Oberösterreich, 32. Jahrgang, Heft 4, 1982

Historische Kunst Der Altar von Gebertsham Johann Apfelthaler Der Weihetitel hl. Kreuz der Kapelle In Ge bertsham^ hat die Thematik des spätgotischen Flügelaltars bestimmt. Seine Vorder- und Rückseite sind primär Szenen aus der Pas sion. Ist der Schrein geöffnet, so sehen wir die Kreuzigung mit den beiden Schächern, die zu sammengesunkene Mutter Gottes, Maria Magdalena das Kreuz umklammernd, den auf Christus welsenden Hauptmann (,,Vere hic homo flllus del erat" Ist nach Markus 15, 33 zu ergänzen) und weitere Ässlstenzflguren. Über dem Untergrund der Kreuzigung sind dem Geschehen nachdenklich verbundene Männergestalten gemalt. Der zeltliche Duktus der Erzählung beginnt mit der rechten oberen Tafel der geöffneten Flü gel: die Auffindung des hl. Kreuzes durch die Kaiserinmutter Helena.^ Es Ist der Moment dargestellt, in dem (zwei?, nicht genau er kennbar) Kreuze durch den Arbeiter (nach der Legenda aurea wäre es der Jude Judas, der von seinem Vater her um den Platz wußte) aufgedeckt werden, während Helena mit zwei Begleitern zusieht. Die linke obere Relleftafel setzt die Legende fort: nach der Legenda au rea zum Feste Kreuzerhöhung entführte der Perserkönig Cosdras (Chosrau II.) einen Teil des hl. Kreuzes aus Jerusalem; der über Ihn siegreiche byzantinische Kaiser Heracllus (Heraklelos I.) wollte es Im Triumph In der Pracht seiner kaiserlichen Gewänder In die Stadt zurückbringen, wurde aber durch einen Engel über dem Tor, der ebenfalls ein Kreuz hielt, daran gehindert: nur ein dem Herrn In Demut gleicher Fürst dürfe dies unternehmen; mit dem Hemd bekleidet konnte dann Hera cllus das Kreuz durch die wiedergeöffnete Pforte bringen. Unter diesem Bild sehen wir Christus am ölberg mit zwei schlafenden Jüngern (Petrus mit dem Schwert und Johannes erkennbar), der Kelch weist auf die Bitte des Herrn, das Leiden vorübergehen zu lassen. Rechts oben nähern sich bereits die Häscher durch ein kleines Tor. Die Zeltfolge führt vpn der linken unteren Tafel zur rechten unteren: Christus unter dem Kreuz, hinter Ihm Maria und Johannes (offen sichtlich) und der helfende Simon von Cyrene. Der Zyklus der Gemäldereihe Ist eingespannt zwischen der letzten Erzählung der linken Schnitztafel, dem ölberg, und der rechten, der Kreuztragung. Das heißt also Gefangennah me, dann unten die Geißelung, anschließend Dornenkrönung und abschließend Ecce homo, der letzte Akt vor der Kreuzigung. Das Leidensprogramm wird von Heiligen be gleitet. Die Abbildung des Leidens Christi ge schieht In der Zelt der Spätgotik, der ausklin genden Phase dieser Zelt, außerordentlich häufig, die Hinführung des Betrachters zu ei nem persönlichen, ergreifenden Erlebnis war etwa bei den Stichen und Holzschnitten Al brecht Dürers eine sehr Intensive. Im Gebertshamer Altar wurden dem betenden Be trachter bekannte Tatsachen In friesartiger Lesemögllchkelt entgegengehalten, eine Summe von Einzelereignissen, die einen hellsgeschlchtllchen Komplex bilden. Etwas anders verhält es sich nun bei der Hinterselte: hier sah sich der Umschrelter^ des Altars plötzlich In Konfrontation, In einem personalen VIs-ä-vIs dem auf einem Tuch abgedrückten Antlitz Christi, das In der Allgegenwart seiner Frontalltät als unübersehbarer Anspruch er schien (was bei den Erzählbildern übergangen werden konnte). Hier wurde das Vorbeigehen sehr geschickt zu einer Entscheidungsange legenheit erhoben. Die Abfolge der Bilder ging also von Aufzählung historischer Ereignisse hin zur persönlichen Ergriffenheit. Ebenso wie die Darstellung des Leidens Christi war auch dieser Zyklus, der Innere und äußere Dynamik forderte, hier in Gebertsham nicht ein Sonder fall." Der mit der Werkstatt des Gordian Guckh,® daraus ja unser Altar herrührt, ver bundene Altar In Streichen (Oberbayern) zeigt nach Bildern der Passion und Kindheit Christi an der Hauptschauselte, auf der Hinterselte In einer großen Tafel Christus am ölberg und darunter das Schweißtuch der Veronika; der Feldkircher Annenaltar Wolf Hubers an seiner Hinterselte die Beweinung Christi und darun ter das von Engeln gehaltene Schweißtuch; besonders Intensiv und gleichsam dupliziert zeigt dieses Motiv schließlich der kleine Altar In der Pfarrkirche von Krenstetten: unter ei nem sehr qualitätvoll gemalten stehenden Schmerzensmann vor dem leeren Kreuz wie der das Antlitz Christi. Der Altar von Geberts ham wurde aber auch In der Vertikalen ver klammert: In der ,,Höhle" der Predella findet die Grablegung statt, das Passlonsmotiv klingt dann aus Im Gesprenge mit dem seine Wun den zeigenden Herrn, Maria und Johannes Ev. Nachdem ja Christus seine Wunden erst nach der Auferstehung weisen konnte, Ist so also hier die Uberwindung des Leidens Im zart auf gelösten, mit Atmosphäre erfüllten Ranken werk dargestellt. In einer vom einfallenden Licht verklärten Zone im Trlumph. In Streichen steht der Auferstandene zwischen Georg und Florian, eine etwas verwässerte, aber Im we sentlichen übereinstimmende Situation. Nicht allein für die Werkstatt Guckhs, sondern In breiterer Basis wird man einen theologischen Konzeptor annehmen dürfen, der auch die Psychologie der Szenenfolgq plante. Es sei hier erwähnt, daß sowohl über dem Sakristei portal in der ehemaligen Stiftskirche Mondsee, als auch (vor dem Verlust der Figuren 1945) über dem Portal der Margarethenkapelle Im Salzburger Petersfrledhof der die Wunden zeigende Christus begleitet von Maria und Jo hannes sich befand, der Leidensgedanke mit dem Sinn des Leidens In der Verklärung ver bunden.® Es wurde schon seit langem festgestellt, daß Entwürfe Albrecht Dürers das Vorbild für ein zelne Tafeln des Altars abgegeben haben. Für die Geißelung, die Dornenkrönung und Ecce homo wurden die entsprechenden Bilder aus der Kleinen Kupferstich-Passion genommen (1507-12)^; für die Gefangennahme der ent sprechende Holzschnitt aus der Großen Pas sion (erschienen 1511). Die Erkennbarkelt des Vorbildes Ist eine unmittelbare, es bedarf kei nes langen Suchens. Für den Altar ergibt sich damit ein relativ sicheres Datierungsdatum nach 1515, aus anderen noch folgenden Ar gumenten genauer um 1520. Für die Hauptta feln scheint eine Künstlerpersönllchkelt ver antwortlich gewesen zu sein, die Werke las sen sich durch Farbgebung und einen ,,ge glätteten Stil", der sich dem Renaissanceemp finden® nähert, zusammenschließen. Hierher gehören die Passionstafeln, die Bischofshelllgen (links Wolfgang und Dionysius, rechts Ul rich und Blasius; also jeweils zwei Bekenner bischöfe salzburglsch-bayerlscher Bedeu tung, und zwei Märtyrerbischöfe aus der Folge der Vierzehn Nothelfer, eine gerade wieder Im Spätmittelalter besonders beilebte Gruppe) und schließlich das Schweißtuch Christi an der Hinterselte des Altars; wegen des schlechten Erhaltungszustandes Ist diese Zuschrelbung problematisch;® außerdem noch die gemalten Zuschauer an der Kreuzigung. Dieser Meister hat nun bei der Verwendung der Stiche Ubersetzungen vollzogen, die sich naturgemäß aus dem anderen Medium erga ben, die aber zugleich eine andere künstleri sche Absicht zu erkennen geben. In der Ge fangennahme z. B. wurden die Luftatmo sphäre und die Zahl der Personen merklich verringert, die dramatische Schwere des Ge schehens aber lapidar verstärkt und vertieft, der Detallreallsmus Dürers, der beinahe an Expressionismus Im Sinne des Gesamtereig nisses heranreicht, wurde zugunsten dieser Personaldramatik aufgelassen. Der bereits bei Dürer ausdrucksstark formulierte Baum mit dürren, auseinanderstrebenden Asten - ein Symbol der über die Mißhandlung des Herrn der Schöpfung In Schmerz verzerrten Natur - wurde nun über eine vermittelnde Hä scherfigur mit der sich zurückstemmenden Ghrlstusgestalt zu einer einzigen (,,barokken") Gegenbewegung zusammenkomponlert.io Die räumlichen Differenzen blieben aber erhalten. Thematisch wäre die hier als Widerstreben gedeutete Haltung des Herrn (am ehesten dem Text bei Matthäus ent sprechend, doch müßte dazu eine zeitgenös sische Kommentierung befragt werden) dem gemäß eine Innere Folge der ölbergszene, hier wäre auch das,,Mißverständnis" des Kal63

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