Oberösterreich, 32. Jahrgang, Heft 2, 1982

Patienten behandelt, der über ein paar Schläuche künstlich ernährt wird. Vergeblich versuche ich aus der Postleitzahl, unter der mich Briefe in diesem Ort erreichen, einen Zusammenhang mit seinem Namen her zustellen. Das Geheimnis ist geheimnislos. Wie der mittelalterliche Schreiber fühle ich Hochmut in mir, wenn ich nun die Zahl hinsetze, so der Computer nennet, so das Amt heißet - als ob nicht auch ich an der Schreibmaschine und nicht am mönchi schen Pult säße und nicht wüßte, daß der Preis für die Menschen würde die Preisgabe der Geheimnisse ist, hinter denen sich allzuoft grausame Macht verbarg. Der Ort wird, wenn nach ihm gefragt wird, als Wohnort bezeichnet, mit folgendem Doppelpunkt, auch als ordentlicher Wohnsitz. Im Ge brauch dieser so formulierten Frage liegt bürgerliche Korrektheit. Einen ordentlichen, einen festen Wohnsitz soU der Mensch auch heutzutage haben. Der Ort, an dem er erreichbar und greifbar ist. Aber das Ordentliche wird dabei nicht näher erklärt. Der ordentliche Wohnsitz schließt das Unordentliche, das Provisorische, das Unseß hafte aus. Wer keinen ordentlichen Wohnsitz hat, der ist unsteten Aufenthaltes, ein Vagabund, ein Herumtreiber. Die Behörde schätzt das nicht, und die Mitmenschen mit ordentlichen Wohnsitzen trauen so einem schon alles mögliche zu, alles mögliche nur nichts Anständi ges. Denn ein anständiger Mensch hat einen ordentlichen Wohnsitz. Derselbe ist identisch mit seiner Anschrift. Wo kleinere Häuser ste hen, herrscht noch das Gleichgewicht von Namen und Zahlen. Post leitzahl und Ortsname, Straßenname und Hausnummer, zwei zu zwei. Steigt die Bebauungsdichte und damit die Menge der ordentli chen Wohnsitze im begrenzten Raum, so überwiegen in der Anschrift bereits die Zahlen. Der heutige Staat mischt sich rücht in mein wirkliches Leben ein. Er fragt nicht, wo ich daheim bin, wo meine Heimat ist. Denn Wohnort und Anschrift, bitte genau und vollständig ausfüllen, sind ja nicht Heimat. Selbst wenn ich daheim bin, weiß noch niemand, ob ich mich auch daheim fühle. Ich sage das Wort Heimat ganz unbefangen und bin eigentlich er schrocken, als mir die Freunde und Hüter der Literatur und des Gei stes im weitesten Sinne die Termine nannten, binnen derer das Wort Heimat nicht ausgesprochen werden dürfte, hundert Jahre, tausend Jahre, völlig sinnlose Termine für mich, denn so alt kann ich nicht werden - und ich möchte das Wort doch gerne aussprechen, auch ohne einen Heimatschein zu besitzen. Das Wort sei verraten worden, beschmutzt, besudelt, entleert und entehrt. Es scheint mir das Ver dikt so logisch, wie wenn einer dem Vater verboten hätte, seinen ver lorenen und eines Tages heimgekehrten Sohn nüt seinem Namen an zureden. So, als läge nicht in der Umarmung und im Anruf des Na mens unter tausend Tränen schon aUe Reinigung. Oder sollte die biblische Geschichte nur eine sentimentale Fabel sein? Oder kennen, die mir das Wort verbieten wollen, nur die Schuld und nicht die Gnade? Es ist freilich leicht, Heimat zu sagen, das Wort zu gebrauchen, es herumzureichen, es ist so leicht wie der Ortsname, der ohne seine Geschichte auch nur ein Wort ist, so wie Geschirrspülmittel oder Mo toröle einen Namen haben. Ja, es ist, denke ich nach über Heimat, dieses Wort eine der größten Huren unserer Sprache geworden, die sich auf dem folkloristischen Straßenstrich herumtreibt. Alles, was so aussieht und klingt wie Heimat, ist keine. Wir sind in unserer Sehn sucht nach Heimat in einem Maße betrogen worden wie noch keine Generation vor uns. Deswegen also rücht Heimat sagen, am allerwerügsten liebe Heimat oder schöne Heimat, dieHeimat rücht besingen oder bedichten. Doch reizt rücht das Verbotene? Und ist der Umgang mit der Sünderin nicht auch, noch dazu wesentlicher Teil jenes Lebens, das uns zum Beispiel hingestellt wurde? Die uns die Heimat verdarben und die uns das Wort dann verbaten, mit aller Ehrlichkeit ihres Entsetzens, warum wollten sie uns unbehaust? Zittert ihr Verdikt in unterirdischen Schwingungen nicht in allen Fundamenten der Polls, des Gemeinwesens? Steigt und kommt es empor in Wohngesetzen, in immer vergeblichen Anläufen, die Unbehausten zu behausen? Die materielle und soziale Ungerechtig keit als Folge eines geistigen Heimat-Verlustes? Oder steht Heimat ursündhaft im Gegensatz zur Pilgerschaft auf Er den? Die Vision einer Sozialutopie, in der alle Menschen einer Stadt oder eines Landes, am Ende alle Menschen dieser Erde ständig um ziehen, damit jeder jede Wohnung einmal bewohne und endlich Gleichheit herrsche. Ist das gemeint: Die Völkerwanderung der Hei matlosen über eine brennende Erde, zur höheren Ehre Gottes? Und liegt in jedem Stein, den wir aufeinanderschichten, schon der Grund stein des Turms von Babel? Heimat an der Grenze des Schweigens. Denn die totale Heimat ist die Hölle. Der Ort hat einen Namen, und ich gebrauche seinen Namen ah nungslos, weil ihn alle gebrauchen. Hier steht ein Zeichen, an das sich zu halten geboten ist. Alle falschen Erwartungen und Sehnsüch te, alle diese Drapierungen und Behübschungen einer raschen Ver gänglichkeit laufen auf diesen Punkt zu. Ein Nullpunkt Heimat im Verlaufe alles dessen, was geschehen ist. Durch den Nullpunkt hindurch öffnet sich das ganz Einfache. Heimat ist rücht die Geborgenheit in einer Gemeinschaft, in einer Geschichte, das Eintauchen in eine Tradition, das Erlernen und Gebrauchen von Worten, die Orte und Zusammenhänge bezeichnen. Heimat ist die Krücke einer Kultur auf der Wanderschaft. Bisweilen ist uns nach Fortschritt zumute und bisweilen suchen wir Rast. Dann überkommt uns die unbändige Lust am Daheimbleiben, dann scheint der Weg uns feindlich und fremd, dann kann uns die Geschichte den Buckel hinunterrutschen, wir wollen unsere biologi schen und ökologischen Rettiche, eine rupfene Weste und ein stilles Glück. Wir haben darauf so viel Recht wie auf unseren Schlaf. Bis zum näch sten Morgen nämlich. Es ist unser Irrtum, wenn wir, den Nullpunkt nicht beachtend, eine Heimat zusammenträumen, die das Vergangene und das Künftige in einer Kontinuität verbindet, einer dunklen Sehnsucht folgend oder der vermeintlichen Lehre aus der Geschichte. Wir haben keine neuen Worte, der Ort hat noch denselben Namen, wir gehen durch die selben alten Gassen in unsere ordentlichen Wohnsitze, vor denen uns die Postleitzahl stört. Heimat aber wird uns etwas ganz Neues bedeuten müssen, etwas Schmerzhaftes, von dem erst kommende Geschlechter sagen kön nen, ob es vielleicht schön war. Denn Heimat hat mit Zukunft zu tun, mit allen Tränen des Werdens, so wie der Name, den der Mann oder die Frau einst beiläufig dem Ort gegeben haben, zum erstenmal, weil sie rücht immer sagen wollten, das sei der Flecken dort, wo die Brücke ist, die Hütten und Häuser, der Hof und die Kirche auf dem Hügel. 78

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