Oberösterreich, 32. Jahrgang, Heft 2, 1982

über das fortschrittliche Daheimbleiben April Die Tage zwischen März und Mai an denen Sonne gewonnen und Brot verheißen wird Wenn aber die Sonne kalt und das Brot bitter wird worauf werden wir hoffen? Zu spät ist es den Rock aus den Häusern zu holen wenn der Regen aus Asche fällt Bruckner Bruckner unser Kreuzfahrer der Trompeten flammender Mostschädel Die Opfer Wotans vom Altar gerissen für Christi Blut Die Knie geschunden doch nicht gebeugt an siedenden Orgeln De profundis Oberösterreich Die Klangwolken ziehen vorüber Der Ort hat einen Namen, und ich gebrauche diesen Namen, wie ihn alle anderen gebrauchen, um den Ort zu bezeichnen. Der Name ist alt, denn der Ort ist alt. Irgendwann hat ihn einer zuerst so bezeich net, nicht absichtlich, nur so ungefähr. Er hat ihn nicht getauft, er hat ihn nicht feierlich benannt, er hat ihn nicht bei seinem Namen ge rufen, denn er war nicht der Schöpfer, noch der Beauftragte des Schöpfers. Er war ein schlichter unbekannter Mann, der nur ein we nig Ordnung in seine Welt bringen woUte, in seine Beobachtungen und Notwendigkeiten, in seine Wege und Behausungen, vor dem Wald, hinter dem Wald, im Gerodeten, beim Brunnen, an der Brücke, bei der Mühle. Um gerecht zu sein mit der Geschichte und weil wir wirklich zu wenig daran denken, vielleicht war es gar kein Mann, vielleicht war es eine Frau, ja es könnte schon eine Frau gewesen sein, eine praktisch ver anlagte, und das sind die Frauen und das mußten sie früher noch mehr sein, eine Frau also könnte diesen Namen zum erstenmal ge braucht haben, indem sie dort hindeutete, dort wo die Brücke ist, die Straße, die Kirche auf dem Hügel, diese paar Hütten oder Häuser dort, der Hof. An einem trüben, regnerischen Abend war es, die Dunkelheit fiel in Schleiern nieder, der Lehm auf den Wegen glukkerte braunlachig, der Gast auf der Ofenbank mochte über Nacht bleiben, würde morgen früh erst aufbrechen, in diese Richtung eben, und dann wie zufällig der Name des Ortes, wurde ein Name geboren wie Kinder geboren wurden, ungeplant geschenkt, niemand macht viel Aufhebens davon, die Mutter steht am nächsten Tag auf, und weil es ein Bub ist und ein gesunder und kräftiger, dann freut sich der Vater und erzählt es herum. Der Name des Orts wie der Schrei des Kindes: Stimme des Menschen im unendlichen Schweigen der frü hen Räume. Danach erst das Bleibende, das Aufgeschriebene, die Feder des Ga stes aus dem Ranzen am nächsten Morgen, die Feder des Mönchs. Aber da ist der Name schon in aller Munde, da ist die Geburt schon vergessen, da läuft der Knabe schon hinterm Pflug. Und was da ir gendwo auf vergilbtem Pergament steht, in unbeholfenem Latein, nichts weiß es mehr von der Stunde des Anfangs, von dem Mann, von der Frau - und diese wissen auch nicht, daß sie es sind, die das Wort gefunden haben, nur so beiläufig, das Wort, welches den Ort bezeichnet, den Namen, den ich gebrauche, den ich übernehme, der Ort, so der gemeine Mann nennet, den das Volk heißet. Klingt nicht ein wenig Überheblichkeit des Schreibers darin? Nicht er, das Volk, der Pöbel also, der gemeine Haufe, nennt den Ort so - und, leider, ihm bleibt nichts anderes übrig, als ihn auch so zu nennen, ein Name, der sich nur widerwillig in den geschraubten Text fügt. Gegeben zu und geschehen in, dann später, wenn der Name schon hoffähig ist, öfter schon geschrieben steht und das Volk dabei nicht mehr eigens erwähnt wird. Schließlich ein stolzer Name, herrisch auffahrend, Ort eines Treffens, eines Gerichts, einer Schlacht, ein Ort wie ein Schwert oder ein Glockenton, ein ragender Name, ein Beiname eines Ge schlechts, ein Ort mit großem, geziertem Initial, ein Ort der Geschich te, ein Name der Geschichte, ein Ort mit Rat und Recht und Rech nung. An seidener Kordel hängen die Wappensiegel der Schriftrol len, die den Namen nennen. Ich lebe in diesem Ort und wenn ich noch gar nicht so viel früher in diesem Ort gelebt hätte, in ihm geboren wäre oder lange genug in ihm gelebt hätte, wäre ich in diesem Ort zuständig gewesen, ich hätte einen Heimatschein dieses Ortes besessen, ein schöneres Dokument als es die heutigen amtlichen Schriftstücke sind. Es wäre mir beschei nigt worden, daß dieser Ort meine Heimat ist, mit allen Rechten und Pflichten einer Heimat. Und es hätte mir der Name dieses Ortes seine ganze Geschichte bedeutet, die an dem Wort hängt und nicht an den Ziffern des Computers, der Millionen Daten, aber keine Geschichte speichert und dessen elektronische Kabbalistik meine Seele wie einen 77

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