Aus: Dennochbrüder. Eine Vision IX. Wenn einst auf meine Gläser sich die Zeit Als graue Schichte niederschlägt, geweiht Durch Sturm und Regen ein Jahrtausend hin. Ob ich dem Enkel noch ein Name bin? Vielleicht, daß einer meinen Pinsel ahnt, Das fremde Schwarzlot und den späteren Brand, Daß eine alte dürre Schrift allein Mich nennt, etwa nur einer Kunde Schein. Vielleicht daß alles längst in Trümmer fiel: Das Haus, die Scheiben; ein verbrauchtes Spiel; Belächelt, nur von Sammlern mehr bedacht Wie eine fremde, überholte Tracht. Ob einer dann von unsern Leiden mehr Denn eine Zahl weiß, noch ein Ungefähr Von Namen, Völkern? Ob mein Wort ihn trifft Wie eine abgegilbte Rätselschrift? Ihr späten Enkel, wer euch fassen kann! Das Tägliche, die Masse, euren Wahn! Steht irgendwo noch ein Ruinendom? Sind wir euch fremder denn Athen und Rom? Ob ihr die frommen Bilder noch versteht? Vielleicht daß einer dann in sein Gebet Auch meine arme Seele aufnimmt und Mein Lied bewahrt als seltsam dunklen Fund, Darin sich träumen läßt. Ob er erschrickt. Wenn ihn mein Auge brüderlich anblickt Und meine Gottgewißheit als ein Lot In seine Seele sinkt und Seelennot? Bis er auf Ihn trifft, der da ewig war Und ist und sein wird, immer offenbar Durch diese Scheiben, als das wahre Licht. Zu Seiner Ehre sang ich dies Gedicht. Die Dennochbruderschaft, kein eingeschriebener, kein polizeilich zugelassener, kein von einer kirchlichen Behörde subventionierter Verein. Keine politische Partei oder Untergruppe, keine Vorfeldorganisation, keine Verschwörergruppe. Weder Orden noch Kameradschaft. Keine geheime, keine offene Gesellschaft, überhaupt keine. Keine Gemeinschaft von Ellenbogenleuten, Wirtschaftsbossen, Intellektuellen, nicht einmal von Idioten. Nichts als die statistisch nicht erfaßbare Minderheit deiner Zeitgenossen, die unser Menschsein noch immer nicht absurd finden, sich nicht als Zufallsprodukte erfahren, noch immer einen Gott für möglich halten, der unsere zum Selbstmord entschlossene Gesellschaft dennoch begnadigen wird. Dennochbrüder, einer, der Gott auch in diesem Jahrhundert gegen die gescheitesten Leugner, die fragwürdigsten Theologen an sich selbst erfahren hat, den ansprechbaren, den lenkenden, den immer weder zerstörenden und fügenden Gott. Einer, der Regeln nicht verachtet, doch allen, die allein nach Regeln entscheiden, mißtraut: Tyrannen, Fünktionären, allen Unfehlbaren, Unbelehrten, Selbstgewissen, Selbstsicheren, Selbsterlösern. - . :ru, 92
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