Oberösterreich, 33. Jahrgang, Heft 3, 1983

Ignaz Brülls Rolle im Ischler Musikleben Johannes Brahms Auch Ignaz Brüll, der aus Mähren stammende Klavierkünstler, Diri gent und Komponist, gehört zu den Musikern, die in Ischl heimisch wurden. Viele Sommer in der Villa wohnend, die seine Eltern, schon seit langem Stammgäste des schönen Kurortes, in der Kaltenbach straße besaßen, machte er dieses kultivierte Haus zu einem Mittel punkt edler Musikpflege. An den Hauskonzerten, die er in seinem Heim veranstaltete, war Johannes Brahms in den Zeiten seiner Ischler Aufenthalte beteiligt, und Karl Goldmark, der Komponist der,,Köni gin von Saba", kam oft aus seinem Gmundner Sommertusculm nach Ischl, um an den intimen Musikfesten in der Villa Brüll mitzuwirken. Aber auch im öffentlichen Leben trat Ignaz Brüll mit seiner Kunst her vor. Zwei musikalische und zugleich gesellschaftliche Ereignisse sind es vor allem, die seinen Namen in die Chrorük des Ischler Kulturle bens eingehen ließen. Zu dem einen dieser Ereignisse gab Franz Jo sephs 50. Geburtstag Anlaß. Zu dem kaiserlichen Festtag hatte sich der Fürst von Rumänien, der nachmalige König Carol, mit seiner poe tisch begabten Gemahlin Elisabeth, die als Dichterin unter dem Na men Carmen Sylva bekannt wurde, in Ischl eingefunden, wo sich damals auch Fürst Milan von Serbien aufhielt. So gab es am Abend des 18. August 1880 vor dem Ischler Theater eine glanzvolle Auffahrt. Im Haus herrschte festliche Stimmung, die sich noch steigerte, als der Kaiser mit seinen fürstlichen Gästen die Hofloge betrat. Im Orche sterraum erschien, von lebhaftem Beifall begrüßt, Ignaz Brüll, um ans Dirigentenpult zu treten und das Zeichen zum Beginn seiner Oper ,,Das goldene Kreuz" zu geben, deren volkstümliche Melodien all gemeines Wohlgefallen fanden und auch die hohen Gäste entzück ten. So wurde die Ischler Aufführung der singspielartigen, sich nocli lange in den Spielplänen vieler Bühnen haltenden Oper für den Komponisten und zugleich den Dirigenten Brüll ein aufsehenerre gender Erfolg. Auch ein als Sensation gewertetes Konzert, an dem Iganz Brüll beteiligt war, hängt mit einem Kaisertag zusammen. Es fand am 18. August 1883 im Festsaal des damals neuen, erst 1875 fer tiggebauten Kurhauses in Anwesenheit des Kaiserpaares und seines Hofgefolges statt. Ignaz Brüll war den ganzen Abend lang auf dem Podium, seine pianistische Meisterschaft mit der vollendeten, von al len Kennern gerühmten Begleitung von Liedern und Arien erwei send, in deren Vortrag sich berühmte Sänger und Sängerinnen, an ih rer Spitze Pauline Lucca von der Wiener Hofoper, teilten. Ignaz Brüll kommt auch das Verdienst zu, für Johannes Brahms, der entschlossen war, den Sommer 1880 in Bad Ischl zu verbringen, in dem an einem Wiesenhang über der Salzburger Straße gelegenen Hause des Eisenbahnbediensteten Engelbert Gruber eine Wohnung ausgekundschaftet zu haben, wie sie schöner und angenehmer und den Wünschen des großen Tondichters entsprechender nicht zu den ken gewesen wäre. In diese Wohnung, deren Vorderfenster zum jenseitigen Ufer der Ischl blickten und eine reizvolle Aussicht auf den bergansteigenden Park der Kaiservilla gewährten, zog Johannes Brahms zu Beginn des Sommers 1880 zum ersten Male ein. Schon bald nach seiner Ankunft schrieb er seinem Freunde, dem berühmten Chirurgen Theodor Bill roth: ,,Ischl muß ich sehr loben und da nur mit einem gedroht wird, daß halb Wien sich hier zusammenfindet, so kann ich ruhig sein- mir ist das ganze nicht zuwider." Ein Lob Ischls und ein Bekenntnis zu Wien enthält auch ein Brief, den Brahms um die gleiche Zeit an die angesehene, mit ihm befreundete Pianistin Elisabeth von Herzogen berg richtete: „Hätte ich zur rechten Zeit erfahren, daß Sie nach Berchtesgaden gehen, ich hätte mich verführen lassen und wäre aus Österreich gegangen - ich glaube wenigstens. Gescheiter aber wäre für ein anderes Mal, Sie kämen hierher. Es ist wirklich schön da, und man hat keine gesellschaftlichen Verpflichtungen und lebt auch ent schieden billiger als sonstwo. Daß halb Wien hierher kommt, verdirbt mir's einstweilen nicht. Ja, vor dem halben Berlin oder Leipzig würde ich wohl laufen. Das halbe Wien aber ist ganz hübsch und kann sich sehen lassen." Schon zu früher Stunde pflegte Brahms in die freie Natur hinauszu wandern. Umatmet von köstlicher Waldluft und bis ins Herz hinein bestürmt von der Herrlichkeit der Bergwelt, geriet er auf diesen Mor gengängen in schöpferische Stimmung, die sich bis zur Besessenheit steigern konnte. Sein Biograph Max Kalbeck hatte einmal die unver hoffte Gelegenheit, Brahms in einem Zustande solcher Besessenheit anzutreffen. Er berichtet darüber: ,,Frühaufsteher und Naturfreund wie er, war ich an einem warmen Jülimorgen sehr zeitig ins Freie hin ausgegangen. Da sah ich plötzlich vom Walde her einen.Mann über die Wiese auf mich zugelaufen kommen, den ich für einen Bauer hielt. Ich fürchtete, verbotene Wege betreten zu haben, und rechnete schon mit allerlei unangenehmen Eventualitäten, als ich in dem vermeintli chen Bauer zu meiner Freude Brahms erkannte. Aber in welchem Zu stande befand er sich, und wie sah er aus! Barhäuptig und in Hem därmeln, ohne Weste und Halskragen, schwenkte er den Hut in der einen Hand, schleppte mit der anderen den ausgezogenen Rock im Grase nach und rannte so schnell vorwärts, als würde er von einem unsichtbaren Verfolger gejagt. Schon von weitem hörte ich ihn schnaufen und ächzen. Beim Näherkommen sah ich, wie ihm von den Haaren, die ihm ins Gesicht hingen, der Schweiß stromweise über die erhitzten Wangen herunterfloß. Seine Augen starrten gera deaus ins Leere und leuchteten wie die eines Raubtieres, - er machte den Eindruck eines Besessenen. Ehe ich mich von meinem Schrecken erholte, war er an mir vorbeigeschossen, so dicht, daß wir einander beinahe streiften! Ich begriff sofort, daß es ungeschickt von mir wäre, ihn anzurufen: er glühte vom Feuer des Schaffens. Nie werde ich den beängstigenden Eindruck der elementaren Gewalt vergessen, den der Anblick der Erscheinung in mir zurückließ." Die Einfälle, die Brahms auf seinen Morgenwegen - oft führten sie ihn bis in die Rettenbachwildnis oder auch traunaufwärts nach Lauften - mit unwiderstehlicher Macht überkamen, vertraute er, bevor er sie niederschrieb, den verschwiegenen Wänden seines Arbeitszimmers im Gruberhause an. Auch von einer solchen Stunde weiß Max Kal beck eindringlich zu erzählen: ,,Bei einem Vormittagsbesuche in der Salzburger Straße über die Außentreppe in den Garten hinaufgestie gen, wollte ich eben durch die weit geöffnete Hintertür eintreten, als 89

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2