Wels — Stadt der oberösterreichischen Landesausstellung 1983 Gegenüberstellung 11 Hotel Greif mit pompöser Gründerzeit fassade, Im zweiten Weltkrieg durcfi Bomben zerstört. - Foto: K. Zaglmayer 12 Hotel Greif nacti Renovierung, Zustandsaufnahme aus dem Jahr 1956. - Foto: K. Zaglmayer Höfe 13 Schmidtgasse 25. - Foto: Bundesdenkmalamt Wien 14 Stadtplatz Nr. 63, Arkadenhof.- Foto: Bundesdenkmalamt Wien 15 Stadtplatz Nr. 34, Stiegenhaus.- Foto: Bundesdenkmalamt Wien 16 ,,Beschauhaus" der Weberzunft, 1930 abgerissen. - Foto: H. SchramI Interieurs 17 Stadtplatz Nr. 45, Tür Im 2. Stock, Ausschnitt mit Türschloß und Beschlägen. - Foto: Bundesdenkmalamt Wien 18 Stadtplatz Nr. 41, Stuckdecke Im 1. Stock, Ausschnitt. - Foto: Bundesdenkmalamt Wien 19 Stadtplatz Nr. 40, 1. Stock, Wohnzimmer mit Stuckdecke. - Foto: Bundesdenkmalamt Wien Farbe, Licht und Duft Städte sind nicht nur Historienbilder, sie tra gen auch Stimmungen in sich, die unverwech selbar ihre Eigenheit erst bestimmen. Wer an Florenz, Rom, Paris, Wien denkt, hat nicht nur bioß die zur Weseniosigkeit strapazierten Wahrzeichen vor Augen, sondern es ist ein ganzes Bündel, an das man sich ent-sinnt. In der Vielschichtigkeit sinnlicher Wahrnehmung erst verliert das Bild einer Stadt sein Klischee. Leichter ist es wohl, den Duft eines schatten den Eukalyptusbaumes einer griechischen In selstadt, das Azur und Grün und Violett des Meeres und den Farbenhimmel darüber als das ohne Verlust nicht Vertauschbare sich zu bewahren. Die großen Städte duften nicht mehr: vielleicht noch, daß abseits des wahr haft internationalen Gestanks ein Weikes an weht-wie im Burggarten in Wien, oder im Bois de Boulogne in Paris oder in den Gärten von Florenz - Erinnerungen bloß an jenen Duft, den die Blüte der Städte selbst ausströmte. Und doch hat jede Stadt ihren Geruch, ihr Licht, ihre Farben, die sonst nirgends sich wiederfinden. Ich entsinne mich an den Atem des Mühlbaches entlang des Zwingers, an den dumpfen Hauch der Burg und Hafergasse, an grau von Westen andrängende Himmel über der Stadt und an die Lichter der Straßenbe leuchtung, die umso spärlicher erhellt, desto entfernter die Quartiere ins Entlegene der Zeit entschwinden. In der Altstadt, den Durchgän gen und Höfen noch, schlummert Wels. Erst in jüngster Zeit hat man auch hier mit Eifer das im Dunkeln Verborgene ans Licht geholt und ins Bunte gekehrt. Vielleicht deshalb sehen man che Häuser wie aufgeschreckt aus, weil man sie so jäh aus der Dämmerung ihres Daseins gerissen hat. Am besten weiß von diesen Dingen derjenige, der von ferne zurückkehrt, der vielleicht aus gezogen war, das Glück zu suchen, als es in der Heimat noch zu finden war. Ihm sind schon die Farben, Lichter und der Geruch seiner Stadt ein Stück Vertrautes - oder schmerzli cher, eine Ahnung ans Entschwundene. Pflaster, Straßen, Höfe Das Welser Pflaster ist nicht so sprichwörtlich wie das Berliner, aber es trägt einen auch. Relativ früh hat die Stadt erkannt, daß sie sich nicht vom Autoverkehr überrollen lassen darf. Der Beschleunigung des Fort-Rollens setzte Fort-Gang als Fort-Schritt sich entgegen. Ganz schlicht: die Stadt gewährt dem Fuß gänger, dem Flaneur, dem Hastigen, dem Schiendernden, dem aufrecht oder gebeugt einher Gehenden Quartier-Straßenraum. Sel ten spaziere ich so gerne wie in Wels: vom Stadtplatz einbiegend in die Schmidgasse, die Kurvatur des Renaissanceerkers am Eck haus in größerem Bogen am Pflaster nachzie hend, durch die mit roten Ziegeln ausgelegte Passage und wieder heraus auf den Platz, der gegenüberliegenden Häuserfront zuzwin kernd, und noch einmal rechts herum, diesmal die Gasse gerade aus - Ranaissance, Barock, Historismus, eins zwei drei ... mit jedem Schritt ein neues Erlebnis, das man aufreiht, eins nach dem anderen, bis einen dann, in endloser Kette die Stadt selbst ganz dicht und innig verstrickt hat. Am meisten ziehen mich die Durchgänge, gähnenden Öffnungen und halb angelehnten Tore an: durch die dunklen, gewölbten Flure schimmert ein Helles am Ende: die Sehnsucht nach Licht, nach be sonnten Tagen schlummert in diesen Höfen, von den dürftigsten Schächten bis zu den prächtigsten Arkaden. Am schönsten hat diese Hoffnung im Hofe des Hauses Schmid gasse 25 Gestalt angenommen. Was aber ganz besonders mich an dieser Abgeschie denheit, an diesen innersten Gemächern fes selt, ist, daß die Zeit in ihnen ausruht, daß längst noch, wenn draußen auf den Straßen und Plätzen die Sonne des Mittags glüht, die Kühle des Vormittags sich aufhält und ohne Hast in die Mjlde des Abends Gleitet. Menschen Das Fragment der Vedute löste gänzlich sich ins Aligemeine, würden nicht auch die Men schen ins Bild kommen, die Wels zu dem ge macht haben, was es ist, aber viel mehr noch die, die das sind, was die Stadt aus ihnen ge macht hat. Es gibt von Menschen verlassene Städte und es gibt andererseits Menschen, die ortios sind. Von diesen heißt es dann, daß sie überall zu Hause sind, aber überall und nir gends trennt keine Grenze. Stadtflucht und das Suchen nach Zuflucht sind Signaturen des Zeitalters. Wels kennzeichnet das eine noch nicht und das andere gerade noch: Stadtflucht ist hier noch so gut wie unbekannt und die Zu flucht, die Wels bietet, ist jene kleine, die heute noch möglich ist. Nach Wels strömt in seitsa mer Dialektik das Land, es ist gerade so, als spülte das Land immer neue steinerne Ringe an die Stadt. Diese stete Infiltration kenn zeichnet auch die Menschen. Der Welser Ist nicht Städter und nicht Landmann, er ist bei des in einem, aber auch: das eine noch nicht und das andere nicht mehr. Daher mischt sich hier wie selten wo Weltoffenheit und Bauern schläue: das Resultat ist handfester Hausver stand und eine charmante Mischung aus Lie benswürdigkeit und Grobheit. Es ist kein Zu fall, daß die Welser Messe, diese biennale Menschenansammlung, ein Volksfest geblie ben ist. Nur hier konnten sich Stadt und Land so ohne Gegensatz begegnen. Aber insoferne ist Wels ein Paradigma für Überall: die Entgren zung, die im Weichbild der Stadt sich vollzieht, geht mitten durch die Menschen dieser Stadt selbst. Bindung und Entbindung halten sich die Waage, weil die Stadt sich ebenso von sich fortbewegt, wie die Menschen in ihr. In Wels auf die Suche nach Wels und den Welsern zu gehen, heißt also, nach dem Woher und Wo hin der Stadt und ihrer Menschen fragen - in der Gewißheit und Ungewißheit des Gewese nen und des Künftigen. Abschied - einmal anders Wels ist keine Stadt des großen Abschieds. Der letzte Blick zurück, das Bewußtsein der Unwiederbringlichkeit mögen hier seltener sein als sonstwo. Das Selbstverständliche des Daseins hindert das Besondere. Gewohnheit, Gewöhnung, Gewöhnlichkeit ist vielen diese Stadt-Wohnung. Aber gerade darin liegt auch das Positive: Wels ist einem nie fremd, ist ei nem immer nah und niemand wird hier jemals das Gefühl haben, er wäre ohne Stadtführer und Polyglott ein Verlorener. Wels nimmt je den auf und es adoptiert auch den, der von überall und nirgendwo kommt. Abschied, Ein kehr, Wiederkehr verlieren in dieser Stadt ihre Dramatik. Wer aber nicht nur kommt und geht und da ist, sondern mit Neigung ein wenig in den Memoiren der Stadt selbst nachliest, dem geraten sie zu eigenen und schreiben einem ins Lebensbuch so manchen Text. 95
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