Oberösterreich, 33. Jahrgang, Heft 3, 1983

Heimkehr in die Altstadt Wer sein Vaterhaus im Schatten einer dörflichen Linde stehen weiß, wem gar die Mauern eines einsamen Gehöftes des Lebens Wiegenzeit umfangen haben, der glaubt, so oft er an der Stätte seiner Herkunft wieder weilt, den Klang der Quelle zu vernehmen, aus welcher seine Liebe strömt zum ganzen weiten Vaterland. Ähnlich wohl ist die Empfindung eines Stadtgebürtigen, wenn er seine Schritte in die Gasse lenkt, wo sich seines Lebens erstes Heim in die Zeile altvertrau ter Häuser schmiegt. Hauch der Luft, der dort um Giebel und Ge simse streicht, weht ihm erste Klänge seines Lebensliedes zu, im lei sen Glänzen eines Fensters sieht er das FrühHcht seines Daseins nachgespiegelt und, tritt er durch das Tor des Hauses, das ihn einst in die Welt entlassen hat, in den alten Flur wie in ein Reich nachdäm mernder Erinnerungen ein, so fühlt er sich wie heimgekehrt in den Urgrund seiner Liebe zur ganzen großen Vaterstadt. Anders nicht ergeht es mir, wenn ich, in die Altstadt kommend, mei nen Schritt verhalte und vor dem Haus stehen bleibe, in dem mein Leben angefangen hat. ,,Altstadt" - der Name schon allein kenn zeichnet diese Straße als einen Inbegriff des alten Linz. Da stehen sie, die altehrwürdigen Häuser, wie behütet von der hirtMchen Gestalt des Landhausturmes, feierlich gegrüßt von der Marmorherrlichkeit des schönsten Linzer Tores, des Landhaus-Nordportales, aufsinnend nach dem felsverwachsenen, von Bastionen breit bekränzten Kaiser schloß, mit dem Wind, wenn er vom Hofberg zieht, eine Spur vom Wasserhauch der Donau atmend: so stehen sie noch heute, der Alt stadt beide Häuserzeilen, nur daß die rohe Eisenfaust des Krieges da und dort ein schatzhaft schönes Stück aus den wohlgefügten Reihen herausgebrochen hat, was nicht anders wirkt, als wenn in den Zeilen einer alten Handschrift, die uns Schönes zu erzählen hätte, ein und das andere Wort getilgt wäre, das sich so, wie es gewesen, niemals mehr erdenken, niemals mehr ersetzen läßt. Der als Kremsmünsterer Haus bekannte Bau, der mit den turmhaft wirkenden Gestalten seiner beiden runden, von Zwiebelhelmen überdachten Erker das Straßenbild der Altstadt krönt, hat sein ihm durch Jahrhunderte vertrautes Gegenüber, das mit Tor- und Erker zier in Schutt und Staub zerfallen ist, verloren. Verschwunden auch, als sei er nie gewesen, ist der alte Einkehrgasthof, der seines Namens Bild, den schwarzen Bock, auf der Rundung seines schönen Erker turmes zeigte; mit diesem Gasthof, der als einst beliebte Herberge der Linzer Bühnenkünstler vor mehr als acht Jahrzehnten zum Geburts haus der Tragödin Hedwig Bleibtreu wurde, hat die Altstadt ein trau tes, wahrzeichenhaftes Stück aus ihrem Schmuck, ganz Linz aber eine Stätte des Gedenkens an eines seiner auserwählten, berühmt gewordenen Kinder eingebüßt. (Inzwischen wieder aufgebaut. Anm. d. Red.) So will junge Trauer die alte Freude dämpfen, die in meinem Herzen auflebt, da mir die Altstadt von vergangenen Tagen ihres und meines eigenen Lebens, einer wissenden Ahne gleich, erzählt. Da steht im Zierat seiner kranzgekrönten Wandpfeiler, einen breiten Flügel in die Klosterstraße schwingend, ein ehemalig Starhemberg'sches Frei haus, das zu der Zeit, als es ein Johann Joseph Graf von Thun besaß, Mozart als schöpferischen Gast in seinen Räumen sah. Dort wieder grüßt, dem schön geschwungenen Bogen eines festlichen Portales als schmückendes Zeichen aufgesetzt, ein äbtHcher Wappenstein aus der bewegten Zeit herüber, da das mächtige, der evangelischen Lehre streitbar ergebene Geschlecht der Jörger, gegen Kaiser Ferdinand 11. auf schon verlorenem Posten kämpfend, sein Linzer Altstadthaus an das Stift Wilhering verlor. Dieser seither klösterliche Wohnsitz und jenes andere, durch Mozarts ,,Linzer Symphonie" geweihte Haus nehmen einen schlichteren, vier Fenster schmalen Bau in ihre Mitte, der in verflossenen Jahrhunderten wechselndes Besitztum adeHger Herren, wie der Volckenstorfer, der Grafen von Tilli und jener von Abensperg und Traun gewesen war, bis es vor achtzig Jahren in bür gerliche Hände überging. Ein Wenzl Sutor wurde 1870 Herr des Hau ses und war es auch noch 25 Jahre später, als ich zu nächtlicher JuUstunde im düsteren Schlafgemache einer Wohnung, die im ersten Stockwerk dieses Hauses lag, das Licht der Welt- wenn es erlaubt ist, dieses geistige Wort in gegenständlichem Sinne zu gebrauchen - als stille Flamme einer Öllampe oder vielleicht auch als flackernden Ker zenschein erblickte, während draußen überm nahen Landhausturm die himmlischen Lichter der sommerlichen Sterne geleuchet haben mögen. Ein Keramikschüd, das einen Bienenkorb inmitten eines Kranzes bunter Blumen darstellt, ist das neue Zeichen meines alten, zum ,,Imkerhof" gewordenen Geburtshauses; die Inschrift einer schwar zen Marmortafel im gewölbten Flur rühmt den Gemeinsinn der ober österreichischen Bienenzüchter, dem es zu verdanken ist, daß hier die Imkerschaft des Landes seit 1936 ein Heim ihr Eigen nennt und daß die Honigernten aus den Bienenhütten Oberösterreichs eine Sam melstätte haben. So liegt auf diesem Haus ein heimlicher Abglanz vom Farbenhimmel waldumfangener Wiesen, so zieht ein Traum hauch ländlichen Sommerjahres durch die Dämmerluft des langen Flurs, der sich in einen jener Säulenhöfe öffnet, in deren stillen Ge vierten die Schönheit von Alt-Linz verborgen blüht. In diesen Höfen hat die Seele der Stadt - wenn man sich eine Stadt begabt mit einer Seele denken darf-ihre heimlichsten Winkel, wo sie, ungestört vom Ruf des Tages, aus den Brunnen der Erinnerungen schöpfen, sich auf ihr iteferes Leben still besinnen kann. Selbst der Arkadenhof des Landhauses, der dem Hin und Her geschäftiger Stunden offen hegt, vermag ihr noch zu einem Ort solch inniger Zu flucht zu werden, wenn die vom roten Morgenglanz durchspielte Pracht der Laubengänge in Dämmerung verfällt. Dann horcht sie wohl, die Seele meiner Stadt, auf einer Stufe des Planetenbrunnens ruhend, dem leisen Klang des Wasserspieles zu, der wie aus Ewigkei ten tönt, und angesichts der Sterne, mit denen sich der Helm des al ten Wächterturmes kränzt, wird ihr der unablässige Brunnenklang zur irdischen Begleitmusik der hohen Himmelsweise. In solchen Fei erstimmungen fühlt sie das Glück der Nähe dessen wieder, der in den längst verwehten Jahren, da ihr Atem seine Lebensluft gewesen, das Harmoniegesetz des ewigen Weltenliedes ergründet und dann ver kündet hat. Und die innerste Gewißheit beseligt sie dann wieder, daß der Name Kepler als Liebesname in ihr lebt. Auch in dem dämmerigen Lichthof eines Hauses in der traulich schmalen Pfarrgasse - eine Ehrentafel zeichnet es vor seinem Nach barn aus - weiß sie eines ihrer stillen Heiligtümer. Dort kann sie, an der Säule eines Laubenganges lehnend, die Bilder jener Tage vor überziehen sehen, da Anton Bruckner das Morgenglück der sechzehn Jahre, die er damals zählte, durch diese Gänge,' über diese Stufen trug, wenn er den Weg zur Präparandenschule antrat oder wenn er aus dem Landkanzleihaus in der Hofgasse, wo diese alte Lehrerbil dungsstätte war, in sein Herbergzimmer heimkehrte, den Kopf voll kleiner Schulweisheiten, das Herz erfüllt vom großen Wogen noch vorzeitdunkler Schöpfungsträume, aus denen die Welten seiner Werke wachsen sollten. Ich könnte ihr, der Seele meiner Stadt, noch in so manchen Hof be sinnlicher Erinnerungen folgen, aber ich wUl zurückkehren in den Laubenhof meines Geburtshauses, der mir aus meines Lebens traumumfangenen Dämmerzeiten zu erzählen weiß. Wenn der Bück von den Rundungen der Laubengänge niedergleitet, trifft er auf spitz geformte Bögen, die einer Tür und einem Fenster des Erdgeschosses als schmückende Umkleidung dienen. Diese steinernen Zeichen ei ner gotischen Vorgestalt des Hauses gereichten um die Zeit, in die mein Kinderleben fällt, einem Stall zur seltenen Zier. Denn hinter je ner Tür und jenem Fenster wußte das Rößlein des Fiakers Reichinger, der ein Wohnungsnachbar meiner Eltern war, die Haferkrippe ste87

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