Oberösterreich, 33. Jahrgang, Heft 4, 1983

Die oberösterreichisch-niederösterreichische Grenze zwischen 1918 und 1945 Harry Slapnicka Das 18. und 19. Jahrhundert brachten Ober österreich vor allem Grenz- und Gebietsver änderungen im Westen und Süden. 1779 kam das Innviertel zum Lande Österreich ob der Enns. 1809 mußte diese Neuerwerbung mit Teilen des Hausruckviertels an Frankreich abgegeben werden, das diese Gebiete ein Jahr später an Bayern weitergab. Der Mün chener Vertrag vom 14. April 1816 machte diese Folgen der napoleonischen Kriege wie der rückgängig.! Allerdings sah die 1849 in Kremsier schon beschlossene Verfassung eine Zuordnung dieses Innviertels an Salz burg vor, doch wurde diese Verfassung vom Kaiser nie sanktioniert und nie realisiert.^ Salzburg kam 1816 als 5. Kreis zu Oberöster reich, verblieb hier bis 1848 und war kurzfristig zwischen 1860 und 1861 neuerlich ein Teil Oberösterreichs.!! Um all diese Grenzkorrekturen und Gebiets zuordnungen im Westen und Süden war im 20. Jahrhundert Ruhe eingetreten; hier än derte sich nichts mehr. Dafür gab es Änderun gen, wenn auch überwiegend vorübergehen der Art, an der Nord-, Ost- und Südostgrenze Oberösterreichs, also gegenüber Böhmen, Niederösterreich und der Steiermark. Südböhmische und südmährische Gebiete zu Ober- und Niederösterreich Für wenige Monate, Wochen und Tage gehör ten zwischen Oktober und Dezember 1918 südböhmische und südmährische Gebiete zu der sich eben formierenden Republik Deutschösterreich. Auf Grund des Gesetzes vom 22. November 1918 über Umfang, Gren zen und Beziehungen des Staatsgebietes von ,,Deutschösterreich" und der ,,Vollzugsan weisung des Deutschösterreichischen Staats rates" vom 3. Jänner 1919 war der,,Deutsche Böhmerwaldgau" bzw. der „Kreis DeutschSüdböhmen" zu Oberösterreich und der Kreis ,,Deutsch-Südmähren" zu Niederösterreich gekommen; damit hatte sich die oberösterrei chisch-niederösterreichische Grenze insofern geändert, als Teile der bisherig niederöster reichisch-böhmischen Grenze (Gerichtsbe zirk Gratzen des politischen Bezirkes Budweis) nunmehr niederösterreichisch-ober österreichische Grenze wurden.'^ Der auf Grund des Selbstbestimmungsrech tes der Völker geplante Zusammenschluß der überwiegend von Deutschen bewohnten Ge biete wurde von der Tschechoslowakei nicht zur Kenntnis genommen; für sie waren dies zwar für die nordungarisch-slowakischen Ge biete die entsprechenden Kriterien, nicht aber für den böhmisch-mährischen Raum, wo man die These der ,,historischen Grenze" propa gierte und im Friedensvertrag von Saint Ger main auch durchsetzte. Schon vor Erlassung der entsprechenden österreichischen Ge setze war am 28. Oktober 1918 die Tsche choslowakische Republik gegründet worden; deren Truppen besetzten noch vor den Frie densverhandlungen bis zur ersten Dezem berwoche 1918 die von den Österreichern be anspruchten und von Deutschen bewohnten südböhmischen und südmährischen Gebiete, die demnach nur kurzfristig, teilweise über haupt nur auf dem Papier, zu Österreich ge hörten. Herbst 1938: Anschluß für sechseinhalb Jahre Sehr bald nach dem ,.Anschluß" Österreichs wurden im Herbst 1938 auf Grund des ,,Münchner Vertrages" die deutschen Gebiete aus der Tschechoslowakei abgetrennt. Neben der Errichtung des ,,Sudetengaues" kamen die südlichen von Deutschen bewohnten Ge biete keineswegs nur wie 1918 an öber- und Niederösterreich, sondern an die Regierungs bezirke öberpfalz und Niederbayern, an das nunmehrige ,,öberdonau" und an ,,Niederdo nau". Für öberdonau waren dies die nunmeh rigen Landkreise Krummau und Kaplitz. Hatte der ,,Deutsche Böhmerwaldgau" im Spät herbst 1918 330.717 ha und 182.804 Men schen ausgemacht, so betrug der nunmehrige Zuwachs nur 1696 km^ und 96.939 Men schen. Vor allem aber war in der Abgrenzung zwischen Öberdonau und Niederdonau eine Änderung eingetreten, denn der südböhmi sche Gerichtsbezirk Gratzen kam vorerst zu Niederdonau, womit die niederösterrei chisch-oberösterreichische Grenze stark nach Nordwesten verlängert wurde. Der ur sprünglich dem Gau Niederdonau zugewie sene südböhmische Gerichtsbezirk Gratzen wurde im Juli 1939 auf Drängen des ober österreichischen Gauleiters Eigruber und auch der Bevölkerung öberdonau angeglie dert. Damit wurde im wesentlichen die Situa tion wie 1918 wiederhergestellt; die südböh mischen sudetendeutschen Gebiete waren bei öberdonau, die südmährischen bei Nie derdonau. Jetzt wurde der nordwestliche Teil Niederösterreichs von einem schmalen ober österreichischen Streifen abgedeckt. Übri gens wurde nachfolgend die kirchliche Gliede rung ohne größere Schwierigkeiten den Gau-Grenzen angepaßt.^ Diese Lösung und diese Grenze endet sangund klanglos im Mai 1945. Schon vor dem Anschluß sudetendeutscher Gebiete an öberösterreich vom öktober 1938 waren weitere, kleinere Gebiete zum nunmeh rigen ,,Gau Öberdonau" gekommen: Teile der niederösterreichischen Gemeinde Behamberg (an den Stadtkreis Steyr) und das ,,steirische Salzkammergut" oder ,,Ausseerland" an den Landkreis Gmunden. Während öberdo nau also keinerlei Gebiete abzutreten hatte und auch angesichts des nunmehrigen ,.Hei matgaus des Führers" keinerlei Bewegung für einen Anschluß der drei Bezirke Braunau, Ried und Schärding an Bayern entstand, ka men drei Gebietsausweitungen hinzu, wobei der kleinste, der von Teilen Behambergs, dauernd bei öberösterreich verblieb. Niederösterreichisches Gebiet zur Abrundung von Steyr Während im Rahmen der neuen Gaueintei lung der NSDAP und nach dem nachfolgen den Gebietsveränderungsgesetz vom 1. ök tober 1938 nur das Ausseeriand zu öberdo nau kam, wurden erst mit Anordnung 1/39 vom 16. Jänner 1939 ,.gebietliche Verände rungen zwischen den Gauen öberdonau und Niederdonau" durch Reichsstatthalter Josef Bürckel in die Wege geleitet.® Im Gegensatz zum Ausseeriand war hier eine Änderung der Verwaitungsgrenzen vorangegangen, denn durch Verfügung des Reichsstatthalters im Lande Österreich waren mit Wirkung vom 15. Öktober 1938 Teile der Gemeinde Behamberg ,,des ehemaligen Landes Nieder österreich dem ehemaligen Lande öberöster reich zugeteilt" worden. Auch hier weiß man, ähnlich wie beim Ausseeriand nicht, von wem die Initiative ausgegangen war. Vermutlich war es Gauleiter Eigruber, ein gebürtiger Steyrer und bis zuletzt an allen Problemen von Steyr besonders interessiert, der den Vorstoß gemacht oder zumindest die Änderung befür wortet haben dürfte. Die von Behamberg, Landkreis Amstetten, abgetrennten und an den Stadtkreis Steyr angeschiossenen Gebiete von Münichhoiz (1,844.256 km^ und 39 Häuser) und Hinter berg (1,803.530 km^ und 93 Häuser) waren außerordentiich bescheiden. Gieichzeitig wurden Teile anderer oberösterreichischer Gemeinden an Steyr eingegliedert, so von Garsten (Ghristkindl, Kraxenthal, Pyrach), Gleink, Stein und Sierning (Gründberg), ins gesamt 16 Ouadratkilometer, 600 Häuser und 3352 Menschen, so daß sich der Gebietsumfang von Steyr von 12 auf 28 Quadratkilometer ausweitete, also mehr als verdoppelte. Während das südböhmische und südmähri sche Gebiet 1945 sang- und klanglos an die wiedererrichtete Tschechoslowakische Re publik zurückfiei und das Ausseeriand bis 1948 bei öberösterreich (und der amerikani schen Besatzungszone) verblieb, aiso erst drei Jahre nach Kriegsende an die Steiermark zurückgegliedert wurde, verbiieb der Teil der Gemeinde Behamberg, der ja längst integrier ter Bestandteii von Steyr geworden war, dau ernd bei öberösterreich. Bemühungen Nie derösterreichs, das Gebiet finanzieil abzulö sen, zerschlugen sich, doch finanzierte das Land öberösterreich der niederösterreichi43

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