Historische Kunst Meister der Plastiken eine zwiespäitige Hal tung, er weist hin zu älteren Vorbildern und versucht sich bereits im Neuen. Bei den Re liefs wurde der Horizont bis über die Köpfe der Figuren gezogen, der Himmel als Atmosphäre wurde vollständig eliminiert, ein schwacher Goldstreif unter dem Rankenvorhang erinnert an ihn. Die Donauschule sorgte nun wohl für die Felsdramatik, für die ,,dolomitenhaft" auf getürmten Felswände- und -Schluchten, auf denen winzige Architekturen aufgebaut sind. In ihrer so symbolisierten Entfernung vom Er eignis lassen sie noch etwas von romantischer Raumerzählung spüren, dem Gebertshamer Meister gelang mit seinen Felsstrukturen eine Abbreviatur der Naturromantik (Entfernter An stoß mag für all diese Erscheinungen Albrecht Dürer mit seinen Steinbruchbildern aus den Jahren vor 1500 gewesen sein). Diese Praxis - sehr gekonnt und entschieden übrigens - verbindet unseren Meister mit den Reliefs des Meisters des Flügelaltars der Prager Teynklrche^® (ca. 1520), aber auch mit der plastischen Bergabkürzung, die nichts von ihrem Schau wert verloren hat, die der Meister des Altars im Passauer Oberhausmuseum (1519)^® ver wendete. Die gleichsam aufgeklappte Land schaft, die Landschaftstafel, auf der erzählt wird, war ein allerorts angewendetes spätgoti sches Prinzip (Veit Stoß ebenso wie der Mei ster von Gampern). Recht kraus wird dann auf dieser Tafel geschildert: Häuser, Tiere und Menschen. Tilman Riemenschneider machte eine große Ausnahme: wohl noch unter dem Einfluß Reglers van der Weyden ordnet er Fi guren, Architekturen und die sparsame Land schaft in ein streng gefügtes Linearsystem (Creglingen^^). Von dieser sehr disziplinierten, letztlich wesentlich aussagekräftigeren Schil derweise hat unser Meister gelernt. Er nähert sich hier- auch die leicht anklingende Parallelisierung der Falten zeigt in diese Richtung - der geklärten Stildiktion einer Gruppe von Werken, die dem sogenannten Meister von Ottobeuren zugeschrieben werden.^® Seine Hauptarbeiten fallen In die Jahre von 1510-1530 und weisen in jeder Hinsicht den Geist deutscher Frührenaissanceplastik; die im Stift St. Peter aufbewahrte Tafel mit Chri stus am ölberg von ca. 1520®® - sie wird mit dem Augsburger Kunstkreis in Verbindung gebracht - kann eine gewisse Vorstellung da von geben, wohin unser Meister tendierte und vielleicht auch in einem späteren Oeuvre ge kommen sein mag. Sehen wir aber noch kurz zur Werkstatt des Gordian Guckh. Die Isolation der Reliefs von den Hintergrundbrettern in Gebertsham - ebenfalls häufig praktiziert-wird nun im Strei chener Hochaltar insofern verschärft, als die Reliefs der Tafeln - übrigens sehr raumhaltig, teilweise nach Vorbildern wieder Wolf Hubers - in unverhülltem Gegensatz zum punzierten goldenen Untergrund stehen-sie sind auf ihm gleichsam angeklebt. Der Altarflügel wurde somit ein neutraler Träger, ein Vehikel zur Fi xierung, an dem die Reliefs als Zitate, mu seumsartig verwendet, festgehalten wer den.®" Man darf hier wohl meinen, daß der um fassende Kosmos des Flügelaltars gerade durch ein ihm entsprechendes Komposi tionsmittel seinen Abgesang erhielt. Wir können nun weiters den Bildschnitzer et was genauer in die zeitgleiche Plastik einfü gen. Seine Frauengestalten haben rundum mit Tüchern verhüllte Köpfe, die Gesichter in dezenter, leicht lyrischer Trauer. Als Folge der Kopfumhüllung ergab sich eine ziemlich hohe Stirne - recht gut dafür der hl. Petrus In der 01bergszene. Die männlichen Gesichter weisen eine intensivere Modellierung auf, vor allem wenn sie bärtig sind - als hätte Bärtigkeit eine Durchfurchung der Physiognomie formelhaft bedingt. Sehen wir einmal den weiblichen Teil: sehr ähnliche Gesichtstypen finden wir in der Beweinung Christi am Apostelaltar (um 1520) aus der Werkstatt des Lienhart Astl in Gröbming;®^ vergleichbar die linke obere Frau dort mit den beiden Frauenköpfen in der Grable gung in Gebertsham; über den Typus hinaus gemeinsam die stille Trauer und die gewand gedämpfte Körperlichkeit. Natürlich suchte unser Meister auch nach Formeln zum Aufbau einer Figur - und bildete wahrscheinlich da nach. Wenn wir Maria vom Beschneidungsrelief vom Hailstätter Aitar des Lienhart Astl nehmen: das Durchzeichnen des Schenkels mit den damit verbundenen Brüchen, Stauun gen und Faltenflüssen - wir kommen ohne Schwierigkeiten zu den verwandten Bildungen beim Kaiser Heraklius oder bei der rechten Begleitfigur der Kaiserin Helena in der Kreuz auffindung. (Solche Formeln kennt übrigens auch Gordian Guckh selbst im Wonneberger Altar®®). Nikodemus (?) von der Grablegung in Gebertsham ist eng verwandt in Typus und Geist mit dem Hohenpriester in der Darstel lung im Tempel am Hailstätter Altar. Die Bei spiele ließen sich vermehren. Die gleichsam in die seichte Tiefenschicht des Reliefs gepreß ten Figuren entsprechen sich einerseits in Gröbming und Hallstatt, andererseits in Ge bertsham. Die konsequentere Disziplin unse res Meisters wurde bereits erkannt, das heißt, daß - wir kehren zur Linie der Gemälde zurück - die menschliche Figur, das Individuum in der Technik der Zweifigurenschicht voiltönig wir ken kann. Das gilt von der Personenaufgruppierung (übereinander) in der Kreuzigung, das gilt von der Grablegung, es gilt von den Re liefs. Die Werkstatt um Lienhart Astl Ist für die Kunstwissenschaft in ihren verschiedenen Stil- und Arbeitsweisen noch ein Forschungs gebiet.®® Erkannt wurde bereits, daß sie nur zu einem Teil unter den Begriff ,,Donauschule" gestellt werden kann. Die hier benützten Al tarwerke in Hallstatt und Gröbming stehen si cher am Rande - von den Tendenzen der Do nauschule aus gesehen. Das Arbeiten im überkommenen Rahmen ist ein Charakteristikum dafür. Diese Situation trifft ja auch für un seren Altar in gewissen Aspekten zu. Der Meister unserer Skulpturen war im oberösterreichisch-bayerisch-salzburgischen Raum gebildet worden, sensibel wie auch der Meister der Haupttafeln und schwächer der der Predellentafeln für neuen Geist, empfäng lich wie auch die anderen Meister für die künstlerische Verwirklichung eines neuen Menschenbildes; In dieser Mittelstellung, im Ausschlagen der seismischen Nadel künstle rischer Empfänglichkeit von der Spätgotik in all Ihrer Vielfalt der Reife hin zur neuen Frische der Renaissance liegt - so meinen wir - die Bedeutung des Altars in der sehr bescheide nen Kapelle von Gebertsham über den östli chen Ufern des Mattsees an der Grenze von Salzburg und Oberösterreich, berührt vom Atem des weiten bayerischen Landes. 68
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