Oberösterreich, 33. Jahrgang, Heft 2, 1983

Wels — Stadt der oberösterreichischen Landesausstellung 1983 Schlösser, die Brunnen und Türme, sie alle tragen noch von fernher die Tage ihres Ent stehens in sich und trotz allem zwanzigsten Jahrhundert schwingt noch etwas von Ju gendfrische ins Alter der Zeit. Aber ebenso wie die Stadteiemente aus der Vergangenheit ins gegenwärtige Leben gerückt sind, so entrükken sie den, der die verjüngenden Jahresringe nachzieht. Dazu freilich bedarf es der Mentalität des Fla neurs, der Weile hat und die Spuren aufnimmt, nicht streng und auf geradem Weg, sondern zufällig und offen den Dingen folgend. Durchs Lederertor in die Stadt; wie eine prächtige initiale verweist dieses Denkmai schon auf das Ganze des Textes. Erst jüngst wurde die Physiognomie aufgefrischt. Das Positive solch gewiß auch notwendiger bauästhetischer Verjüngerungskuren begeg net der Negation der Tilgung historischer Strukturen. Und so müssen, in der geistigen Versenkung in die Gegenstände selbst, die Tüncheschichten wieder abgenommen, die aufgebrochenen Öffnungen wieder geschlos sen werden, muß ganz einfach Vorgeschichte freigelegt werden. Ein paar Stationen nur: 1904, am 23. März, im Gemeinderat gibt es bewegte Debatten um die Demoiierung des Turmes, der Antrag wird von G. A. Eysn ein gebracht, eine Reihe von Gemeinderäten schließt sich an - Richter, Muhr, Pioberger, Blum, Jungreithmaier, Maurhard und Eybi. Bürgermeister Schauer gibt die Steiiungnahme der Anrainer, der Geschäftsinhaber und Steuerträger des Stadtpiatzes bekannt: man erhofft sich eine Belebung dieses Berei ches. Ein grundsätziicher Beschluß zur Abtra gung des Turmes wird gefaßt. Das Schicksal scheint besiegelt. 1905,17. Februar: die Diskussion wird fortge setzt, noch immer ist eine ganze Anzahi von Gemeinderäten für die Beseitigung, aber auch Vorbehalte werden geltend gemacht und au ßerdem: das Ministerium für Kuitus und Unter richt hat sich mittlerweile vehement gegen den Abbruch ausgesprochen und stellt bindend eine Subvention für die Erhaltung in Aussicht. 1905, 3. Mai: das Biatt wendet sich langsam. Ein Ausschuß zur Erhaitung, Restaurierung und Beschaffung von Mittein wird vorgeschiagen. Aber noch agiert ein Teil des Gemeinde rates mit der Spitzhacke. Argument: der Turm sei weder sehr ait, noch schön, aber ein emi nentes Verkehrshindernis. Letztendiich räu men aber die ab 1906 anfaiienden Beihilfen des Ministeriums die Bedenken aus, vieiieicht oder doch wahrscheinlich haben sie bei man chen die Absicht nur verdrängt. Die Fakten, die G. Trathnigg in den Archivaiien für die Wei ser Kunsttopographie zusammengestelit hat, sollten nur ein Beispiel geben, wieviel Un sichtbares auch in der Existenz der Dinge steckt, so existenzieii bedingend es auch ietztiich sein mag. im weiteren Zurückgehen hinter die aktuelle Präsenz begegnet man dem Brand von 1771, dem die Kuppel, die erst 1687 erneuert worden war, zum Opfer fiel, man kann nicht vorbei am Jahre 1618, in dem durch den Einfaii des Passauer Kriegsvoikes Turm, Stadtmauer und Wassergebäu schwer in Mitieidenschaft gezogen wurden. 1616 bis 1619 wird der Wiederaufbau durchgeführt. Und schließlich - in den innersten Jahresringen steht die Zahl 1474 - als erste urkundliche Er wähnung. Ausdruck Die Erinnerung ans Entwirkiichte einer Stadt verschränkt sich mit dem innehaiten am Ver wirklichten, an dem, was wirklich - in der le bendigen Stadtgestait- erinnert: es ist die Er innerung an die Wirkiichkeit seibst, wie sie im Ganzen der Stadt zum Ausdruck kommt. Stadtganzes? Ein immer sich erweiterndes Gefäß, mit stetem Zufluß und offenen Stellen, durch die die Zeit verrinnt. Was ist heute die Signifikanz, die Physiognomie dieser Stadt, was drückt sie aus in ihren Gesichtszügen? Aite Städte, sagt man, tragen ihre Befindlich keit zur Schau, sind heiter oder ernst und die schönsten von ihnen schenken zuweilen ein Lächein. ich glaube, auch Weis lebt noch an seinen verborgensten Steilen in solcher Befindlich keit, aber man muß die Winkel wissen, die un beachteten und vergessenen Zufiuchtsstätten, in denen die Stadt zu sich seibst kommt. Manchmal, in feiertägiger Stille, ist dann so etwas wie Glück zu spüren, an jenen seltenen Ruhetagen der Stadt, an denen der Wandel innehält. Sonst aber prägt Weis, wie kaum eine andere Stadt dieser Größenordnung, Veränderung, die das eben erst vertraute Ge sicht durchfurcht, dann wieder glättet, entstellt und neu herstellt. Und von allen Seiten ein an deres Biid: von der Rieder Fernstraße kom mend stößt man ins Zusammengewürfeite, Aggiomerierte der neuen und neuesten Stadt teile, mühsam sich festhaltend an der Signifi kanz der doppeitürmigen Herz-Jesu-Kirche, die noch immer aiies Profane überragt. An schönen Föhntagen setzt dann die Kette der Aipen dem Stadtgesicht einen bizarren Hut auf. Oder von der Thaiheimer Höhe mit Bück nach Norden, von hier steht man der Stadt gegen über, vis-ä-vis, en face. Es ist der Ausdruck der Bedrängnis, aber auch der Ausdruck des Ausgriffs und Eingriffs. Noch dominieren aus dieser Perspektive die alten Symbole, aber die Durchmischung, die Konkurrenz der Zeichen geht voran. Die erdrückende Quantität des Neuen freilich bedarf des historischen Kerns. Nur an ihm findet auch das ganz frisch aus dem Boden Getürmte seine Identität. ■ Foto BundesFoto: 1 Der Autor auf der Lipizzanerstute ,,Cieo" in der Aipenjägerkaserne Weis 1959 Unbekannte Stadtidyiie 2 Fabrikstraße. - Foto: Bundesdenkmaiamt Wien 3 Stadtpiatz Nr. 64, Rückfront. • denkmaiamt Wien 4 Stadtpiatz Nr. 19, Arkadenhof. ■ Bundesdenkmaiamt Wien 5 Stadtpiatz Nr. 19, Arkadenhof, Gang im 1, Stock. - Foto: Bundesdenkmaiamt Wien Gegenübersteiiung 6 Semmeiturm mit Standbiid Kaiser Josephs II. (errichtet 1884 vom Oö. Bauernverein, 1939 neu aufgestelit im Burggarten, seit 1981 vor dem Eingang in die Burg. - Foto: Werkgarner 7 Semmelturm, 1958 abgetragen, an seiner Stelle Hochhausneubau, daneben ehemalige Spitalskirche, 1784 profaniert, später Theater, jetzt Geschäftshaus. - Foto: Bundesdenkmaiamt Wien Stadtplatz und Ringstraße 8 Stadtplatz Nr. 16-11, Fassaden. Foto: Bundesdenkmaiamt Wien 9 Ringstraße 28, 26, 24, 22, 20, Fassaden. - Foto: Bundesdenkmaiamt Wien 10 Links vom Wasserturm ,,Badhaus", Am Zwinger 26, abgetragen 1976. - Foto: W. Jungmeier 92

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