Oberösterreich, 33. Jahrgang, Heft 2, 1983

Kunst der Gegenwart Kleinsten für den Bau des Großen, des Gülti gen. In der Kunst entspricht das Schreiben, das Üben und Gestalten von Formen und Rhythmen der Buchstaben zu einem Bild, zu einer Aussage, dem gleichen Gesetz. Es gilt, mit subtiler persönlicher Einfühlung die Vielfalt der Formen und Bewegungen in organischer Ordnung zu einem rhythmischen Ganzen zu verbinden, erfüllt vom Geist des Textes, denn das Wort formt die Schrift - und die Schrift formt das Wort. Aus einer vollkommenen Ver bindung von Sinn und Form entsteht-auf dem Wege über das Richtige - das Schöne, das Gute, das Wahre. Viele mit sicherer Hand ge formte und mit dem Takt des Blutes rhyth misch geordnete Buchstaben ergeben die Aussagen, die den Menschen erreichen, auf die er wartet, die ihn führen und bilden. Wenn man die Schrift so betrachtet, wird sie aus der Sphäre der bloßen Mitteilung heraus gehoben in den Rang einer Wissenschaft, ei ner Philosophie; denn sie schließt auch die Ethik ein, als Wertfaktor des Menschen. Die ser edle Drang zur Vervollkommnung, dieses aus reinen Herzen gestellte Streben, wird den Schreiber zu eigener Reife und Harmonie füh ren, ihn einsichtsvoller machen, um über seine Erkenntnisse zu innerer Bescheidenheit und Stärke zu gelangen; es wird seinen Charakter und seine Persönlichkeit gründen. Rudolf von Larisch sagte schon: ,,Die Pflege des Schriftschreibens ist also eine wichtige, eine die Allgemeinheit tief berührende Ange legenheit. Sie gehört in allen Schulen an her vorragender Stelle. Schriftschreiben sollte je dermann, ob er es praktisch verwerten kann oder nicht. Kann doch die Schriftbetätigung Glücksgefühle schenken, sie kann erheben, sie kann seelische Ruhe bringen." Ziele also, die später aus tieferer Ermächtigung zu im mer neuer Neugeburt befähigen, der Welten Herr zu werden, die wir zu erobern oder zu er gründen uns anschicken. Nachwort der Redaktion In den Jahren 1961 /63 fertigte Friedrich Neu gebauer eine Eisenätzung mit dem Thema ,,Gedanken über die Schrift" an. Diesen Titel möchten wir auch dem Referat voranstellen, das der Künstler bei der Eröffnung seiner Aus stellung ,,Schrift und Kunst" im Stadtmuseum Linz-Nordico am 4. November 1982 hielt. In halt und sprachliche Formulierung dieses Vor trages haben uns so beeindruckt, daß wir Friedrich Neugebauer um die Erlaubnis des Abdruckes in unserer Zeitschrift gebeten ha ben. Wir danken für seine spontane Zusage, wie auch für die Bildbeispiele, die er zur Verfü gung gestellt hat. Diese ,,Gedanken über die Schrift" sagen über den Künstler und Menschen Friedrich Neugebauer mehr aus als fremde Worte. f'iiiümli llolMiii mi'fciiCMilai imhiiH iiipami' ) miNniM'rnrRWBiHK 'rnkh /IrmiUMoiißlMii M mimi Hwi ■fdk C mii l C IMMrCMiilic nilmai(likU' ^ mkiclmiiit'RiMfm uöfc Siiilüi- ''imoB'lo SWtiiiBilmoiiicißmßlliilai-' III iimiiirCii'fu iiitU mc lifliaiAnkii UKliai in Üa' avhia'kliiiU Dmti uns Iii 0111' lifiniUiiiesmim OnnUciiiniiitm' wie Wulf'fmkSImc wffi' Innentitel und Buchselte einer Buchhandschrift. Persönliche, schmalgezogene Kursiv mit gotischem Duktus. ,,Schräge" Feder. Linke Seite rotschwarze, rechte Seite grüne Schrift auf Büttenpapier. Entnommen dem Lehrbuch von Friedrich Neugebauer: Kalligraphie als Erlebnis, 2. Auflage 1981 Für unsere Leser möchte ich ledigiich einige biographische Notizen über den Künstler mit teilen. Friedrich Neugebauer wurde am 16. Novem ber 1911 in der mährischen Ortschaft Kojetein geboren. Er studierte Schrift- und Buchgra phik zunächst an der Kunstgewerbeschule in Breslau und von 1932-1935 an der Kunstge werbeschule des österreichischen Museums für Kunst und Industrie (so die damalige Schulbezeichnung). Seine Wiener Lehrer wa ren Rudolf von Larisch, Oskar Strnad, Wilhelm Müller-Hoffmann, bedeutende Namen. Fried rich Neugebauer denkt mit großer Dankbarkeit an diese Wiener Lehrjahre zurück. Eine tiefe Zäsur brachte für ihn, wie viele an dere, der Krieg mit Kriegsgefangenschaft 1944-1947 in Italien und später Ägypten. Seit 1947 lebt er in Geisern. Dort hat er Wurzeln geschlagen, dort hat er mit seiner Familie eine neue Heimat gefunden. Bereits 1949 kam er mit Linz in Verbindung, zunächst als Honorar lehrer und später als Leiter einer Meister klasse der Kunstschule der Stadt Linz. 1973 erfolgte seine Berufung an die eben erst ge gründete Hochschule für künstlerische und in dustrielle Gestaltung in Linz. 1982 war das Jahr seiner Emeritierung aus dem Lehramt. Nun ist der Künstler wieder ganz frei für seine ureigensten künstlerischen Ziele. Bedeutend ist sein Lebenswerk als Schriftgra phiker, als Lehrer und als Verleger. Friedrich Neugebauer hat in Linz eine ganz eigene Tra dition der Schrift- und Buchpflege begründet. Wie einzigartig diese Leistung ist, sagen am besten vielleicht Worte, die ich für eine Aus stellung von ihm schrieb: ,,Ein Besuch in seiner Werkstatt gieicht einer Begegnung mit der Tradition mittelalterlicher Schreibschulen. Wie ein Mönch schreibt der Künstler des 20. Jahrhunderts selbst noch auf Pergament seine Handschriften mit christli chen Texten und Kostbarkeiten der Dichtung. In der englischen Gefangenschaft befreite sich der Künstler von der Not des Alltags mit Handschriften, wie ,Blüten und Zweige aus deutscher Seele' oder,Lieder und Weisen aus deutschen Landen' oder ,Per aspera ad astra'. Damals mußte er sich primitiv behelfen, heute stehen ihm Pergament und Gold zur Verfü gung, um in der Demut des Schreibens den Anruf der Kunst zu erfüllen. Oft benötigt er - nach eigenem Zeugnis - zwei bis drei Stunden, um eine goldene Letter auf das Pergament zu bringen. Schrift ist ihm eine Möglichkeit, künstlerische Formen zu schaffen, wie ein Maler seine Bilder malt oder ein Bildhauer seine Plastiken model liert. Immer wieder mündet aber jedes Bemü hen in den Dienst am Buch." Otto Wutzel 68

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