Bilder in dem Band,, Abschiede. Gedichte und Fo tografien" weisen undeutlich auf sie zurück, aus seinem Werk atmet vielmehr die Ungeborgenheit des Wanderers in der Großstadt, die in tellektuelle Luft philosophischer Reflexion und das Nomadenhafte ungesicherter Verankerung in der Gesellschaft. Mit unerbittHch scheinender Konsequenz ist der Autor aus den Bindungen von Her kunft und heimatHcher Tradition herausgetreten, um sich der Kon frontation mit den sozusagen a priori gegebenen Bedingungen der menschlichen Existenz zu stellen. Deutet sich aber in den neuen, hier erstmals veröffentHchten Texten eine Wendung an? Der Autor hat mehrfach so etwas wie ein Skelett seiner Biographie gegeben, es sei hier die im Anhang zum Gedichtband,,Gitter" (1981) veröffentlichte Lebensskizze wiedergegeben: ,,Peter Paul WipHnger. Geboren 1939 in Haslach im Mühlviertel, Oberösterreich, als zehntes Kind. Dort Kindheit. Dann humanisti sches Gymnasium in Linz, Dachsberg, Solbad Hall in Tirol. Ab 1960 in Wien. Studium der Theaterwissenschaft, Germanistik und Philoso phie. WissenschaftHche Arbeit (Max Reinhardt-Nachlaß). Jahrelang Tankwart, Weinbergarbeiter, Interviewer, Werbetexter, Tag- und Nachtportier, ,freier' Schriftsteller. Seit 1980 Sekretär der Gesell schaft der Kunstfreunde Wien und Leiter der Kleinen Galerie in Wien sowie verantwortHcher Redakteur der Wiener Kunsthefte. Freier Mit arbeiter des ORF sowie anderer Rundfunkanstalten und bei verschie denen Zeitschriften und Zeitungen. - Vorwiegend Lyriker. In meh rere Sprachen übersetzt. Aber auch Texte für literarische Chansons, Prosa, Hörspiel, Essays zur Literatur und bildenden Kunst sowie zur Kulturpolitik. . . . Preise: Förderungspreis des Wiener Kunstfonds für Literatur, Wien, 1970; Theodor-Körner-Preis für Literatur, Wien, 1976; Abraham WourseU-Grant for Literature and Dramatic Research, New York, 1975 . . . Mitglied des österreichischen P.E.N.-Clubs, Mitglied des österreichischen Schriftstellerverbandes, MitgHed des Literaturkreises Podium, Mitglied des Morgen-Kreises." Die knappe, konzentrierte FormuHerung der Biographie, reduziert auf die notwendigsten, aber entscheidenden Fakten, spricht ihre ei gene Sprache. Es sind aUerdings sozusagen nur die Spitzen des Eis berges, die aus dem Wasser ragen, die Hauptmasse mit aU ihren For men und inneren Strukturen bleibt verborgen. Unter den hier abgedruckten Texten von Peter Paul WipHnger zeigen die meisten ,,Neuen Gedichte 1982/83" der Sammlung ,,Zeitver mächtnis" das gedankliche und stiHstische Gepräge der früheren Werke, von denen vorhin die Rede war. Doch mit dem Auftauchen farbiger poetischer Bildersprache und des auffallenden Reimklanges in einigen der letzten Gedichte verändert sich die Atmosphäre, ein Ton von VersöhnHchkeit, ja, Harmonie, macht sich plötzHch bemerk bar, inhaltlich bekräftigt durch Schlußverse wie ,,. . . erst wenn zer bricht der Steg, / dann sind wir frei fürs Licht" (,,öffne die Tore") oder ,,. . . so ist die tröstliche Gewißheit: / Am Ende ist doch alles gut!"(,,Gleichnis des Lebens"). Vollends das letzte Gedicht,,Mensch sein" strahlt Hoffnung aus. - Ob sich damit eine grundsätzHch neue Entwicklungsphase im Schaffen WipHngers ankündigt, muß aller dings offen bleiben, die vorliegenden Indizien sind denn doch noch zu vereinzelt. Ein Novum jedenfalls steUt die produktive Auseinandersetzung des Autors mit Landschaft^ Geschichte und Kultur des nördHchen Do nauraumes in dem Essay ,,Unbekanntes Österreich" dar, der ja auch die engere Herkunftswelt Peter Paul WipHngers, das Obere Mühl viertel, einschließt. Gerade bei der Kindheitslandschaft verweilt er mit Liebe, ein tieferes Eindringen in die geschichtliche Welt der enge ren und weiteren Heimat ist als Voraussetzung für diese Studie anzu nehmen; es bedeutet das Aneignen von Geschichte, die den Schrift steller selbst betrifft, den eigenen Ursprung. Hier bahnte sich endHch eine vielleicht lange Zeit verschüttete Quelle aus einem unabweisba ren innersten Antrieb heraus ihren Weg. Das mag nun tatsächHch die Setzung eines neuen Anfangs sein. 81
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