Oberösterreich, 33. Jahrgang, Heft 3, 1983

ich sah, daß auch die Tür des Musikzimmers offen stand. Zugleich er tönte ein bezauberndes Klavierspiel, das mich auf der Schwelle fest gebannt hielt. Es klang wie freies Phantasieren, aber an den öfter sich verändernden Wiederholungen gewisser Stellen erkannte ich, daß Brahms die bereits fertige Kopfarbeit einer neuen Komposition durchnahm, um sie zu verbessern und auszufeilen. Er wiederholte das Stück mehrere Male in einzelnen Partien und spielte es zuletzt ohne Unterbrechung durch. Der Genuß wäre einzig gewesen und hätte das Interesse an den Fortschritten seiner Arbeit noch überboten, wenn das Solo nicht in das seltsamste Duo verwandelt worden wäre. Je reicher sich das Werk gestaltete, desto stärker erhob sich ein be fremdliches Knurren, Winseln und Stöhnen, das auf dem Gipfel der musikalischen Steigerung in lautes Gebell ausartete. Sollte sich Brahms, ganz gegen seine Neigung, einen Hund angeschafft haben? Daß er die verwünschte Bestie im Zimmer duldete, erschien mir völlig unbegreiflich. Nach etwa einer halben Stunde hörte mit dem Spiel auch das Geheul auf, der Klaviersessel wurde gerückt, und ich trat ins Zimmer. Von einem Hunde keine Spur. Brahms zeigte sich ein wenig verlegen, wischte wie ein schämiges Kind mit der verkehrten Hand über die Augen - er mußte heftig geweint haben, denn die hellen Tropfen hingen noch am Bart, und seine Stimme klang weich und un sicher. Selbst wenn Brahms an seinem Marmortischchen im Cafe an der Esplanade saß, merkte man ihm an, daß die Gedanken, die er um seine Eingebungen kreisen Ueß, nicht zur Ruhe kommen wollten. Darüel Spitzer, bekannt geworden durch seine blendend geschriebenen Feu illetons ,, Wiener Spaziergänge", hat den Eindruck, den er von dem berühmten Stammgast des Ischler Esplanadencafes empfing, in der ,,Neuen Freien Presse", deren Redaktionsmitglied er war, festgehal ten: ,,Geht man gegen zwei Uhr nachmittags in das Cafe Walter, so sieht man an einem Tische im Freien, Kaffee trinkend und Zigaretten rauchend, einen sehr kräftigen, untersetzten Fünfziger mit blondem Haar, die hochgeröteten Wangen von einem grauen Bart eingerahmt, und mit blitzenden Augen, denen man es ansieht, daß in der geisti gen Werkstätte dieses Mannes fortwährend gehämmert und ge schmiedet und niemals gefeiert wird." Wie recht der Wiener Eeuilletonist damit hatte, beweist die Fülle der Werke, die Brahms in Ischl geschaffen hat. Schon während des ersten seiner dortigen Aufenthalte komponierte er die,, Akademische Fest ouvertüre", mit der er der Universität Breslau für die ihm verliehene Würde eines Ehrendoktors dankte. Kaum war dieses froh be schwingte Werk vollendet, erstand ihm mit der,,Tragischen Ouver türe" ein itefernstes, von Tönen der Trauer durchklungenes Gegen stück. Auch die Funken der ,,Ungarischen Tänze" entfachten sich in ihres Schöpfers erstem Ischler Sommer zu neuen Feuern. Als Brahms im Mai des Jahres 1882 zu seinem zweiten Aufenthalt in Ischl eintraf, kehrte er wieder in das ihm Hebgewordene Haus an der Salzburger Straße ein. Als ,,ein Kind des würzigen Ischler Mais" hat er das Streichquintett op. 88 bezeichnet, das er sogleich nach seiner Ankunft zu komponieren begonnen hatte. Diesem Kammermusik werk folgte als weitere künstlerische Frucht des neuerlichen Ischler Aufenthaltes der große ,,Gesang der Parzen" aus Goethes ,,Iphige nie", für sechsstimmigen Chor und Orchester vertont. Und von jener aussichtsreichen Höhe, die nachmals zum Platz der LeschetitzkyHütte wurde, brachte Brahms die gnadenvollen Einfälle zu seinen wunderbaren Liedern ,,Feldeinsamkeit" ,,Guten Abend, gute Nacht" heim, die in Millionen Menschenherzen Widerhall gefunden haben und immer wieder finden werden. In den folgenden sechs Sommern hielt sich Brahms in der Steiermark und in der Schweiz auf. Aber dann erwachte auf einmal wieder die Sehnsucht nach den Ischler Bergen und Wäldern, nach dem Rau schen der Traun, nach dem Cafe an der Fsplanade, nach der abendli chen mit Freunden und Bekannten geteilten Tischrunde im Hotel Elisabeth, nach den treuherzigen Landkindern, die ihn auf seinen Wegen immer so freundlich begrüßt hatten, und rucht zuletzt nach dem behaglichen Gruberhaus an der Salzburger Straße. ,,Nur mit ei nem Wort sage ich Ischl!", rief er aus und reiste hin, um von diesem Sommer 1889 an jedes Jahr bis zu seiner tödlichen Erkrankung wie derzukommen. Seiner Zufriedenheit mit Ischl gab Brahms immer wieder in Briefen Ausdruck. So schrieb er nach seiner Ankunft im Sommer 1889 an seine Freundin Clara Schumann: ,,Fs ist überalll schön und ange nehm hier und mir, wie ich wohl schon oft sagte, vor allem durch die gar so liebenswürdig gearteten Menschen aufs beste behaglich." Clara Schumann hatte ihm nach einem Buche des Schweizer Dichters Viktor Widmarm die RoUe des ,,Rektors Müsün" angedichtet. Darauf spielte Brahms an, als er ihr im August 1890 schrieb: ,,Hier müßtest Du mich als Rektor Müslin, als Kinderfreund sehen! Es gibt keine liebenswürdigeren und angenehmeren Menschen und Kinder; ich gehe nicht aus, ohne daß mir das Herz lacht und ich die Empfindung eines frischen Trunkes habe, wenn ich so ein paar allerliebste Kinder gestreichelt habe." Und nachdem er im Mai 1891 wieder in Ischl eingetroffen war, schrieb er an Viktor Widmann selbst: ,,Ich werde den ganzen Sommer keine Engländer sehen und die wenigen Norddeutschen geben sich unwill kürlich Mühe, ein anderes Gesicht zu machen. Wie man von Klein und Groß, Jung und Alt willkommen geheißen wird, ist gar lieb und schön." Auch die Ischler Landschaft ergriff den naturbegeisterten Komponi sten immer aufs neue. ,,Es war eine wahre Wollust, die Landschaft zu sehen", bekannte er seinem Verleger Simrock, als er ihm irdt einem Brief vom 30. Juni 1985 seine nun schon neunte Ankunft in Ischl mel dete. Das höchste Lob aber hat Brahms seinem geliebten Sommerort mit einem Wort an Max Kalbeck gezollt, der im Juni 1896 halb und halb entschlossen war, auch einmal eine Reihe von Wochen in Ischl zu verbringen. ,,Es ist weitaus das Vernünftigste, was Sie tun kön nen, und ich schenke Ihnen Tirol und die ganze Schweiz dafür." Es hieße ein bibliographisches Verzeichnis anlegen, woUte man die Titel aller Kompositionen nennen, die Brahms in den Ischler Som mern der Jahre 1889 bis 1896 geschaffen hat. Nur das Trio a-Moll für Klavier, Klarinette und Violoncello, das Klarinetten-Quintett h-Moll, zwei Klarinetten-Sonaten und dreizehn Kanons für Frauenstimmen seien außer Klavierstücken und Choralvorspielen als Beispiele für den Reichtum an künstlerischen Früchten hervorgehoben, die Brahms in diesen acht Ischler Sommern geerntet hat, in denen er auch mit der Durchsicht und Ausfeilung älterer Kompositionen viel be schäftigt war. Konnte sich sein künstlerisches Gewissen doch erst be ruhigen, werm er überzeugt war, mit seiner musikalischen Aussage das höchst Erreichbare geleistet zu haben. Viel zerrissenes Notenpa pier hat er nach seinem Eingeständnis zum Abschied von Ischl in die Traun geworfen. Am 3. April 1897 ist Brahms in Wien einem Leberkrebs erlegen, des sen erstes Anzeichen, eine Gelbsucht, ihm schon den letzten seiner Ischler Sommer gestört hatte. Fast sechs Jahre lang hat er sein,,Ischler Testament", das er im Mai 1891 verfaßt und seinem Verleger Simrock geschickt hatte, überlebt. Ihn aber wird das große, der Welt ge schenkte Klangvermächtnis, zu dessen Herrlichkeit die Gnaden Ischls beigetragen haben, noch unvorstellbar lange Zeiten überleben. Aus: Arthur Fischer-Colbrie: Sie meinen Bad Ischl. Treffpunkt der Prominenz, Stiasny-Verlag, Graz und Wien, 1966 90

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