Oberösterreich, 33. Jahrgang, Heft 1, 1983

Wolfgang Lanzinger Staublunge Nun war er doch durchleuchten gewesen, Gott sei dank konnte ihm dabei keiner aus der Runde zusehen. Zuerst hat er ein Formular aus füllen müssen, dabei hat er aus Unachtsamkeit einen Fehler gemacht, er ist doch kein Trottel, jedenfalls hat er einen glühroten Kopf be kommen, die blöde Gans an der Tippmaschine hat es genossen und er wäre am liebsten davongelaufen wie immer. Das zweite Formular ist dann gelungen, ,,macht ja nix, wir haben genug davon", hat die blöde Gans auch noch gesagt, mit einem richtig unangenehmen Un terton, er hat ihn jedenfalls herausgehört. Am besten wäre beschwe ren. Während er dann warten mußte, bis seine Nummer aufgerufen wurde, überlegte er solches immer wieder, beschweren, richtig be schweren. Jeden Satz seiner Beschwerde hat er dann auswendig gekormt, als er aufgerufen wurde, beim Hineingehen wiederholte er sie im Geist immer wieder, und dann war weit und breit kein Doktor zu sehen. Eine weitere blöde Gans, zwar nicht mehr so blöd wie vorhin, trotz dem auch blöd, sicherlich hat ihr die andere schon längst von seinem Mißgeschick erzählt, sie führte ihn schließlich an den Apparat heran. Vorher mußte er den Oberkörper frei machen. So etwas störte ihn an imd für sich schon. Sich vor einer fremden Weibsperson ausziehen zu müssen, nicht, daß er sich priit seiner Figur schämen mußte, trotzdem. „Fest einatmen und Luft anhalten, bis ich aus sage", die Platte war hirchtbar kalt. ,,Bitte draußen warten und noch nicht anziehen." Duzi saß allein in der Kabine und kam sich blöd vor. „Und ich werd' mich trotzdem beschweren, diese Gans", der Gedanke ließ ihn rücht los. Ganz unerwartet ging die Türe auf und der Doktor stand vor ihm. Er sprach nicht viel mit Franz, machte ein besorgtes Gesicht, wie es Ärzte immer tun, wahrscheinlich kommen sie bereits mit so einem Gesicht auf die Welt. Franz versprach sich oft, wurde vor jeder Ant wort rot und atmete erleichtert auf, als er endlich draußen war. Der junge Tuter, tut ohnehin den ganzen Tag nichts und verdient ei nen Haufen Geld, so eine ungerechte Welt. Mit seinem Kleinwagen kutschierte er noch etwas durch die Stadt, überlegte, ob er noch was essen sollte, beschloß dann jedoch zurück zufahren. Er war an diesem Morgen einer der ersten in der Werkshalle, nur der Sepp, ein überzeugter Erühaufsteher, war auch schon anwesend. Na, was hat der Doktor g'sagt, stirbst scho'? Immer wieder die alte stereo type Frage, sie fiel ihm schon auf die Nerven. Dabei konnte er den Sepp sehr gut leiden, er war einige Jahre älter als er und hatte in sei nem Leben bereits sehr viel Pech gehabt. Er sah auch alt und abge kämpft aus. Am besten konnte man das bemerken, wenn er so wie jetzt im Halbdunkel stand. Er reparierte mit großer Sorgfalt seine neue Maschine. Auch Franz hatte eine neue erhalten, weü er zu den Fleißigsten gehörte, nie Blaumachen oder so, stets bereit für das Werk. Obwohl er schon enttäuscht war, als der neue Vorarbeiter ein anderer ^worden ist, mit einem Wifi-Kurs, furchtbar g'scheit. Der Werkmeister hat dann anscheinend seine Enttäuschung gemerkt und seinen Zorn mit der neuen Maschin' abgeschwächt. Trotzdem war er traurig, denn dem Werk gehörte seine Liebe und auf die Wifi-Kurse schieß er sowieso. Alle hatten momentan das Kursfieber, zum Wei terkommen und so, jeder wollte ein Chef werden. Er lehnte das ab und der Sepp auch, drum mochte er ihn. Er putzte seine Maschine und bemerkte, daß damit gestern einer ge arbeitet haben mußte. Sein Zorn stieg ins Unermeßliche. Irgendso ein Stümper hat mit seiner Maschine gearbeitet - Arschlöcher, alles Arschlöcher, murmelte er vor sich hin, sagte aber nichts, denn das hat ihm der neue Vorarbeiter eingebrockt und der wartet doch nur auf eine Reaktion von ihm. Wollte ihn unbedingt schlechtmachen vor den Chefs. Den Gefallen wollte er ihm nicht tun. Er hielt sich zurück. 94 Denn die von der Gewerkschaft sind genau solche Arschlöcher und stecken sowieso alle unter einer Decke. Zweimal hatte er sich be schweren wollen über das lächerliche Mandl, jedesmal wurde sein Ansuchen abgelehnt, denn persönliche Eehden soUe er gefälligst sel ber ausmachen, und dann hat er den Fadinger-Hansl, diesen Be triebsratsdeppen, auch noch beim Sparberwirt mit den Vorarbeitern saufen g'sehn, seither muß er sich überhaupt zurückhalten. Fein is' es her mit der Betriebsdemokratie. Schon zum zweiten Mal unterbrach Franz seine Arbeit, weil er es vor lauter Husten überhaupt nicht mehr aushielt. Der Schmeil, ein Neu er, blickte angstvoll hinter seiner Maschine hervor. Es hatte etwas Ge spenstiges an sich, wenn man den Hustenanfall eines Menschen mit ansehen mußte, durch den Lärm jedoch kein Wort verstand. Nach dem Franz bemerkte, daß er beobachtet wurde, begann er hastig wie der seine Arbeit aufzunehmen. Er spuckte den Speichel ganz einfach vor sich hin. Hier sah ohnehin keiner mehr was. Der Staub war schon so dicht geworden, daß man sich beim Atmen schwer tat. Auch der Wifi-Arsch hatte kurze Hustenanfälle. Jeder hatte sie, jeder schien sie vor den anderen verbergen zu woUen und keiner konnte sie verber gen. Die Älteren versuchten ständig den Jüngeren zu zeigen, wie wi derstandsfähig sie durch all die Jahre bereits geworden waren. Franz war besonders empfindlich, wenn man ihn auf seine Husterei hin an sprach. Er spuckte wieder aus, diesmal leicht rosa, und weü er genau wußte, was jetzt kam, ging er schnell aufs Klo, damit die anderen nichts sa hen. Franz ließ langsam die Klosettüre zufallen, er war nicht mehr imstan de, auch nur noch einen Meter weiterzugehen. Er lehnte dort zu sammengekauert wie ein Häufchen Elend, nicht mehr diese impo sante Gestalt, nichts mehr von Jugendlichkeit, nur mehr das asch fahle graue Gesicht, jeder Hustenanfall schien ihn um Jahre zu altern. Ohne aufzublicken, bemerkte er, daß sich jemand näherte. Er kauerte im Eck, nicht imstande gerade zu stehen, den Husten im Körper, den Schleim im Mund, dazu seine Verzweiflung, das Wissen, die Sicher heit um die Krankheit. Er blickte nicht auf, nicht einmal einen kurzen Moment, ganz im Gegenteil, er senkte den Kopf noch mehr, so als wolle er seine Änwesenheit verleugnen, er wollte nicht sehen, wer ihn da in seiner Not beobachtete. Erst als der Körper ganz nah an seinen herangekommen war, konnte er an der Hose erkennen, wer vor ihm stand. Diese helle Hose, die sich so oft zu nähern versuchte, jedesmal abrupt abgelehnt wurde. Nun war er froh, daß es gerade die helle Hose war und keine andere. Es war der junge Schmeil. Franz begann erneut zu husten, Schleim lief aus seinem Mund, rötlich gefärbter Schleim. Schmeil bückte sich, hob die Kappe von Franz auf, stützte den Körper ab und brachte ihn in den Äufenthaltsraum. Noch hatte niemand das Fehlen der beiden bemerkt. Schmeil sagte nichts. Worte wären hier ohnehin überflüssig gewesen, sie hätten nur gestört. Endlich, nach einigen Minuten, hatte sich der Zustand von Eranz gebessert. Äber die Ängst, daß nun bald alles aus sein könnte, die blieb. Die Verzweiflung war so groß, daß er zu heulen begarm. Es war Ihm egal, ob der junge Schmeil da saß oder nicht. Der Schmeil tat, als sähe er nichts, ihm war schrecklich zumute, er sah hier seine eigene Zukunft vor sich. Sicherlich konnte er noch viele Jahre ohne die ersten Änzeichen überstehen, aber auskommen würde er so wenig wie all die anderen vor und nach ihm. Keiner war ausge kommen, nicht einmal die, welche die Pension erreicht hatten. Dem Staub und seinen Folgen war nicht zu entkommen. Er wollte nicht mehr zurück, nicht mehr in die Halle, nicht mehr den Staub schlucken, nicht so werden wie der Kurt, der Andi, der Karl

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