hen, nach welcher sich sein Trab beschwingte, wenn die letzte Fahrt des Tages durch vertraute Gassen heimzu ging. An einem meiner er sten Lebenstage war ich unserem Hauspferd oder vielmehr dessen Herrn als kleiner Fahrgast anvertraut, da ich, in Patenarmen ruhend, zur Stadtpfarrkirche fuhr. Vielleicht war der Wagen, der den Täufling heimgebracht hatte, am nächsten Morgen mit Myrtenkränzen geschmückt oder vielleicht auch streiften an seinen Schlag, als er sich öffnete, Schleier der Trau er. Denn immer wieder mußten die Pferde der Lohnkutscher, die heute aus dem Straßenbild der Stadt verschwunden sind, jenen gro ßen Tagen menschlichen Lebens dienen, deren blauer oder wolken verhüllter Himmel einen Schimmer der Ewigkeit durchscheinen läßt. So kehrten sie denn oft von Tauf- oder Hochzeitsfahrten oder vom Friedhof auf den Hauptplatz zurück, wo sie, getrennt nach Ein- und Zweispännern, ihre Standorte hatten. Dort konnten sie dann, in die Futtersäcke vertieft, die ihnen die Kutscher um die Hälse zu binden pflegten, wieder stundenlang warten, bis der eine oder andere Fahr gast kam, der sich den Weg zum Bahnhof verkürzen wollte. Auf die Pferde der Zweispänner, die vor den oberen Hauptplatzhäusern auf gestellt waren, sah der kleine Elefant aus dem Felde des Schildes her ab, das zwei wild aussehende, knüppelbewehrte Gesellen über das Törfenster eines der stuckverzierten Häuser emporheben . . . Das Rößlein des Lohnkutschers Reichinger stand in der bescheidenen Reihe der Einspänner auf dem unteren Hauptplatz, hoch über sich die Giebelzier des erkergeschmückten Hartwagner-Hauses. Wenn Stunden vergeblichen Wartens den Herrn des Rößleins auf seinem Kutschbock ein wenig hatten einnicken lassen, mochte er wohl aus halbem Schlummer in das bunte Wogen der Schirme geblinzelt ha ben, die sich drüben, auf der entgegengesetzten Seite des Platzes, über ganze Hügelreihen aus rot und goldig, grün und bläulich glän zenden Früchten und über ganze Farbenketten aus leuchtenden Blu men spannten, etwas wie einen Hauch des Südens in die Luft der Donaustadt zaubernd. Dann träumte er vielleicht dem kommenden Sonntag entgegen, für den er zu einer Fahrt über Land bestellt war, und sah schon sein Rößlein unter Birn- und Apfelbäumen dahintraben, deren Zweige ihm Hut und Peitsche streiften, oder sah es um Wiesenraine biegen, wo Steinnelken mit der Glut ihrer Röte prunkten und blau und Ula schimmernde Glockenblumen der Sommerfeier der Natur ihr Traumgeläute liehen. Wagenfahrten nach beliebten Ausflugszielen, wie St. Magdalena oder Auhof,,,Guten Rath" - so stand der Wallfahrtsort am Rand des Kürnbergs im Fiaker-Tarif geschrieben - oder Wilhering, St. Florian oder Enns, gehörten ja zu den Sonntagsfreuden der wohlhabenderen Städter, und auch der bürgerliche Mittelstand durfte sich zu den fei ertäglichen Zeiten solche besinnlich stimmende Freuden gönnen. Die Rückkehr dieser Ausflugswagen war aus dem Sonntagsbild der dämmernden Stadt nicht wegzudenken. Die traulich schimmernden Laternen an den Kutschböcken warfen einen Nachglanz feiertägli chen Lichtes in die Straßen der Heimkehr, die mit dem Rollen der Wagenräder und dem Klang der Pferdehufe einen Widerhall des Glückes empfingen, das harmonisch gestimmte Menschenherzen aus Gottes Natur in die Stadt heimtrugen. So mag auch der Wagen des Lohnkutschers Reichinger an manchem Sommerabend über das Altstadtpflaster gerollt sein und in der Tor einfahrt des Hauses Nr. 15 mögen die letzten Hufschläge des heim gekommenen Pferdes nachgehallt haben, während ich droben in meiner Wiege schlummernd lag, noch wie umfangen von der Ewig keit, aus der wir Menschenkinder kommen. Die Uhr des Landhausturmes aber teilte mit ihren Stundenschlägen, deren Klang wohl an mein Ohr gedrungen sein und sich in meine träumende Seele gesenkt haben wird, die der Erinnerung verlorenen Tage, die mich immer weiter in die irdische Zeit hinausgeleiteten, bis ich, behutsam geführt von meinem älteren Schwesterlein, die ersten Schritte proben konnte. Die Erinnerung daran knüpft sich aber schon an ein Zimmer unserer neuen Wohnung in der Lessinggasse, wohin meine Eltern etwa ein Jahr nach meiner Geburt gezogen waren. Die schmale Gasse, die sich heute als breite, an Villengärten und am Rand von Parkanlagen aufwärts ziehende Straße bis zur Schule auf dem Römerberg fortsetzt, hatte damals an den Eingängen zur Flügelhof gasse und Schlossergasse ihr Ende. Wenn auch das Zinshaus, in dem wir wohnten, noch nicht viele Jahre zählte, so hatte uns die Übersied lung doch nicht aus dem Bereich der alten Stadt geführt. Grüßte doch in unsere Fenster, wie zum Greifen nahe, der alte treue Wächter über meinem ersten Kindheitsjahr, der Landhausturm, herein, schweifte doch der Blick hinüber zu den großen Turmhauben des Alten Domes und konnte er doch auch, wenn von den Bäumen der Promenade das Laub gefallen war, die Dächer der Altstadthäuser wiederfinden. Und von den Hoffenstern unserer Wohnung konnten wir über dem Dach des hohen Hinterhauses das Blockgeviert des alten Schlosses aus dem Mauerkranze der Basteien steigen sehen; und schließlich war doch unser nächster, von der Straße abgerückter Nachbarbau, auch ein Stück Alt-Linz, wenn auch kein geheures, denn dort wohnte einst der Freimann, weshalb die Gasse ,,Henkersteig" und später ,,Hanger gasse" geheißen hatte, bevor sie - nicht ohne sinnvolle Beziehung zur Nähe des Theaters - ihren neuen Namen nach dem berühmten Dra matiker und Dramaturgen erhielt. Die Altstadt aber rief mich immer wieder heim, denn durch die Stra ße, wo mein Geburtshaus steht, ging der liebste Sonntagsweg meiner Kinderzeit, dessen Ziel das kleine, dem Bombenkrieg zum Opfer ge fallene Haus des Tischlermeisters Karl Sattler war; es stand auf dem Tummelplatz, an eine Felswand des Schloßberges eng geschmiegt. Die beiden kleinen Töchter des Tischlermeisters waren meine und meiner Geschwister Spielgefährtinnen, die in einer richtigen, von den geschickten Händen des Vaters hergestellten Schultafel einen Zauberschatz besaßen, der die in ihrem Heim verbrachten Stunden wie im Flug vergehen ließ. Ich sehe noch heute die Wangen der Mäd chen, die sich im Spiel erhitzt hatten, vor mir glühen und höre die be sorgte Stimme der Mutter, die diese Glut für Fieberröte hielt. Einmal nahm die Frau des Tischlermeisters uns Kinder zu dem Bruder ihres Mannes mit, zu dem Bildhauer Josef Ignaz Sattler, der nachmals als Schöpfer der schönen Wilheringer Krippe zu einem stillen Ruhm gelangte. Er hatte seit dem Jahre 1890 Wohnung und Werkstätte in ei nem jener kleinen Häuser an der Oberen Donaulände, die wie Nester an den Felsen des Römerberges kleben; damals arbeitete er gerade an den Märtyrergruppen, die für den Altar der schmerzhaften Mutter gottes im Neuen Dom bestimmt waren. Deutlicher aber als der Be such im Hause dieses Künstlers ist mir der Heimweg an der Donau in Erinnerung. Ein später Zug der Mühlkreisbahn stampfte, ein Feuer werk von Funken versprühend, den jenseitigen Damm dahin, die Gnadenkirche des PöstUngberges, scharf umrissen im Dämmerlicht des Abends, stand wie eine hohe Schützerin über dem Donautal, die Lichter, die in den Uferhäusern hüben und drüben aufzuleuchten be gannen, sah ich in den Wassern des Stromes gespiegelt und die ersten Sterne zogen über dem Turm der Pfarrkirche auf, der uns immer nä her rückte. Lina, die jüngere der Tischlerstöchter, mit der ich schweigsam Hand in Hand ging, fragte mich, warum ich denn nichts rede. Und aus meinem Herzen kam die Antwort: ,, Weil es in Linz so schön ist." Erstveröffentlichung: Jahrbuch der Stadt Linz 1949 Nachdruck: Arthur Fischer-Colbrie, Farbenfuge, eingel. u. ausgew. v. Alde mar Schiffkorn, 1962, Das österreichische Wort, Bd. 109, Stiasny-Verlag, Graz und Wien 88
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